Regeln 2017: Streitet sich die Formel 1 ins Abseits?
Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff hat in China angedeutet, an sich brauche es gar kein neues Reglement
Es sind die wichtigsten Sitzungen der letzten Jahre für die Formel 1. Sie entscheiden darüber, ob wir 2017 eine andere Formel 1 erhalten, oder ob das Gezanke im Dreieck FOM (Formula One Management, mit Serienpromoter Bernie Ecclestone), FIA (Automobilweltverband, mit Präsident Jean Todt) und Rennställe weitergeht. In Biggin Hill, einem Vorort von London, tagt zunächst die Strategiegruppe, dann ist die Reihe an der sogenannten Formel-1-Kommission.
Einmal mehr könnte auf dem Weg zu einer neuen Formel 1 dem Sport die eigene, verkrustete Entscheidungsstruktur im Weg stehen (siehe weiter unten: «Entscheidungsfindung: So geht es»).
Die höchste Hürde ist geblieben: Die beteiligten Parteien sind sich, meist aus Eigennutz, nicht einig. Seit Jahren gilt: Wer derzeit Rennen gewinnt, will eigentlich nichts ändern. Wer im Hintertreffen ist, sieht eine Abkürzung, um Boden gut zu machen.
SPEEDWEEK.com-Leser wissen: 2017 soll die Formel 1 lauter, schneller und spektakulärer werden, mit Autos, die sichtlich schwieriger zu bändigen sind, womit die Piloten wieder als Helden wahrgenommen werden, nicht als Spritsparer und Befehlsempfänger ihrer Rennstrategen. Pirelli soll dazu breitere Reifen liefern, damit die Formel-1-Renner wieder aussehen, wie sich die meisten GP-Fans das wünschen.
Aber kluge Köpfe wie Williams-Technikchef Pat Symonds geben zu bedenken: «Mit der neuen Formel 1 wird es mindestens so schwierig sein, sich nahe genug an einen Gegner zu arbeiten, um einen Überholversuch zu wagen.» Daher wird die aerodynamische Krücke des verstellbaren Heckflügels bleiben, den viele Formel-1-Fans ablehnen, auch Ex-GP-Pilot Nick Heidfeld: «Das sind für mich keine echten Überholmanöver, das ist mir zu einfach, das ist mir zu künstlich.»
Der einfachste Teil sind die Reifen: Formel-1-Alleinausrüster Pirelli hat die Zusage erhalten, dass die Walzen für die kommende Saison über einen Zeitraum von 25 Tagen getestet werden können. Dazu wurde von der FIA das sportliche Reglement geändert. Die Reifen werden breiter und belastbarer.
Schon beim Motor aber geht die Streiterei los.
Die Motorhersteller wollen der FIA den Vorschlag unterbreiten, den Preis wie von FIA-Chef Jean Todt gefordert auf 12 Millionen Euro Leasing-Gebühren pro Jahr zu senken. Allerdings erst 2018. 2017 sollen die Teams finanziell weniger belastet werden, indem nur noch drei Aggregate pro Saison und Fahrer verwendet werden dürfen.
Kleinere Teams wie Force India und Sauber sowie die Red-Bull-Rennställe lehnen das ab. Sie fordern eine Verringerung der Kosten schon für die kommende Saison. Die hohen Leasing-Gebühren sind einer der Gründe, wieso Rennställe wie Caterham und Manor in die Insolvenz schlitterten, wieso Lotus kurz vor dem Kollaps stand und Sauber ums Überleben kämpft.
Die hohen Preise werden von den Motorherstellern gefordert, um Herstellungs- und Produktionskosten zu decken. Die FIA hat es beim Schritt in die neue Turbo-Ära 2014 versäumt, den Motorherstellern einen Kostendeckel aufzuzwingen.
Falls die Motorhersteller beim Preis nicht einlenken, so drohen Bernie Ecclestone und Jean Todt, das Projekt des Alternativmotors aus dem Mottenschrank zu holen.
Todt und Ecclestone erhielten im Dezember 2015 vom so genannten Motorsport-Weltrat den Auftrag, Schritte in die Wege zu leiten, den Sport gesunden zu lassen. Angeblich soll sich Ferrari gegen dieses Mandat ausgesprochen haben. Denn dieses Mandat hebelt das umstrittene Vetorecht von Ferrari aus, was Änderungen im Reglement angeht.
FIA-Chef Jean Todt sagt über dieses Vetorecht: «Das ist in den 80er-Jahren entstanden, als das Concorde-Abkommen entstand. Enzo Ferrari fühlte sich in Maranello gegen die ganzen englischen Teams isoliert. Keiner sollte überdies vergessen, dass Ferrari damals das einzige Team war, welches das komplette Auto selbst gebaut hat. Er wollte eine Art Schutz. Die FIA hat ihm dies zugesichert. Seither ist dieses Veto-Recht immer aufrecht erhalten worden. Als ich dann Präsident wurde, habe ich zur Frage gestellt, ob das noch zeitgemäss sei. Bernie Ecclestone war aber dafür, dass Ferrari dieses Recht behält. Und die anderen Teams haben zugestimmt.»
Mitte Januar 2016 signalisierten die Motorhersteller Kompromissbereitschaft. Die FIA versprach darauf: Die gegenwärtigen V6-Turbos bleiben bis mindestens 2020, der Alternativmotor ist vom Tisch (ein 2,5-Liter-Turbo ohne Energierückgewinnung, hergestellt von einem unabhängigen Hersteller wie zum Beispiel Ilmor).
Im Gegenzug haben die Hersteller zugesagt, dass es keine Situation mehr geben wird wie 2015, als Red Bull monatelang nicht wusste, mit welchen Triebwerken 2016 Formel-1-Sport betrieben werden soll, weil sich kein neuer Motorenpartner fand. Und dass die Leasing-Gebühren runterkommen.
Die Motorhersteller wollten unbedingt verhindern, dass ein neues Motorkonzept in die Formel 1 kommt. Die Entwicklung der heutigen V6-Turbos hat (wie mir ein Vertreter eines Herstellers versicherte) 200 Millionen Euro verschlungen. Diese Motoren nach wenigen Jahren wieder zur Seite zu legen, wäre der Gipfel der Geldverschwendung.
Aber die FIA forderte konkrete Vorschläge, und wenn die vier Forderungen (Preis runter, Zugänglichkeit gesichert, Lärm hochschrauben, Leistung angleichen) nicht erfüllt werden, sind wir wieder gleich weit wie vor einigen Monaten.
Ganz ähnlich die Situation beim Chassis: Mercedes-Benz-Motorsportchef Toto Wolff hat in China angedeutet, die unterhaltsamen Rennen 2016 würden doch zeigen – an sich brauche es gar kein neues Reglement, das Feld rücke auf natürliche Art und Weise zusammen. Natürlich sträuben sich die Weltmeister gegen Änderungen: Sie haben derzeit das beste Auto.
Auf dem Tisch liegt der so genannte McLaren-Vorschlag: Die Autos werden darin um 20 Zentimeter breiter (neu: 200 cm), das entspricht den Massen bis vor der Saison 1997. Die Frontflügel werden breiter, die Heckflügel ebenfalls, zudem werden die Flügel hinten tiefer angeordnet. Die breiteren Reifen sollen mehr mechanischen Grip generieren, der aerodynamische Grip kommt über einen neuen Unterboden. Das Ziel bleibt bestehen, die Autos im Schnitt fünf Sekunden pro Runde schneller zu machen.
Die kleinen Teams wollen diesem Plan nur dann zustimmen, wenn diese Regeln bis 2020 Gültigkeit behalten. Änderungen im Reglement treffen sie am härtesten, weil ihre finanziellen Möglichkeiten beschränkt sind.
Auch hier gilt: Wenn die Strategiegruppe der Formel-1-Kommission nichts Handfestes weiterreichen kann, dann bleibt alles beim Alten.
Es könnte ein langer Tag werden in Biggin Hill.
Entscheidungsfindung: So geht es
Generell gilt: Ideen der so genannten Strategiegruppe (FIA mit Jean Todt, Formula One Management mit Bernie Ecclestone, sechs Teams, derzeit Ferrari, Red Bull Racing, Mercedes, McLaren, Williams und Force India, mit je sechs Stimmen) gehen an die Formel-1-Kommission. Die hat nur die Möglichkeit, einen Vorschlag abzunicken oder abzulehnen.
Die Kommission besteht aus einem Vertreter von «Formula One Management» (also Bernie Ecclestone) sowie der FIA (üblicherweise der Präsident, also Jean Todt), aus Vertretern aller Rennställe, aus sechs Rennpromotern (drei aus Europa, drei aus Übersee), die von FOM aufgestellt werden, aus zwei Vertretern von Rennstrecken (eine aus Europa, eine aus Übersee), von den Teams ernannt, dazu aus Repräsentanten des Reifenherstellers (also Pirelli), der Motorenhersteller sowie der Sponsoren. Somit kamen wir auf ein Gremium von 24 Fachleuten.
Allerdings haben wir nicht eine Stimme pro Vertreter. Es gibt immer zwölf Team-Stimmen, ungeachtet dessen, ob wir nun zwölf Rennställe haben oder elf wie derzeit. Wenn von diesen elf eine interne Abstimmung zum Beispiel 6:5 ausgeht, so wird die restliche Stimme zur Mehrheit addiert (7:5). Wir kommen somit auf 25 Stimmen.
Formula One Management ist hier sehr machtvoll: Kein Rennpromoter würde es sich mit jener Firma verscherzen, welche die Rennen vergibt! Die FIA hingegen hat hier so gut wie nichts zu melden.
Ist in der Kommission ein Vorschlag nach einfacher Mehrheit gutgeheissen, geht der zum Abnicken an den so genannten Weltrat der FIA, gebildet aus Vertretern der Autoklubs aus aller Welt. Hier kann die FIA eine Idee blockieren. Das kommt zwar selten vor, ist aber möglich. Abgestimmt wird mittels E-Mail (auch wenn im Reglement noch immer von «Fax-Abstimmung» die Rede ist).