Tom Lüthi: Titelchancen noch nicht abgeschrieben?
Tom Lüthi: Er schaut nicht mehr zurück
Tom Lüthi räumt ein, dass er unmittelbar nach dem Sturz in Valencia am 14. Februar stark verunsichert war. «Ich wusste sofort, dass etwas Schlimmeres passiert ist; das zeigte sich schon bei den ersten Abklärungen im Spital in Valencia», erinnert er sich. «Ich habe dann auf den Rücktransport mit der Rettungsflugambulanz gewartet. Das Motorradfahren ist ziemlich früh weit in die Ferne gerückt. Zuerst fragte ich nicht wie nach einem normalen Sturz: ‹Wo ist ein Motorrad? Ich will wieder fahren.› Zuerst stand die Frage im Vordergrund: ‹Wie werde ich möglichst bald wieder gesund.›»
Um 3 Uhr früh des 15. Februar begann im Spital in Münsingen/CH bereits die fünfstündige Operation von Vertrauensarzt Dr. Marc Mettler. Lüthi: «Nach der OP war mir ziemlich übel, der Kopf war leer. Eine Woche später ist das leben in mir wieder erwacht. Ich war inzwischen aus dem Spital entlassen worden. Das Nachhausegehen war ein schöner Moment, denn die Zeit im Spital war ziemlich schwierig. Dann kamen bald die üblichen Gedanken: Wie werden ich möglichst schnell wieder fit? Wann kann ich wieder auf das Motorrad steigen? Langsam gewann das positive Gefühl wieder die Oberhand.»
Tom Lüthi: «Ich gehe allen auf die Nerven»
Tom Lüthi gibt zu, dass er nach sieben Wochen Rekonvaleszenz langsam ungeduldig wird. «Mein ganzes Umfeld versucht mich im Zaum zu halten und mich zu beruhigen, dass so eine Verletzung eine gewisse Zeit beansprucht. Aber ich gehe schon allen auf die Nerven, denn am Sonntag geht die WM los, und ich will bald fahren», betont er. «Mit der Therapie geht es immer besser, es sind Fortschritte zu spüren. Mein einziges Ziel: Ich will möglichst schnell wieder auf das Motorrad kommen.»
Ellbogengelenk rechts völlig zertrümmert, Elle, Speiche und Oberarm gebrochen, drei Bänder im AC-Gelenk beim Schlüsselbein gerissen – das war die triste Bilanz nach dem Abschuss durch Wilairot. «Die Schmerzen kamen zuletzt in erster Linie von der Schulter», erzählt Lüthi. «Es ist viel vorwärts gegangen; ich kann wieder mehr machen. Immerhin kann ich den rechten Arm wieder mit 3 bis 4 kg belasten. Aber Beugung und Streckung im Ellbogen reichen noch nicht zum Motorradfahren.»
Morgen in vier Wochen müsste Tom Lüthi das Training in Jerez aufnehmen, wenn er beim Europaauftakt sein Comeback feiern will. Er weiss, der Zeitplan ist knapp – vielleicht hoffnungslos knapp. «Ich muss zuerst Liegestütze schaffen, danach brauche ich ein bis zwei Wochen für den Muskelaufbau», weiss er. «Ich muss mich beim Bremsen perfekt abstützen können. Die rechte Hand wird leider beim Fahren sogar ein bisschen mehr belastet als die Linke, weil man sie auch zum Bremsen vorne braucht. Sobald die Knochen im Ellbogen endlich verwachsen sind, kann ich mit mehr Gewicht trainieren. Dann sollte es mit dem Zeitplan hinhauen. Trotzdem: Die Rückkehr für Jerez ist ein recht sportliches Ziel. Aber ich bin ja Sportler...»
Suter: Steht die Entwicklung still?
«Die Maschine, die alle Teams für den ersten IRTA-Test im Februar von Suter bekommen haben, ist eigentlich jene Maschine, die Tom mit seinem Team gemeinsam mit Suter entwickelt hat», ist Interwetten-Teambesitzer Daniel M. Epp überzeugt. «Da steht steht jetzt einmal seit zwei Tests und wohl auch für die ersten zwei Rennen die Entwicklung still. Kein anderer Suter-Fahrer wird konkurrenzfähig sein können – mit grosser Wahrscheinlichkeit. Das meine ich im Vergleich mit den Fahrern anderer Marken. Das hat sich auch beim letzten Test gezeigt und hat uns alle nicht überrascht. Wir wussten: Als Testfahrer ist Tom eindeutig nicht ersetzbar. Aber so ein Motorrad wird ja auch nicht jeden Monat weiterentwickelt.»
Naja, Terol (Rückstand 0,8 sec), Torres und Aegerter sind in Jerez immerhin auf den Rängen 7, 8 und 11 gelandet, könnte man einwerfen. Tom Lüthi beendete den Valencia-Test als Fünfter, Rückstand auf die Bestzeit von Pol Espargaró 0,516 sec.
Dani Epp: «Titel nicht abgeschrieben»
Der siebenfache GP-Sieger Tom Lüthi (26) weiss noch nicht genau, wie er den Katar-GP daheim verfolgen wird. «Die Pläne sind noch nicht genau gemacht. Ich werde mir das Rennen im Fernsehen anschauen; aber wo und wie, das weiss ich noch nicht», sagt er.
Teamchef Dani Epp zeigt sich optimistisch. Er meint, Tom Lüthi müsse die Titelchancen für 2013 noch nicht abschreiben. «Tom hatte 2012 auch drei Nuller», rechnet Epp vor. «In diesem Jahr beginnt er mit grosser Wahrscheinlichkeit mit zwei. Aber ich schreibe diese Saison nicht ab, bevor sie begonnen hat. Der Titel ist nicht für Kalex reserviert, sondern ein bisschen auch für uns. Man sollte die Rechnung nie ohne den Wirt machen. Der Titel ist noch nicht weg. Dass Pol Espargaró als Fahrer einen starken Eindruck hinterlassen hat und als haushoher Favorit gehandelt wird, ist klar. Er ist derjenige, den es zu schlagen gilt. Tom ist einer der wenigen, die das schaffen können. Was am Jahresende im Gesamtklassement bei ihm rauskommt, darüber spekulieren wir jetzt noch nicht. Sobald er zurückkommt, werden wir Rennen gewinnen können.»
Spürt Tom Lüthi vor dem Comeback eine gewisse Unsicherheit? «Klar, der Unfall steckt im Kopf. Aber mir ist klar, wie und wieso es passiert ist», schildert der Berner. «Ich habe den Unfall deshalb bereits verarbeitet. Ich werde erst an einem GP-Wochenende wieder am Rennmotorrad sitzen, es gibt vorher keine Tests. So werde ich gar keine Gelegenheit haben, zuerst mal ein bisschen gemütlich rumzufahren. Und ich hoffe, dass ich nicht erst am 1. Mai weiss, ob ich in Jerez fahren kann. Wenn wir zwei Rennen verpassen, schauen viele nicht mehr auf uns, viele werden uns bis dahin abgeschrieben haben. Wir sind dann die Jäger, nicht die Gejagten. Vielleicht können wir das als positiven Effekt nützen. Das Mentale spielt sicher mit.»