Wie Heinz Kinigadner seine Gegner mental zermürbte
Heinz Kinigadner wurde 1984 und 1985 Motocross-Weltmeister
Heinz Kinigadner zu beschreiben, ist eine echte Herausforderung: 'Offroad-Legende' trifft es schon ganz gut, wird aber seinen Verdiensten um die österreichische Motorradindustrie nicht gerecht. Kini ist Sportler, Abenteurer und Visionär zugleich, der sich mit eisernem Willen für medizinische Fortschritte im Bereich der Rückenmarksforschung einsetzt - Stichwort 'Wings For Life'. Der gelernte Bäcker und Konditor machte im Offroadsport gleich in zwei Kategorien Karriere: Als zweifacher Weltmeister im Motocross und als Rallyefahrer bei den schwersten Wüstenrallyes der Welt. Heinz Kinigadner ist eine Institution. Das 'Interview der Woche' sprengt die Zeitmarke von einer Stunde, denn mit und über Kini ließen sich Romane füllen und Filme drehen.
Würden die Stories von Heinz Kinigadner in einem fiktionalen Drehbuch erzählt, würde jeder Redakteur oder Regisseur diese Geschichten als unrealistisch abtun. Aber Kini hat sie erlebt, mit allen Höhen und Tiefen, die ein Mensch erleben kann.
Heinz Kinigadner begann in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren mit Motocross auf der österreichischen Marke Puch, die es heute nicht mehr gibt. Bezugnehmend auf den Puch-Doppelvergasermotor, von dem Harry Everts ebenfalls im 'Interview der Woche' schwärmte, und mit dem der Belgier 1975 die 250ccm-Motocross-WM gewonnen hatte, meinte der Tiroler: «Als ich zu Puch kam, war diese Phase schon vorbei. Es gab noch Experimente mit Drehschiebereinlass mit Rotax-Motoren.»
Die frühen 1980er Jahre waren die Sturm- und Drangzeit der Motocross-Technologie. «Ich bin 3 Jahre lang auf Puch gefahren, von 1979 bis 1981. Das war die spannendste Zeit im Motocrosssport überhaupt. Es gab weder Wasserkühlung, noch Scheibenbremsen oder Zentralfederung. Alle großen technischen Neuerungen sind in dieser Zeit entwickelt worden.»
«Die Zweitaktmotoren hatten eine brachiale Leistungsentfaltung und auch sonst war man weit weg von dem Wissen von heute. Der sportliche Leiter von Puch empfahl mir, vor jedem Rennen, die damals noch über 40 Minuten plus zwei Runden gingen, ein blutiges Steak zu essen, so, wie es Harry Everts zu seiner Zeit bei Puch gemacht haben soll. Das sei das Einzige, was dir Kraft gibt, so ein Rennen durchzustehen. Ich habe das aber verweigert und gesagt, ich bekomme vor dem Rennen kein blutiges Steak herunter. Solche Zeiten waren das.»
Auch wenn Puch das Prinzip des Doppelvergasermotors mit kombiniertem Drehschiebereinlass wieder verworfen hatte, blieben die Österreicher weiterhin innovativ und übernahmen in der 250er-WM eine Vorreiterrolle. «In meinem ersten WM-Jahr 1981 bekam ich in der Mitte der Saison in Holice (CSSR) einen wassergekühlten Motor. Dieser Motor war extrem viel besser als alles andere, was ich bis dahin unter der Sitzbank hatte. Ich bin sicher, dass es das beste Motorrad im Feld war. Ich habe mit meinen 85-86 kg einige Starts gewonnen, auch gegen den aufkommenden George Jobé. Starts waren mit meinem relativ hohen Gewicht immer ein Problem. Aber mit der Puch habe ich fast jeden Start gewonnen. In meiner ersten Saison war ich nur fahrerisch noch nicht so weit.»
Kinigadner beherrschte in seiner aktiven Zeit eine Vielzahl psychologischer Tricks, um seine Gegner zu beeindrucken. Er erinnert sich an eine Begebenheit aus dem Jahre 1985, dem Jahr seiner Titelverteidigung. «Es war in Mongay in Spanien. Ich bin als 14ter gestartet und habe in extremer Hitze den ersten Lauf gewonnen. Die WM hatte ich aber schon abgeschrieben, denn eine Woche zuvor fand ein Schlammrennen in Frankreich statt, bei dem ich einen Stein ins Auge bekommen hatte und deshalb im ersten Lauf ausgefallen war. Im zweiten Lauf bin ich dann mit zugeklebtem Auge angetreten und bin noch hinter Jacky Vimond Zweiter geworden. Ich lag aber in der WM inzwischen fast 40 Punkte zurück und bin nach dem Rennen erst einmal mit der Familie nach Loret de Mar gefahren und habe die ganze Woche Urlaub gemacht. Beim nächste Rennen in Spanien herrschten fast 40 Grad, aber ich war plötzlich viel stärker als alle anderen. Jacky Vimond und Michele Rinaldi sind nach dem ersten Lauf im Ziel beide umgefallen und ich bin nach der Siegerehrung mit dem Helm auf dem Kopf zu Fuß durchs Fahrerlager gestiefelt und bin erst einmal in jedes Zelt reingegangen, um zu fragen, ob denn bei ihnen alles in Ordnung sei. Von diesem Moment an meinten alle, ich sei konditionell sehr viel besser als alle anderen. Mir hat das einen zusätzlichen Aufschwung gegeben. Und wenn ich dann nach 30 Minuten nur eine einzige schnelle Runde gefahren bin, sind die Gegner sofort eingebrochen, weil sie dachten, dass jetzt der Kinigadner wieder mit seiner extremen Kondition daher kommt. Aber eigentlich hatte ich nichts anders gemacht als vorher.»
Heinz Kinigadner konnte seine Gegner aber auch auf technischem Gebiet mental beeindrucken. «Einmal hatten wir einen Knoten in den Auspuff gemacht und das ganze Fahrerlager hat gegrübelt, was das jetzt für eine Neuerfindung sei. Mein Teamkollege bei KTM war Arno Drechsel. Wenn er im Training einmal richtig schnell unterwegs war, bin ich zu ihm ins Zelt gegangen und habe gefragt, ob denn der neue Kolben bei ihm auch so gut funktioniert. Es gab aber keinen neuen Kolben. Doch Arno Drechsel war verunsichert, weil er annehmen musste, dass ich bevorzugt würde. Er hat ganz große Augen gemacht und ich habe gewusst, dass das Wochenende schon wieder in meine Richtung gelaufen ist, weil er wieder nervös geworden ist.»
Das komplette Interview der Woche mit Heinz Kinigadner: