KTM: Fehlplanungen auch in der Modellpolitik
Die KTM AG hat hohe Schulden, das ist mittlerweile keine Neuigkeit mehr. Doch nicht nur die nun bekannte, jahrelange Überproduktion war zuletzt ein wichtiger Kostenfaktor in Mattighofen. Neben dem Motorsport wurde auch viel Geld in Forschung und Entwicklung gesteckt. 200 Millionen Euro investierte man dafür zuletzt jährlich, für eine Firma in dieser Größe gilt dies als viel. Effizient eingesetzt wurden die Mittel dabei nicht immer, Verzögerungen und Fehlplanungen waren bei den Österreichern eine Konstante in den letzten Jahren.
Die Arbeit an der jüngst präsentierten 1390 Super Duke GT beispielsweise wurde vor über fünf Jahren begonnen. Selbst wenn man Verzögerungen durch die Covid-Pandemie bedenkt, ist das in der Motorradbranche eine Ewigkeit. Dies ist in Teilen strukturell bedingt: Konzeptionierung, Vorentwicklung und Designprozess fanden für KTM, Husqvarna und GasGas bei der im Pierer-Konzern integrierten Kiska GmbH nahe Salzburg statt. Die Firma Kiska, die in der Branche als teuer gilt, ist selbst nicht in finanziellen Schwierigkeiten.
Die Entwicklung der finalen Produkte musste die ebenfalls sanierungsbedürftige Entwicklungsabteilung in Mattighofen umsetzen, wo ein Team häufig gleich mehrere Modelle zur Serienreife bringen muss. Viele geplante Projekte wurden gleichzeitig in Angriff genommen, häufig umgeworfen und banden so Ressourcen. In der Vergangenheit wurden zahlreiche Modelle immer wieder nicht nur konzipiert, sondern bereits weit entwickelt, nur um wieder ad acta gelegt zu werden. Oft auch, um dann viel später wieder aufgegriffen zu werden.
In den letzten Jahren waren beispielsweise mehrere KTM-Supermotos auf Basis der 790 Duke weit gediehen. Auf den Markt kam bislang keine davon. Gleiches gilt für einen Sporttourer auf der technischen Plattform der 890 Duke. Fahrende Prototypen wurden bei Testfahrten in fortgeschrittenem Teststadium beobachtet und verschwanden wieder in der Versenkung, ebenso wie ein Husqvarna Cruiser auf Super Duke-Basis. Dieser hätte auf Kunden der Ducati Diavel abgezielt und wurde 2015 von Konzernchef Stefan Pierer im Interview mit dem österreichischen Motorrad-Magazin für 2019 angekündigt.
Auch für die Marke GasGas wurden in der Vergangenheit mehrere Modelle angekündigt: Zuletzt im Jahr 2022, als der «Oanser», wie Pierer intern auch genannt wird, in einem Interview mit dem englischen Journalisten Alan Cathcart schon kurzfristig verfügbare Zweizylinder für die spanische Marke in Aussicht stellte. Nach letztem Stand aus Mattighofen hätten diese jedoch noch bis ins Jahr 2026 auf sich warten lassen.
Beim Thema urbane E-Mobilität das gleiche Spiel: Für das Jahr 2017 wurde von Stefan Pierer erstmals eine elektrisch angetriebene KTM Duke im A2-Bereich angekündigt. In die Schauräume der Händler kam diese damals ebenso wenig, wie die als seriennahes Concept Bike gezeigte Husqvarna E-Pilen, eine als technisch identisch geplante KTM E-Duke oder ein Elektroscooter mit Namen Husqvarna Vektorr.
Alle diese Modelle wurden im Rahmen von gezielten Presseveröffentlichungen, Firmenprospekten oder zumindest Concept Bikes im Laufe der letzten Jahre angekündigt. Auf den Markt kam bis heute keines davon. Wie viele Mittel dabei umsonst investiert wurden, darüber lässt sich nur mutmaßen.
Um weiter expandieren zu können, wurde besonderes Augenmerk auf stückzahlenträchtige Segmente gelegt. Im Mittelklassebereich sollte es mittelfristig ganze vier Modellfamilien geben, von 450 bis 950 ccm Hubraum. Besonders wichtig für wachsende Märkte in Schwellenländern gilt dabei die Einsteigerkategorie: Lange vor Beginn der Covid-Pandemie berichteten KTM-Insider, dass man in Mattighofen an einem Reihentwin für dieses Segment tüfteln würde.
Zahlreiche Konzepte wurden erarbeitet und wieder verworfen, von Ableitungen des damals gerade frisch entwickelten LC8c (790er Reihenmotor mit zwei Zylindern) bis zu einer kompletten Neuentwicklung mit der Zahlenfolge 490. Später wurde der indische Partner Bajaj ins Boot geholt, die Modelfamilie mit zahlreichen KTM- und Husqvarna-Ablegern im Rahmen der für Aktionäre gedachten Firmenpräsentationen bereits im Jahr 2018 angekündigt.
Noch im Sommer 2020, kurz nach Ausbruch der Covid-Pandemie, berichtete KTM-Boss Pierer in einem Interview mit der französischen «Le Repaire des Motards», dass die Entwicklung dieser Modelle priorisiert würde. Doch zum angedachten Marktstart im Jahr 2022 kam es nie. Stattdessen stoppte man die weit fortgeschrittenen Arbeiten und schwenkte auf eine bereits bestehende Plattform von Anteilseigner CFMoto um. Auf Basis von dessen 450-Baureihe war eine KTM-Modellfamilie angedacht, die in China entwickelt, produziert und 2026 serienreif gewesen wäre. Prototypen eines Naked- und eines Sportbikes wurden im bereits fortgeschrittenen Entwicklungsstadium gesichtet.
Sollte der Sanierungsprozess in Mattighofen nach Plan verlaufen, dann könnte diese Planung nach wie vor Bestand haben, schließlich ist inzwischen verbrieft, dass CFMoto plant, seinen Einfluss in Mattighofen auszubauen. Doch dazwischen wurden Jahre vergeudet. Inzwischen haben auch andere europäische Hersteller das Segment ins Auge gefasst: Hauptkonkurrent BMW wird bereits Ende 2025 das erste serienreife Modell seiner 450er-Baureihe mit zweizylinder-Reihenmotor präsentieren.
Zuletzt fand aber offenbar bereits ein Umdenken statt: Modelle in renditeträchtigen Nischen die auf bestehenden Plattformen schnell und unkompliziert umgesetzt werden konnten, wurden favorisiert. Die Brabus-Modelle auf Super Duke-Basis, die RC8C und die Super Duke RR sind Beispiele dafür. Sie richteten sich allesamt an eine zahlungskräftige Kundschaft. Sollten die Investoren schnelle Erfolge wünschen, dann könnte die KTM-Entwicklungsbteilung mit bereits aufgegleisten Projekten dienen: 1390 SMT, 1390 Rally und 690 Rally waren zuletzt allesamt nicht mehr weit von der Produktionsreife entfernt, sie wären schnell umsetzbar und versprechen gute Margen bei geringem Aufwand.
Endgültige Aussagen dazu lassen sich jedoch noch nicht treffen, schließlich werden die Geldgeber auf absehbare Zeit ein gehöriges Wörtchen bei KTM mitzureden haben. Um die österreichische Marke wieder auf Kurs zu bringen, wird es hier neue Strukturen brauchen. Und damit ist nicht die Verkleinerung der Belegschaft gemeint, sondern der effizientere Einsatz der Ressourcen.