Exklusiv: Wie Yamaha-Motorräder entworfen werden
Yamaha Motor Europe (YME) lud SPEEDWEEK.com nach Lesmo, nordöstlich von Mailand ein und stellte uns die dort ansässigen Abteilungen vor – spannende Hintergrundinformationen inklusive.
Das letzte Mal behandelten wir die MotoGP-Abteilung von Yamaha. Im zweiten Teil gehen wir auf die Entwicklung von Serienmotorrädern ein. Was auch uns erstaunte: Nicht nur und Japan, sondern auch in Lesmo wird von Yamaha viel Entwicklungsarbeit gleistet. Im Jahr 2000 wurde in den Niederlanden Yamaha Motor R&D Europe (YMRE) gegründet, um den unterschiedlichen Anforderungen der europäischen Märkte gerecht zu werden. Seit 2005 ist das Forschungs- und Entwicklungszentrum von Yamaha in Norditalien angesiedelt. Der F&E-Bereich in Lesmo ist gewachsen, mittlerweile arbeiten dort über 100 Mitarbeiter, die meisten davon sind direkt in den Abteilungen wie Design, Engineering oder Prototypenbau tätig.
Mit dem Ziel, Fahrzeuge zu entwickeln, die den Anforderungen der europäischen Märkte gerecht werden, waren die ersten Projekte die Entwicklung von Produkten mit kleinen Motoren wie Motorräder und Roller mit 50 bis 125 ccm. Heute werden in Lesmo insbesondere die Zweizylinder-Modelle wie die MT07, die Tracer 7 oder die Tenere 700 entwickelt und vor der Serienreife auf Herz und Nieren getestet. Von der Idee bis zum Serienfahrzeug vergehen in der Regel drei Jahre.
In der Design-Abteilung werden die Entwürfe für neue Motorrad-Modelle erstellt, dazu zählt auch die Modellierung von Tonmodellen. Andrea Dosoli, Direktor für Marketing und Motorsport führte uns in einen Raum, in dem in der Mitte ein Tonmodell einer Yamaha Tenere im Maßstab 1:1 steht. Im Jahr 2025 würde man erwarten, dass Motorräder ausschließlich auf dem Computer entworfen werden. Bei einem Motorrad haben jedoch die Ergonomie und die Sitzposition einen großen Einfluss auf das Fahrerlebnis – so etwas kann man am Computer nicht darstellen. «Wir kümmern uns um die gesamte Entwicklung und das Design – von der Skizze bis zum Tonmodell», betonte Roberto Redaelli von der Design-Abteilung in Lesmo. «Beim Designprozess startet alles mit Skizzen. Bevor wir damit starten, bekommen wir von unseren Ingenieuren die technischen Informationen für das Bike – das ist die Basis für das Design einer Silhouette. Das Tonmodell ist dann der Zusammenschluss von Engineering und Design – dort haben wir einen physischen Berührungspunkt.»
Das Design-Team hat zudem einen engen Austausch mit dem Yamaha-Hauptsitz in Japan. «Die Skizzen dienen als Vorlage für das Tonmodell – diese lassen wir von Japan und auch von YMRE in den Niederlanden absegnen. Wenn alle mit dem Entwurf einverstanden sind, fangen wir mit dem Tonmodell an. Den ersten Schritt nennen wir «Pre-Clay». Bei diesem geht es darum zu verstehen, ob die Skizze oder der Entwurf funktioniert oder nicht», ließ uns Redaelli wissen.
«Manchmal haben wir Probleme mit dem Entwurf, denn mit einer Skizze kannst du nicht komplett alles verstehen oder die Dimensionen des Bikes unter Kontrolle haben. Mit einem Tonmodell kannst du die Ergonomie des Bikes überprüfen und man bekommt eine Vorstellung vom kompletten Motorrad. Hin und wieder kommt es vor, dass man vom ersten Modell ein wenig schockiert ist, denn auf den Skizzen sieht man all die glänzenden Farben, dort sieht man nur eine Art große Schokolade», schmunzelte Redaelli. «Manchmal sagen die Leute: ‘Es fühlt sich schwer an’. Deshalb ist die Anfangsphase etwas schwierig. Man muss die Leute einladen, sich auf das Motorrad zu setzen und die Ergonomie zu spüren. Das Ganze muss mit den technischen Informationen abgestimmt sein, um sich vorstellen zu können, wie das Produkt am Ende sein wird. Nachdem wir überprüft haben, ob das Design mit der Ergonomie zusammenpasst, und auch das Feedback des Testingenieurs eingeflossen ist, sammeln wir all diese Informationen, verfeinern die Skizzen und wir erstellen das finale Tonmodell.»
Bei der ersten Stufe des Tonmodells hat das Design-Team noch mehr Freiheiten, bei der zweiten Stufe muss industrialisiert werden und es müssen Produktion, Montage und Kosten berücksichtigt werden. «Die letzte Stufe ist dann qualitativ hochwertig – diese verwenden wir für die Produktion», erklärte Redaelli.
Die Aufgabe des Tonmodells ist es, die Zeichnungen und Skizzen in ein 3D-Modell des späteren Motorrads zu überführen. Es kann durchaus vorkommen, dass das Design-Team eine komplette Überarbeitung machen muss – wenn ein Entwurf nicht funktioniert. «Der Pre-Clay ist sehr wichtig, denn dann kannst du Änderungen vornehmen. Wenn das Volumen zu groß ist oder die Ergonomie nicht funktioniert – dann kann man es überarbeiten», so Redaelli.
Fakt ist, dass ein perfektes Motorrad nicht ausschließlich am Computer entworfen werden kann. «Wir brauchen diese Tonmodelle, das ist sehr wichtig. Ein Motorrad muss man fahren, man muss drauf sitzen. Die richtigen Proportionen und die Ergonomie kann man nicht mit 3D-Zeichnungen überprüfen», ist sich Redaelli sicher. «Unsere Testfahrer setzen sich auf das erste Tonmodell, um die Ergonomie und die Sitzposition zu testen. Das Gefühl auf dem Bike und die Berührungspunkte sind fundamental. Bei einer 3D-Zeichnung kann man alle Details sehen, aber du bekommst nie dasselbe Gefühl.»
Tonmodelle werden auch im Automotive-Bereich eingesetzt. «Dort arbeitet ein Team am Interieur, ein weiteres am Außenbereich und eines wiederum am Beleuchtungskonzept. Bei uns gibt es einen Designer für alles», ging Roberto Redaelli auf die Unterschiede ein.