Romano Fenati: Die Geschichte eines Riesentalents
Regel für das nächste Interview: Versuche niemals ein Interview mit Romano Fenati (in der Moto3-WM fünf Punkte hinter Jack Miller auf Platz 2) zu führen, wenn im Hintergrund die Aufzeichnung eines Rennens läuft, an dem er teilgenommen hat. Alle zehn Sekunden, oder sogar häufiger, hört er auf zu sprechen und driftet, ungeachtet der aktuellen Pflichten, in seine eigene Welt ab.
«Sieh dir das an», flüstert der Jerez-Sieger Vittoriano «Vitto» Guareschi, dem VR46-Teammanager zu. «Sieh dir das an… wie er mich überholt. Keine Chance zurückzuschlagen. Aber jetzt sieh dir an, wie hart ich bremse.» «Er» ist in diesem Fall Jack Miller. Der Ort des Geschehens ist Termas de Rio Hondo, der Argentinien-GP. Die letzten zwei Runden. In der letzten Kurve kollidiert Romano leicht mit Jack, hält die innere Linie und gewinnt das Rennen.
Hast du dich bei Jack entschuldigt? «Ja, das habe ich.» Und wie lautete die Antwort? «Das nächste Mal mache ich dasselbe mit dir.»
Bedrohlich? «Nein, das empfinde ich nicht so. Jack ist ein sehr korrekter Fahrer. Ein großartiger Fahrer und netter Kerl. Von Zeit zu Zeit habe ich sogar versucht, außen zu überholen, weil ich wusste, dass er mir genug Platz lassen würde, um auf der Strecke zu bleiben. Er ist ein wahrer Sportsmann. Ich vertraue ihm. Und er kann mir vertrauen, denn diese Berührung war nicht absichtlich. Ich fühle mich sehr unwohl, weil ich ihn angerempelt habe.»
Hättest du das Rennen gewonnen, wenn Jack nicht da gewesen wäre, um dir zu helfen, die Linie zu halten? «Nein, dann hätte ich nicht gewonnen. Doch der Heilige Jack war da und es sollte so sein.» Also werdet ihr früher oder später wieder quitt sein? «Ich denke nicht, dass er das ernst gemeint hat. Meiner Meinung nach wollte er nur bestätigen, dass der Kampf an der Spitze solche Konfrontationen eben beinhaltet und es das nächste Mal auch mir so gehen kann. Dann muss ich es akzeptieren.» Romano weiß, dass das passieren kann, denn im Rennsport sind an gewissen Punkten Berührungen nicht ausgeschlossen.
In vielen Belangen sind sich Miller und Fenati sehr ähnlich. Ihr Fahrstil ist wie ein Sturm, sie kneifen nie. Trotzdem sind sie beide loyal und kommen aus Gegenden, der nördlichen Küste Australiens und den Bergen im Zentrum Italiens, wo ein Mann ein Mann sein muss und sein Wort geben wie ein unterzeichneter Vertrag gilt.
Als Romano 2012 in die Weltmeisterschaft aufstieg, hat er sie im Sturm erobert. Er landete beim Saisonauftakt in Katar auf dem zweiten Rang und gewann bereits seinen zweiten Grand Prix in Jerez. Unfassbar für einen absoluten Neuling. Er ist nach Melandri und Redding der drittjüngste Fahrer, der einen Weltmeisterschaftslauf gewann. Die große Frage der italienischen Presse, und nicht nur dieser, war: Hat Italien den neuen Valentino Rossi gefunden? Wird ein Italiener erneut die Weltmeisterschaft in der kleinsten Klasse gewinnen, wie Dovizioso 2004?
Die folgenden Rennen und die nächste Saison kühlten diesen Enthusiasmus ab. Im weiteren Verlauf der Saison 2012 schaffte Romano noch den zweiten Platz in Mugello und den dritten in Misano. 2013 verschwand er in einem schwarzen Loch: ein achter Platz in Aragón war sein bestes Resultat. War der Traum vorbei?
Noch nicht. Die aktuelle Saison begann ähnlich wie 2012, mit einem zweiten Platz im zweiten Rennen und dem Sieg im dritten. Doch einige Fakten deuten darauf hin, dass das Ergebnis diesmal anders sein könnte – besser.
«Als ich ihn und Francesco Bagnaia zum ersten Mal im VR46-Team sah, habe ich niedergeschlagene junge Kerle getroffen», erinnert sich Teammanager Vittoriano Guareschi. «Sie hatten kein Lachen in ihren Gesichtern. Wie Schulkinder, die Hausaufgaben in einem Fach haben, das sie nicht mögen. Ich sagte mir, dass das Wichtigste nun ist, ihnen wieder Selbstvertrauen und Zufriedenheit zu verschaffen.»
Die KTM-Maschine hatte darauf großen Einfluss. Fenati erklärte: «Ich liebe das Bike. Es fühlt sich wie meines an. Trotzdem braucht es ein absolut perfektes Set-up, damit ich das Beste aus ihm herausholen kann. Es ist seltsam, weil das mir in meiner Karriere noch nie passiert ist. In allen Klassen, seit meiner Minibike-Zeit, konnte ich das immer etwas überspielen, aber bei der KTM ist das nicht möglich. Alles muss perfekt sein.»
Vittoriano fügte hinzu: «Das liegt daran, dass dies eine echte Rennmaschine ist. Bei einer Top-Performance ist die Leistungskurve nicht flach sondern steil und der Grad beim Set-up sehr schmal. Außerhalb dieses Bereichs ist alles unmöglich.»
Das Bike aus Fenatis letzter Saison, eine Honda, die von den kraftvollen diesjährigen Maschinen weit entfernt war, hatte nicht dasselbe Potenzial. Das war ein großes Problem für die Beziehung zwischen Fenati und dem Team Italia. Teamchef Alfredo Mastropasqua sagte stets und vertritt diese Meinung auch heute noch, dass «eine Siegermaschine noch keinen Siegfahrer garantiert. Man muss mit dem arbeiten, was man hat und das Beste daraus machen. Seht euch Miller an: Sorgenfreiheit und Stolz.»
Fenati erklärte dazu: «Vielleicht ist es an einem gewissen Punkt der Karriere nützlich zu lernen, wie man mit einem unterlegenen Bike zurechtkommt. Doch man muss sich der Grenzen bewusst sein.» Vittoriano schüttelt den Kopf: «Ein schlechtes Bike ist nicht das, was man in der Weltmeisterschaft will. In anderen Serien kann es helfen, es auf diese Weise zu lernen. Doch nicht in der Weltmeisterschaft. Wenn man es dorthin schafft, dann sollte man eine siegfähige Maschine haben. Jeder versucht hier, dich zu schlagen.»
Jerez ist ein besonderer Ort für Romano: «Dort habe ich 2012 mein erstes Rennen gewonnen und hier wollte ich 2013 aufgeben. Ich wollte nicht einmal zum Rennen antreten. Also ist es ein wichtiger Ort für mich.»
Gibt dir Valentino Ratschläge? «Nicht auf die traditionelle Weise.» Und gibst du ihm welche? «Diese Freiheit würde ich mir nie nehmen.» Du willst deinen Platz in seinem Team also behalten? Romano lachte laut.
Wirst du die Weltmeisterschaft gewinnen? «Ich weiß es nicht…» Wenn ich diese Frage 2012 gestellt hätte, hättest du wahrscheinlich anders geantwortet. Was hat sich verändert? «Ich bin nun vorsichtiger.» Als Vittoriano Guareschi etwas von «Weltmeisterschaft gewinnen» hörte, reagierte er wie jeder andere Italiener es auch tun würde. Er berührte einen noblen Teil seines Körpers, unter seinem Nabel. Regel für das nächste Interview: Sprich mit einem italienischen Fahrer nie über den Sieg.