Heinz Kinigadner: Auf dem Kohlezug durch die Wüste
Auf solch einen Güterzug hat Heinz Kinigadner nach seinem Ausfall sein Motorrad verladen müssen
Im 'Interview der Woche' erinnert sich Offroad-Legende Heinz Kinigadner an die Anfänge im Rallyesport. «1986 bin ich in die 500er-Motocross-WM gewechselt und habe in dieser Zeit schon schwere Rückenprobleme gehabt. 1987 brauchte ich vor jedem Rennen schmerzstillende Spritzen, dass ich mich überhaupt bewegen konnte. Ich konnte fast nicht mehr trainieren, weil ich mir nicht für das Training eine schmerzstillende Spritze geben wollte. Das war dann relativ vermurkst. Ich musste mit dem Sport aufhören.»
Die Rallye-Anfänge
«Nach dem Ende meiner Motocross-Zeit hat mich im Jahre 1989 der italienische Importeur angerufen und mich gefragt, ob ich nicht in Peru eine Rallye fahren wolle. Doch schon am ersten Tag bin ich gleich mit einem extremen Crash ausgeschieden. Mein Motorrad ist 40 Meter die Felswand heruntergeflogen und ist unten zerschellt.»
Kinigadners erster Rallye-Exkurs war also ein klassischer Fehlstart. «Nach diesem Absturz habe ich mir gesagt: Okay, das Rallye-Fahren ist nichts für mich, da lebe ich nicht mehr lange. Dann bin ich aber doch die spanische Enduromeisterschaft gefahren. Das war gerade während der schwierigen Zeit bei KTM, in der ich nur noch mit den Importeuren Kontakt hatte. Gleichzeitig haben sie in Spanien mit einer Rallyemeisterschaft begonnen, 300, 400 km markiert, ohne Roadbook. Dort habe ich so richtig Gefallen an dem schnellen Motorradfahren gefunden und es war zugleich mein Einstieg in die Rallye-Szene.»
KTM kommt zurück - mit Kini und Breitenwirkung
«Als dann KTM mit Stefan Pierer, Barbara Kennedy und mit mir in einer sehr, sehr kleinen Gruppe neu begonnen hat, haben wir die ersten Rallye-Einsätze in Tunesien, Korsika und in Spanien absolviert und schnell gemerkt, dass man diese Einsätze viel besser vermarkten kann als alles andere, was ich zuvor gemacht habe. Plötzlich gab es große Artikel in der Tagespresse. Die hat es vorher höchstens dann gegeben, als ich Weltmeister geworden bin.»
Der Plan vom leichteren Motorrad
«Ich habe Stefan Pierer gefragt, ob wir nicht mit unserer LC4 [Anm.: Wassergekühlter Einzylinder mit über 600ccm Hubraum] die Dakar fahren wollen. Damals sind bei den Rallyes nur Zweizylindermotorräder unterwegs gewesen: BMW, Cagiva, Honda usw. Alles irre schnelle Motorräder, schwere Motorräder, 250kg aufwärts und kein Federweg. Im Feld waren vielleicht nur 10 Fahrer, die das Motorradfahren wirklich beherrscht haben. Die Anderen waren Abenteurer. Wenn diese Leute im Sand umgekippt sind, haben sie das Motorrad selber nicht mehr aufheben können, weil es viel zu schwer war. Ich habe das gesehen und gesagt: Wir können mit unserem kleinen, leichten und wendigen Motorrad die Privatfahrer viel besser bedienen. Die KTM, damals noch mit 620 ccm, fährt auch 130 bis 140 km/h. Viel schneller wird in der Wüste nicht gefahren. Das war die Idee, warum ich mit KTM 1994 die erste Dakar-Rallye gefahren bin. Mit diesem Auftritt waren wir plötzlich in jeder Zeitung überall vertreten. Das war ein Schritt in eine breite Öffentlichkeit, den wir mit Motocross nicht geschafft haben. Plötzlich hat mich ich in Wien jeder Taxifahrer gekannt, nur weil ich bei der Dakar-Rallye angetreten bin. Von meinen Motocross-WM-Titeln war in der Breitenwirkung sehr viel weniger da.»
Der Weg vom Offroad zur Straße
So entwickelte KTM die ersten Motorräder, die nicht nur reine Geländemaschinen waren, sondern auch straßentauglich. «Für KTM war das der Schritt hin zur Straße. Aus den Rallye-Fahrzeugen sind ja schließlich die Adventure-Modelle entwickelt und verkauft worden. Diese Motorräder waren straßentauglich. Die Einsätze haben an der Stelle schon sehr viel bewegt, wenn es auch sehr lange gedauert hat, bis wir im Jahre 2001 zum ersten Mal die Dakar gewonnen haben.»
Etappenziel auf dem Kohlezug
«Meine erste Dakar-Rallye war damals noch Paris-Dakar-Paris. Wir haben ein Sponsoring von Metzeler in Form von Rallyereifen mit Mousse bekommen, die aber überhaupt nicht funktioniert haben. Nach 250 km ist mir der Reifen weggeflogen und ich bin auf eine Eisenbahnlinie gestoßen, bei der ich mir gedacht habe, dass die sicher nach Nouakchott führt, wo das Etappenziel war. Ich wollte irgendwie aus der Wüste herauskommen. Erst habe ich versucht, den Zug aufzuhalten, aber der Zug hielt sowieso in einer kleinen Ortschaft. Dort war Militär vor Ort. Die Soldaten haben mir geholfen, das Motorrad auf den 4 Meter hohen Kohlewagen zu hieven. Das war ein kilometerlanger Erzzug. Der Lokführer kam über die Waggons zu mir und fragte, ob er etwas für mich tun könne. Ich fragte nach einer Tarnung, dass man mich nicht auf dem Waggon erkennt, wenn wir nach Nouakchott kommen. Zwei Helfer haben mir Jutesäcke gebracht, die sie mit Kohle gefüllt haben. Damit haben wir links und rechts eine Barriere gebaut, dass man mich von unten nicht mehr sehen konnte. So bin ich auf dem Zug ans Etappenziel gekommen. Der Güterzug mit zwei Loks vorne und zwei Loks hinten ist direkt am Camp vorbeigefahren und ich habe das Motorrad frei vom Wagen heruntergeschmissen. Dann war auch noch der Lenker gebrochen. Ich kam kohlrabenschwarz im Fahrerlager an, denn oben auf dem Wagen hat es ja gestaubt wie verrückt. Ich bin an diesem Tage ans Etappenziel gekommen und bin so auch weiter in der Wertung geblieben. Leider hatte ich am nächsten Tag einen Getriebeschaden. Ich konnte ja auch gar nicht navigieren. Ich bin den anderen Teilnehmern einfach nur hinterhergefahren. Während der Fahrt habe ich ein metallisches Geräusch gehört, habe nachgesehen und war erschrocken, dass der Motorblock einen 2 cm breiten Spalt hatte. Das Getriebe hatte den Motorblock komplett aufgesprengt. Das ganze Öl war ausgelaufen. Ich bin mit diesem Motor noch fast 200 km gefahren, am Ende nur noch mit dem 3. Gang. 100 km vor dem Etappenziel hat sich dann aber der Motor vom Getriebe getrennt. Der Motor ist noch gelaufen, hatte aber keinerlei Vorwärtstrieb mehr.»
Chaos und Disqualifikation
«Der Begleit-LKW, auf dem mein Ersatzmotor war, kam allerdings an diesem Tage nicht an. Ich habe mit dem Veranstalter verhandelt, weil wir doch relativ viel Geld bezahlt haben und jetzt kam der LKW mit meinem Reservemotor nicht an. Auf dem anderen LKW war der Motor von Jutta Kleinschmidt. Der Veranstalter genehmigte mir den Einbau ihres Ersatzmotors. Nach der Zielankunft in Dakar sind dann die Kommissare zu mir gekommen, haben meinen Motor reklamiert und mich disqualifiziert. Ich erklärte, dass ich mit meinen zwei Tagesausfällen sowieso schon 4 Stunden hinter dem Letzten bin. Ich wollte wenigstens wieder zurück nach Paris fahren aber die Kommissare blieben hart und meinten, ich wolle mir Sonderrechte erschleichen, weil ich Motocross-Weltmeister bin. So musste ich mir in Dakar noch für viel Geld einen Sondertransport für mein defektes Motorrad organisieren. Ich konnte nicht mehr lernen, was ich gerne auf dem Rückweg getan hätte.»
Alternative Lumpensammler
«Als es mir den Reifen zerrissen hat, war ich noch sehr weit von der Eisenbahnstrecke entfernt. Ein LKW-Kipper, der mit mehreren 200-Liter-Wasserfässern beladen war, hat mich zuerst aufgelesen und zu der Eisenbahnlinie gebracht. Aber die Wasserfässer sind während der Fahrt umgefallen. Ich bin hin und her gesprungen, weil ich wusste: Wenn mich so ein 200-Liter-Fass erwischt, dann bin ich platt. Und wenn der Zug nicht gewesen wäre, hätte ich auf den Lumpensammler warten müssen. Ich habe aber von allen Teilnehmern gehört, dass man keinesfalls auf den Lumpensammler gehen sollte. Der Lumpensammler ist meistens erst einen Tag später gekommen. Das war ein Planenwagen, auf den sie Motorrad und Fahrer verfrachtet haben. Auf der Ladefläche standen ein paar Sessel. Man konnte nichts sehen. Wenn du Pech hattest, war das nächste Etappenziel aber 300 oder 400 km entfernt - ohne Straßen auf der Ladefläche durchs Gelände. Oft haben sich während der Fahrt die Motorräder gelockert. Dann ist der LKW jedes Jahr mindestens einmal umgekippt. Das waren die richtigen Abenteuer, von denen ich Dir aber gottseidank nicht erzählen kann, weil ich da nie mitgefahren bin.»