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Sharknose: Der berühmteste aller Formel-1-Ferrari

Von Mathias Brunner
Nur wenige Rennwagen erlangen Kultstatus: Der Ferrari 156, genannt «Sharknose», gehört diesem exklusiven Kreis an. Ein grandioses Buch zeigt, wie nahe Triumph und Tragödie vor mehr als 60 Jahren beisammen lagen.

Die Formel 1 nach der Sommerpause, das bedeutete: Rückkehr zu den grossen klassischen Rennstrecken von Europa. Innerhalb von nur drei Wochen hetzte die Königsklasse von Spa-Francorchamps nach Zandvoort nach Monza, und es war nicht leicht, zwischendurch einen Moment innezuhalten und sich daran zu erinnern, welch reiche Historie diese Rennstrecken bieten.

2022 besteht die Formel-1-WM aus 22 Läufen, 61 Jahre davor, im Jahre 1961, waren es ganze acht – Monaco, die Niederlande, Belgien, Frankreich, Grossbritannien, Deutschland, Italien, die USA.

Die Saison 1961 stand im Zeichen des Ferrari 156, bald einmal «Sharknose» genannt, Hai-Nase, wegen des eigenwilligen Kühleinlasses dieses zeitlos eleganten Rennwagens, des berühmtesten aller Formel-1-Ferrari.

Es bedurfte schon der fahrerischen Genialität von Stirling Moss, um Ferrari an einem kompletten Durchmarsch zu hindern. Moss gewann in Monte Carlo und auf dem Nürburgring, fünf Läufe hingegen gewann Ferrari (Wolfgang von Trips in Zandcoort und Aintree, Phil Hill in Spa-Francorchamps und Monza, Giancarlo Baghetti in Reims), zum letzten WM-Lauf in Amerika trat Ferrari nicht mehr an – nach dem tödlichen Unfall des deutschen Grafen Trips in Monza, der 14 Menschen mit ins Verderben riss.

Bei diesen sieben Einsätzen von Ferrari stand ein roter Renner sechs Mal auf Pole-Position, fünf Mal wurde die beste Rennrunde erzielt. Dazu die besagten fünf Siege. Wie kam es zur krassen Überlegenheit dieses tollen Autos?

Wie so oft in der Historie der Formel 1 seit 1950 versuchten die Regelhüter, die Autos langsamer zu machen. Zum 1. Januar 1961 wurde daher der Hubraum auf 1,5 Liter beschnitten. Damit sackten die auf die Bahn gebrachten Pferdestärken auf zunächst überschaubare 150 zusammen, die gemessen an ihren Vorgängern lächerlich kleinen Motörchen in den Konfigurationen V6, V8 und V12 leisteten akustisch aber Grosses. Ein kleiner Vergleich in Sachen Power: BRM brachte 1953 rund 600 PS auf die Bahn, über die Standfestigkeit legen wir hier den gnädigen Mantel des Vergessens.

Die Fahrer mussten sich schon Einiges einfallen lassen, um die – gemessen an anderen Renngeräten – eher schwachbrüstigen Autos auf Speed zu bringen. Finesse war gefragt und geschickter Umgang mit Windschatten.

Die Engländer unterschätzten das Durchsetzungsvermögen der Sportbehörde, sie glaubten lange nicht, dass die 1,5-Liter-Formel überhaupt kommen würde. Da waren die Techniker des gerissenen Enzo Ferrari längst an der Arbeit. Ergebnis: Ferrari fuhr 1961 mit dem Sharknose vom Typ 156 alles in Grund und Boden.

Das preisgekrönte Buch «Sharknose V6. Ferrari 156, Ferrari 246SP & Ferrari 196SP», mit vielen bislang unveröffentlichten Motiven des grossarti¬gen Fotografen Bernard Cahier, ist ein Denkmal für eine der spannendsten Epochen des Rennsports und für einige Kult-Rennwagen – den Ferrari 156 und seinen Prototypen-Brüdern, dem 246SP und dem 196SP.

Wir tauchen tief ein in eine Ära, als die Rennwagen und die Helden im Cockpit zum Greifen nahe schienen, als der Rennsport noch eine gewisse Unschuld verströmte und gleichzeitig – aus heutiger Sicht – haarsträubend gefährlich war.

Da musste nicht über das Einhalten von Pistengrenzen diskutiert werden, denn oft genug war die Pistengrenze eine Hausmauer oder ein Baum, und jeder Fahrer wusste, was es bedeutete, sich da Fehler zu erlauben.

Nur bei wenigen Rennställen sind Triumphe und Tragödien so eng miteinander verflochten wie bei Ferrari. Die Geschichte der Sharknose-Rennwagen ist das beste Beispiel. Herausragende Erfolge, wie der Gewinn der Formel-1-Weltmeisterschaft 1961 durch den Amerikaner Phil Hill, gehen einher mit tiefen Abgründen wie der Tragödie von Monza. Neuling Giancarlo Baghetti gelang Einmaliges: Er gewann die ersten drei seiner Formel-1-Rennen, die nicht zur WM zählenden Rennen von Syrakus und Neapel, dann den Grossen Preis von Frankreich in Reims, nach einer atemberaubenden Windschattenschlacht mit Dan Gurney im Porsche.

Das liebevoll gestaltete, üppig bebilderte Buch geht auch auf den sportlichen Niedergang von Ferrari 1962 ein. Ständiges Einmischen von Enzo Ferraris Ehefrau Laura jagte die Führungsmannschaft der Scuderia um Techniker Carlo Chiti in die Flucht und hinterliess dem erst 26-jährigen Mauro Forghieri die Mammut-Aufgabe, das Team technisch weiterzuführen. Forghieri stieg in Folge zu einer der grossen Figuren im Motorsport auf, er hat für dieses Buch das Vorwort verfasst.

Während der legendäre Monoposto 156 zur Legende geworden ist, in unwiderstehlicher Manier von Medardo Fantuzzi gestaltet, entfalteten die ebenfalls von ihm ins Blech gehauenen Sportprototypen mit ihrem geringen Gewicht und der aerodynamisch optimierten Form dauerhaften Einfluss auf die Entwicklung von zweisitzigen Renn-wagen der folgenden Jahre. Und sie feierten zahlreiche Erfolge, bei der Targa Florio auf Sizilien, auf der gewaltigen Nordschleife des Nürburgrings und bei der Europa-Bergmeisterschaft.

«Sharknose V6. Ferrari 156, Ferrari 246SP & Ferrari 196SP» ist für jeden Ferrari-Fan rundweg ein Muss und als Blick in den Rückspiegel auf den Rennsport vor 60 Jahren eine herausragende Bereicherung für jede Motorsport-Bibliothek.

Das Wichtigste in Kürze

Jörg-Thomas Födisch & Rainer Rossbach: Sharknose V6. Ferrari 156, Ferrari 246SP & Ferrari 196SP
Mit einem Vorwort von Mauro Forghieri
Von McKlein Publishing
ISBN: 978-3-947156-24-5
Format 29 x 29 cm, Hardcover im Schuber
432 Seiten
428 Abbildungen
Für 124,90 Euro im Fachhandel oder direkt im McKlein Store


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