Tom Kristensen: Hinter den Kulissen von «Mr. Le Mans»
Beim WM-Auftakt in Bahrain hat Formel-1-Rückkehrer Kevin Magnussen einen tollen fünften Platz erobert. Der Haas-Fahrer ist mit Abstand der erfolgreichste Fahrer unter der überschaubaren Zahl von fünf Formel-1-Dänen. Ab und an frage ich mich: Wie es wohl gekommen wäre, hätte die Karriere von Tom Kristensen einen anderen Verlauf genommen? Für mich ist der neunfache Sieger des 24 Stunden-Rennens von Le Mans ein Talent, das in der Formel 1 nie angemessen gewürdigt worden ist.
Die Statistik von Kristensen in Le Mans ist einzigartig: Jedes Mal, wenn er ins Ziel kam, stand er auf dem Podest. Und dies über den Zeitraum von 18 Jahren. Neben seinen neuen Siegen stand er weitere fünf Male auf dem Siegerpodest.
Seine dreissig Jahre lange Karriere führte ihn aus bescheidenen Verhältnissen in Dänemark nach Deutschland, ins ferne Japan und in verschiedene Cockpits von Formel-1-Autos, ohne aber je einen Stammplatz zu erhalten.
Dann begann eine überaus erfolgreiche Karriere im Sportwagen, gekrönt von magischen Auftritten in Le Mans, mit Porsche, mit Audi, mit Bentley. So ganz nebenbei führt er auch die Siegerstatistik von Sebring an, in Florida hat er sechs Mal gewonnen.
Der Sportwagen-Weltmeister von 2013 hat sich viel Zeit genommen, um mit seinem Landsmann Dan Philipsen die ganzen Erinnerungen zu Papier zu bringen. Ergänzt wird das Buch von Einschätzungen der Journalisten Nils Finderup (die frühen Jahre), Charles Bradley (die schwierigen Jahre) und Gary Watkins (die goldenen Jahre).
Dieses mehrfach prämierte Buch ist aus verschiedenen Gründen ein Leckerbissen: Erstens ist es mitreissend zu verstehen, wie ein Mann tickt, der zur Le Mans-Legende geworden ist. Zweitens ist Kristensen einer jener Männer, die ich als «no bullshit guys» bezeichne – er sagt geradeheraus, wie es ist. Und dabei erfahren wir auch, warum es letztlich mit der grossen Formel-1-Karriere nicht geklappt hat.
Tom Kristensen ist ein Vollblut-Racer, der dem Sport über sein Karriere-Ende hinaus eng verbunden geblieben ist. So arbeitet er regelmässig als FIA-Kommissar bei Formel-1-WM-Läufen. Auch dort hebt er sich durch seine sachbezogene, klare Linie von anderen Funktionären ab. Einem Kristensen muss kein GP-Fahrer etwas vormachen wollen.
Kristensen hat in seiner Karriere 361 Autorennen bestritten. Er stand fast bei jedem Zweiten auf dem Podest, startete 44 Mal von Pole-Position, fuhr 52 Mal die beste Rennrunde und siegte 61 Mal, also ungefähr bei jedem sechsten Rennen – die Statistik eines echten Champions.
Aber der Mensch Kristensen macht mir noch mehr Eindruck als der Racer. «Mr. Le Mans» ist auch deshalb ein so gelungenes Buch, weil hier nicht dröge Rennen um Rennen abgenudelt wird, sondern weil wir die Emotionen von Tom und seinen Begleitern so intensiv erleben, als wären wir bei der betreffenden Szene mit dabei.
Im November 2014 gab Tom Kristensen bekannt: Er hört am Ende der Saison auf. Er sagte: «Ich hatte das grosse Privileg, 15 Jahre lang für das beste Team und den coolsten Automobilhersteller der Welt fahren zu dürfen. Ich hatte tolle Teamkollegen und habe mit fantastischen Menschen zusammengearbeitet. Mit Audi konnte ich viele Titel und zahlreiche Rennen gewinnen sowie unvergessliche emotionale Momente erleben. Meine Siegesserie bei den 24 Stunden von Le Mans wäre ohne Audi nicht möglich gewesen. Dieses Team als Fahrer zu verlassen, fällt mir schwer. Aber man muss ehrlich genug sein zu wissen – irgendwann kommt dieser Tag.»
Während andere Jungs im Bubenalter davon träumten, Astronaut zu werden oder Feuerwehrmann oder vielleicht Rennfahrer, sagt der kleine Tom damals: «Ich will eine Bank leiten.»
Zum Glück für ihn und für uns war seine Berufung eine andere.
Das Wichtigste in Kürze
Tom Kristensen with Dan Philipsen: Mr. Le Mans – Tom Kristensen
Von Evro Publishing, England
Text in englischer Sprache
Mit einem Vorwort von Dr. Wolfgang Ullrich
ISBN: 978-87-972603-0-2
Format 24,5 x 17 cm
432 Seiten
125 Fotos
Für rund 48 Euro im Fachhandel oder direkt bei Evro