Hugh Anderson: Ein Kiwi fliegt zum Sachsenring
Es war Sonntag, der 26. Juli 1964. Über dem Sachsenring strahlte die Sonne – ideale Bedingungen für den siebten Motorrad-Weltmeisterschaftslauf. Nachdem die 350er-Klasse bereits am Vortag ihr Rennen absolviert hatte, startete die Achtelliter-Kategorie zum ersten Rennen des Sonntags.
Schon im Training hatte sich eine Überraschung abgezeichnet. Nicht eine der unter Luigi Taveri und Jim Redman damals die Saison dominierenden Vierzylinder-Honda stand auf Startplatz 1 – nein, dort stellte Vorjahres-Sieger und -Weltmeister Hugh Anderson seine Suzuki-RT64 ab. Er absolvierte einen ungefährdeten Start-Ziel-Sieg und ließ Taveri und Redman 17 beziehungsweise 21 Sekunden hinter sich. Das war nahezu eine Deklassierung!
Hugh Anderson, geboren am 18. Januar 1936, ist bis heute Neuseelands einziger Motorrad-Straßenweltmeister. 1963 wurde er Doppelweltmeister (50 ccm,125 ccm), 1964 50-ccm- und 1965 125-ccm-Titelträger. 48 Mal stand er zwischen 1960 und 1966 auf den Siegerpodesten bei WM-Läufen auf 17 verschiedenen Rennstrecken und in 13 Ländern (25x Siege, 12x Zweiter und 11x Dritter).
Sein Faible für alles rund um Motorräder führte dazu, dass er bereits als 13-Jähriger eine 500er Triumph besaß und mit Erreichen des in seiner Heimat festgelegten Alterslimits von 16 Jahren die ersten Rennen fuhr. Üblicherweise fanden diese auf Grasbahnen statt, und Hugh selbst bewertet noch heute diese Rennart als «ein sehr gutes Training für Straßenrennen».
Als 18-Jähriger gewann er den nationalen Grasbahntitel, absolvierte ein Jahr später das erste Straßenrennen und wurde 1956 neuseeländischer Juniorenmeister in der Kategorie Straßen-Speedway. Letztendlich brachten ihm die zahlreichen Erfolge in den Clubman-Rennen (gleichzusetzen etwa den damaligen deutschen Ausweisklassen) den Aufstieg zu den Senioren. Dort traf er unter anderem auf Rod Coleman und John Hempleman. Sein Rennuntersatz war nun eine BSA-Goldstar, die er mit Bremsen einer AJS 7R (bekannt als «Boy Racer») ausgerüstet hatte.
Der WM-Einstieg 1960
Aus der erfolgreichen nationalen Zeit ergab sich dann der Entschluss, auf die große Rennbühne - das bedeutete damals ausschließlich Europa - zu wechseln. Er orientierte sich an den Beispielen vieler anderer aus dem Commonwealth stammender Rennfahrer und bezog zur Saison 1960 in Großbritannien Quartier. Im Renntransporter, den er gemeinsam mit seinem Bruder Gordon chauffierte, standen nun eine 350-ccm-AJS 7R und eine 500-ccm-Norton Manx.
Die Anfangszeit war nicht einfach, und nachdem während der Isle-of-Man-TT beide Maschinen erhebliche Defekte erlitten, stand sogar alles Weitere in Frage. Doch der neuseeländische AJS-Importeur Percy Coleman war von Hughs fahrerischen Qualitäten seit des «Hutchinson 100» in Silverstone so beeindruckt, dass er ihm anbot, eine seiner 7R zu fahren. Hugh vergaß ihm das nie, sie wurden Freunde auf Lebenszeit.
Bereits nach seinem vierten WM-Lauf, dem Ulster-Grand-Prix, stand Hugh dann auf der besten für einen Privatfahrer damals möglichen Stufe des Podestes – die MV-Agusta unter John Surtees und John Hartle fuhren in einer eigenen Liga. Doch mit Namensvetter Bob Anderson, Dickie Dale und Paddy Driver ließ er absolute Spitzenkönner hinter sich.
Sturz und Schädelbruch 1961
Bevorzugtes Betätigungsfeld der Privatfahrer waren damals die nicht zur Weltmeisterschaft zählenden nationalen Rennen, denn dort war die Dotierung für sie weit besser. So siegte unser Neuseeländer 1961 in Salzburg, St.Wendel und Tubbergen. Nach dem Tubbergener Rennen, das nur eine Woche vor der Dutch TT in Assen stattfand, musste Hugh das Getriebe seiner Norton auseinandernehmen. Das geschah unter großem Zeitdruck und er kam sehr spät in Assen an. Zu Beginn des 350er-Rennens duellierte er sich mit den Bianchis von Bob McIntyre und Ernesto Brambilla so hart, dass er schwer stürzte. Das Resultat: Schädelbruch und komplette Eingipsung.
Nun kam wieder ein Sprichwort zum Tragen: Jede Sache hat zwei Seiten. Die gute: Er lernte die Krankenschwester Janny kennen. Auch als Patient muss Hugh überzeugend gewesen sein. Janny wurde Mrs. Anderson und ist es auch heute noch.
Zu Beginn des Jahres 1962 war Suzuki auf der Suche nach erstklassigen Fahrern, die ihre nun mit «Degner-Power» ausgestatteten Maschinen pilotieren sollten. Durch die Vermittlung des Shell-Managers Lew Ellis wurde die «Ehe» Suzuki-Anderson im Auto des Managers auf der Isle of Man geschlossen. Sein erstes Suzuki-WM-Podium erzielte der Neu-Werksfahrer als Dritter der 50-ccm-Klasse auf dem Sachsenring, seine ersten Siege in WM-Läufen (50 ccm und 125 ccm) erzielte er am 14. Oktober 1962 in Argentinien.
1965, als er am Saisonende überlegen 125-ccm-Weltmeister war, musste er den Lauf in Sachsen aufgrund einer beim Motocross-Training erlittenen Beinverletzung auslassen. Nach den bereits erwähnten Erfolgsjahren 1963 und 1964 startete Hugh Anderson aber auch 1966 – dem letzten Jahr seiner Rennkarriere – auf dem Sachsenring. Seine letzte Saison stellte ihn aber in keiner Weise zufrieden. So wurde der dritte Platz in der 50-ccm-Klasse beim Grand Prix von Japan am 17. Oktober 1966 sein letzter WM-Podestplatz.
Hugh Anderson: Die Rückkehr zum Sachsenring
Hugh lebt seit 1969 mit seiner Familie – er und Janny haben zwei Töchter und einen Sohn – wieder in der Heimatstadt Hamilton. Nun lässt er nach 2010 zum zweiten Mal am Sachsenring seine Erinnerungen wieder aufleben.
Er selbst bewertet diesen Ort so: «Obwohl mein ‹Heim-Grand-Prix› in Assen und der TT-Kurs auf der Isle of Man mich auch begeisterten, war der Sachsenring die von mir favorisierte Rennstrecke. Diese Kombination von schnellen und langsameren Kurven – insbesondere durch den Ort – in Abwechslung mit langen Geraden und Abfahrten lag mir sehr gut. Es ist außerdem Teil meiner Natur, dass meine Leistung immer besonders gut ist, wenn die Gesamtatmosphäre stimmt. Je mehr Zuschauer da waren – und am Sachsenring waren das ja immer mehr als 200.000 Begeisterte und Sachkundige, desto härter konnte ich arbeiten und schneller fahren. Diese Atmosphäre schien mich zu befreien von Zwang, Spannung und Druck.»
Hugh freut sich schon heute sehr, wieder zum Sachsenring zurückzukommen, dort alte Freunde und Kontrahenten wieder zu treffen sowie das einmalige Fluidum zu spüren.
Im Dezember 2014 kam sein Buch mit dem Titel «Being There» heraus. Es ist die erstklassige Dokumentation des Lebens eines wunderbaren Menschen, die er im Juni während der ADAC Sachsenring Klassik (19. bis 21. Juni 2015) anbieten und signieren wird.