'Interview der Woche' mit Crosslegende Willy Bauer
Willy Bauer - eine Kämpfernatur
Kein anderer Fahrer in der bundesdeutschen Motocross-Geschichte war dem WM-Titelgewinn so nah wie er. Willy Bauer wurde am Saisonende 1973 bereits als neuer Weltmeister der 500ccm-Königsklasse gekürt und gefeiert, als er Monate später durch eine umstrittene Entscheidung des FIM-Herbstkongresses seinen Weltmeistertitel wieder verlor. Die Zeit der 1970er Jahre waren geprägt durch zahlreiche Scharmützel auf und neben der Strecke. In den Jury-Meetings ging es oft heiß her, Regularien wurden 'ad hoc' über Bord geworfen oder in Form von 'supplementary regulations' je nach Interessenlage geändert. In jener Zeit teilweise noch handgeschriebene Ergebnislisten wurden annulliert, korrigiert, angefochten, es wurde protestiert und diskutiert, kurzum, es war eine wilde Zeit des Motocross, die man sich heute kaum noch vorstellen kann.
Aus heutiger Sicht völlig undenkbar wären die Ereignisse zu Beginn und am Ende der Saison 1973 gewesen. Der schwäbische Maico-Werksfahrer Willy Bauer steht am Höhepunkt seiner Karriere. Er war noch gegen Paul Friedrichs gefahren, der zwar die gleiche Nationalität wie er hatte, aber für ein anderes Land, die DDR, startete. Die 1970er Jahre waren die Zeit, in der sportliche und technische Erfolge besonders von den osteuropäischen Ländern als Nachweis für die Überlegenheit des jeweiligen politischen Systems instrumentalisiert wurden.
Der zweite Lauf zur Motocross-WM der Klasse bis 500ccm am 15. April 1973 in Sittendorf nahe Wien, drohte im Schnee zu versinken. Bereits das ganze Wochenende hatte es geschneit und in der Nacht zum Sonntag hatte es weitere 70 cm Neuschnee gegeben.
Jedes teilnehmende Land entsandte jeweils ein stimmberechtigtes Jury-Mitglied. In Sittendorf gab es eine 5:3-Mehrheitsentscheidung, das Rennen unter diesen Bedingungen nicht zu starten. Doch das österreichische Fernsehen ORF war mit Übertragungstechnik vor Ort. Das Rennen sollte live im Fernsehen gesendet werden. Man entschied sich für einen Kompromiss, einen Start mit reduziertem Fahrerfeld ohne Punktevergabe für die Weltmeisterschaft. Die Hauptprotagonisten, DeCoster, Bauer und van Velthoven, starteten nicht.
In dieser Zeit wurden 20 Läufe ausgetragen und weil es stets eine hohe Ausfallquote gab, wurden 9 Ergebnisse gestrichen. Am Saisonende im August 1973 war Willy Bauer Weltmeister vor Roger DeCoster. Beim Herbstkongress der FIM im Oktober 1973 wurde dieses Ergebnis aber nicht homologisiert und die Jury-Entscheidung von Sittendorf für nichtig erklärt. Das hatte Auswirkungen auf die Streichresultate und den Ausgang der WM, denn es wurden andere Rennen gestrichen. Willy Bauer hatte 1973 die meisten Siege, aber auch zahlreiche Ausfälle. DeCoster war über die Saison der konstantere Fahrer, ihm spielte die Wertung von Sittendorf in die Karten. Bauer verlor durch diese Entscheidung am grünen Tisch seinen WM-Titel und Roger DeCoster wurde zum Weltmeister des Jahres 1973 erklärt. Nach Abzug der 9 Streichresultate (ohne Sittendorf) hätte Bauer 127 Punkte gehabt und DeCoster 123. Mit dem Rennen in Sittendorf lag DeCoster mit 145 Punkten vorn, Bauer kam in diesem Fall nur auf 143 Punkte - Rang 2. Obwohl keiner von beiden in Sittendorf gestartet ist, ergibt sich ein Unterschied im Ergebnis, weil man einmal von 20 Läufen (mit Sittendorf) und ansonsten von 18 Läufen (ohne Sittendorf) ausgeht. Bei 9 anzuwendenden Streichresultaten ergibt sich dadurch eine andere Punktzahl von Streichergebnissen.
«Die Tschechoslowaken wollten fahren, weil sie das Startgeld haben wollten. Die Österreicher sind für den ORF gefahren. Über diese eindeutige Jury-Entscheidung ist aber am Jahresende noch einmal abgestimmt worden», wundert sich Willy Bauer noch heute.
Am Saisonende 1973 konntest du schon deinen WM-Titel feiern?
«Ja. Ich bin auch schon von der FIM angeschrieben worden, für Fotomaterial usw. Aber die belgische Föderation mit René Brunell an der Spitze war zu jener Zeit enorm stark. Ich sehe das Problem in der deutschen Föderation, die einfach nicht durchsetzungsfähig war. Diejenigen, die im Herbst beim FIM-Kongress abgestimmt haben, waren nicht in Sittendorf vor Ort. Man kann doch nicht über etwas abstimmen, worüber man nicht Bescheid weiß.»
Nach all den Vorkommnissen: Der wahre Weltmeister des Jahres 1973 heißt also Willy Bauer!
«Ich hätte niemals damit gerechnet, dass es zu dieser Entscheidung kommt. Als es dann soweit war, hatte man als Fahrer keinerlei Möglichkeiten, irgend etwas dagegen zu tun. Wenn die Jury-Entscheidung gefallen ist, ist sie gefallen. Dann ist die Sache erledigt. Wenn aber ein Wettkampf so ausgeschrieben ist, dann ist das gültig und nicht das, was man vielleicht gemacht hätte, wenn es anders gewesen wäre.»
Deine Karriere wurde später durch einen tragischen Unfall beendet, der dich seither an den Rollstuhl fesselt. Wie ist der Unfall passiert?
«Es geschah beim WM-Lauf in Schottland (Kilmartin). Dort gab es eine Abfahrt und in der Talsohle plötzlich einen sehr weichen Untergrund. Es war im Zeittraining, ich habe zu meinem Mechaniker geschaut und bin ganz langsam über diese Stelle gerollt. Wenn man schnell über diesen Bereich gefahren ist, hat man das gar nicht bemerkt. Als ich langsam in diesen weichen Untergrund hineinfuhr, ist das Vorderrad versackt und stehengeblieben. Mich hat es kopfüber runtergehauen. Ich wollte aufstehen und dachte mir, warum habe ich die Beine in die Höhe gestreckt? Aber es war ein Phantom. Es war ein harmloser Sturz durch eine kleine Unachtsamkeit.
Bist du am Boden von deinem eigenen Motorrad getroffen worden?
«Nein, ich glaube nicht. Ich bin über den Lenker abgestiegen und meine Wirbelsäule ist dabei gestaucht worden.»
Welcher Wirbel war betroffen?
«Der 8. Brustwirbel war zersplittert.»
Hast du die Folgen, dass du für den Rest deines Lebens im Rollstuhl sitzen wirst, schnell realisiert?
«Eigentlich nicht. Ich bin mit dem Hubschrauber nach Glasgow ins Krankenhaus transportiert worden. Ich wollte aber dringend nach Hause. Ich war ja auch nie bewusstlos und hatte auch keine großen Schmerzen. Ich habe zu Hause angerufen und ein guter Freund, Günther Nothstein, hat den ADAC informiert und ich bin noch in der Nacht nach Deutschland ausgeflogen worden. Dort bin ich dann operiert worden. Der Arzt meinte, sie hätten bei der OP ein paar Splitter entfernt, die auf den Nerv gedrückt hätten, aber in 3 Wochen könne ich wieder gehen. Von da an habe ich den Doktor nie mehr gesehen. Nach drei Wochen habe ich langsam realisieren müssen, dass ich nicht mehr laufen kann.»
Du hast aber den Neuanfang für dein Leben danach gut gemeistert.
«Ich bin 1979 von 'Total' angesprochen worden und habe danach gleich mit dem Renndienst angefangen. Ich habe also nahtlos im Motorsport weitermachen können. Den Renndienst habe ich bis 2016 gemacht. Mit 69 habe ich aufgehört.»
Bist du zwischendurch in ein Loch gefallen?
«Ich habe mir die Frage gestellt, will ich weitermachen oder nicht. Nachdem ich mich fürs Weitermachen entschieden habe, war klar, dass ich das Beste aus der Situation machen muss und ich glaube, es ist mir relativ gut gelungen. Ich habe zwar nicht mehr laufen können, aber ich habe wenig versäumt.»
War das der härteste Kampf deines Lebens?
«Das ganz sicher. Das ist ein Einschnitt im Leben, der nicht viel gravierender ausfallen kann. Ich bin im Herbst 1979 schon wieder bei Motocross-Rennen und später auch beim Straßenrennen gewesen. Dabei sein ist eben etwas anderes als zu Hause zu sitzen und aus dem Fenster zu schauen.»
Das komplette Interview (Teil 1) mit Willy Bauer: