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Formel 1 Sotschi: Geduldsproben, Unfälle, Kontrollen

Von Mathias Brunner
Ein nettes Willkommen in Sotschi

Ein nettes Willkommen in Sotschi

​Selbst einfachste Reisen, sagen wir: vom Hotel zur Rennstrecke, werden in Sotschi zu einer Geduldsprobe. Ein kleiner Zwischenbericht vor dem vierten GP-Wochenende des Jahres.

Vor einem Jahr habe ich aus Sotschi über einige Abenteuer in Sachen Taxifahrten berichtet (siehe Taxi). Heute darf ich Ihnen bestätigen: Wesentlich verbessert hat sich die Situation nicht.

Selbst einfachste Anforderungen, etwa eine Fahrt vom Hotel zur Rennstrecke, werden zu Abenteuerreisen.

Aufgrund der Erfahrungen mit wenig verlässlichen Taxifahrern finden die netten Damen an der Hotel-Rezeption, ein Fahrdienst sei zuverlässiger, gewissermassen die lokale Version von Uber, wie sie mir in einer Mischung aus Englisch und Russisch erklären (zehn Prozent Englisch, 90 Prozent Russisch). Ich ergebe mich in mein Schicksal.

Der Kia, der nach verblüffend kurzer Zeit vorfährt, ist nur mit einem Codewort zu besteigen, das die Hotelangestellten via SMS erhalten hatten. Es besteht aus dem Autonamen und der Autonummern, was von der Geheimhaltungsstufe jetzt eher fragwürdig ist.

Der Fahrer sieht aus wie die russische Version von James-Bond-Darsteller Daniel Craig. Es gibt freilich einige Unterschiede: Der russische Bond raucht wie ein Schlot, sein Auto nicht viel weniger, und von knackigem Durchsetzungsvermögen keine Spur. Nach einer Minute Fahrt stehen wir in einem tüchtigen Stau.

Auf meine freundliche Anregung, vielleicht in eine Nebenstrasse abzubiegen und das Problem zu umfahren, reagiert er mit einem höflichen Achselzucken und dem Wechseln des Radiokanals. Das Elektrogeschepper von Technokünstlern, deren Namen Sie sich nicht merken müssen, bleibt das Gleiche.

Gefühlte dreissig Minuten später rollen wir am Grund unserer Einstoppstrategie vorbei: Zwei Russen haben versucht, mit ihren Kleinwagen einen Crashtest nachzustellen. Das Ergebnis ist für beide Seiten wenig befriedigend.

Die weitere Fahrt ist insofern lehrreich, weil ich erfahre, wie man ein Auto lenkt, während man zwei Handys gleichzeitig bedient. Genau, mit den Oberschenkeln. An diesem Punkt schnalle ich mich auch mit dem zweiten Gurt der Rückbank an, sicher ist sicher. Der Fahrer blickt leicht mitleidig in den Rückspiegel. Seine Miene sagt: «Memme.»

Ich erwäge ernsthaft, beim nächsten Mal die öffentlichen Verkehrsmittel zu nehmen. Wenige Minuten später entdecke ich einen Autobus. Vielleicht ist das doch keine so gute Idee. Das asthmatische Gefährt steht am Strassenrand, der Fahrer hantiert an einem Reifen herum, die versammelte Passagierschaft kollektiv am Handy. Wenn sich jemand aufregt, dann ist das jedenfalls nicht auf den ersten Blick ersichtlich.

Wenige Meter weiter sehe ich die Bushaltestelle. Der einzige potenzielle Fahrgast, der dort wartet, ist einer der vielen Streuner. Er schläft. Vermutlich hat er über sein Handy bereits erfahren, dass der Bus Reifenschaden hatte und so schnell nicht auf die superweiche Mischung wechseln wird.

Wunder über Wunder: Wir schaffen es tatsächlich, an einem Eingang zur Rennstrecke anzukommen. Ein Soldat verwickelt den Uber-Fahrer in ein leidenschaftliches Gespräch. Dem Tonfall zufolge geht es nicht um Fussball. Vielmehr stehen wir wohl in einem Haltverbot, und da kennen russische Ordnungshüter kein Pardon. Auch wenn ich mich nur aus zwei Gurten schälen muss, um dem Kia zu entfliehen.

Mit einem Grunzlaut werde ich vom Soldaten zur persönlichen Eingangskontrolle befördert. Es stehen ungefähr zwanzig Fachkräfte herum, die sich nicht um den Preis für den Mitarbeiter des Monats zu bewerben brauchen. Es riecht nach Schweiss, abgestandenem Tee und einer Duftnote, die wir nicht richtig einordnen können, die jedoch kaum die Zustimmung eines Parfumeurs gewinnen dürfte.

Der Inhalt meines Pilotenkoffers wird seziert, das Ergebnis lautet: Offenbar niemand, der demnächst etwas in die Luft sprengt. Gegen solche Kontrollen habe ich rein gar nichts einzuwenden – sie erfolgen zu meiner eigenen Sicherheit. Über die Höflichkeit lässt sich diskutieren, und ein Lächeln folgt wohl erst bei Schichtwechsel.

Der anschliessende Fussmarsch passt zur Uber-Fahrt und dem Motto: Warum einfach, wenn es kompliziert geht? Nein, ich darf nicht vorne rum (was kürzer wäre). Nein, ich darf auch nicht vor, sondern muss hinter einem Zaun gehen (auch wenn ich die einzige Menschenseele bin, die im Regen Richtung Fahrerlager stapft). Ja, wir haben einen Ausweis. Nein, er ist überraschenderweise nicht selber gemacht. Da kann der Ordnungshüter die spärliche Beschriftung noch so lange auswendig lernen.

Viel Personal rund um das Autodrom von Sotschi scheint mit der Angst zu leben: Ja nichts falsch machen. Dieses Verhalten ist uns von anderen Rennstrecken wohlbekannt.

Die Anlage selber ist so tadellos wie seit zwei Jahren. Einige Dinge wurden nach den starken Regenfällen im vergangenen Jahr geändert: Eine bessere Wasserabfuhr in der ersten Kurve, dazu gibt es Änderungen an der Unfallkurve 13 von Carlos Sainz im vergangenen Jahr – die Auslaufzone ist frisch asphaltiert, die Leitschiene in Kurve 13 ist durch Prallblöcke ersetzt worden.

An der Rennstrecke werden wir von der hilfsbereiten und stets freundlichen Medienbetreuung mit Matrojoschkas begrüsst, den berühmten, bunt bemalten, eineinander geschachtelten Holzpuppen in leichter Eiform. Das Renndesign ist ziemlich cool. Tradition trifft Moderne, Vergangenheit trifft Gegenwart. Das passt.

Denn wussten Sie eigentlich, dass der Russland-GP 2014 nicht der Erste war? Noch vor dem Ersten Weltkrieg, also gewissermassen in der Kreidezeit des Motorsports, als die Formel 1 noch weit entfernt war, wurden in St. Petersburg zwei Grosse Preise von Russland ausgetragen.

Die Sieger? 1913 Georgy Suvorin, 1914 Willy Scholl. Beide fuhren einen Benz. Insofern hat das Schicksal eine adrette Brücke geschlagen. Sieger der Neuzeit: 2014 und 2015 Lewis Hamilton. Auf dem Auto steht noch immer Benz.

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