Jonas Folger: Das Ende der Vertuschungen
Jonas Folger
Das Tech3-Yamaha-Team und die amerikanische Wasserman Group, die sich seit eineinhalb Jahren um die geschäftlichen Belange von Jonas Folger kümmert, werden vielleicht schon am morgigen Dienstag Einzelheiten zum Zustand des MotoGP-WM-Zehnten mitteilen.
Folger selbst hat vor seiner Abreise in Motegi erstmals offen über jene heimtückische Krankheiten gesprochen, die ihn in der Vergangenheit schon mehrmals heimgesucht haben – Epstein Barr Virus und Pfeiffersches Drüsenfieber.
Die Symptome reichen von Schwindelgefühlen über Kopfweh bis zu Erbrechen und Zusammenbrüchen.
Im GP-Sport wurden die Probleme erstmals in der Saison 2011 offenkundig. Folger fuhr damals im Red Bull Ajo-Team die 125er-WM. Er litt in Le Mans unter einer Chlamydien-Infektion, in Brünn brach er am Donnerstag beim Rundgang um die Strecke zusammen. Da die Ursache nicht ergründet wurde, gab ihm der Rennarzt in Brünn Startverbot.
Seit berichtet wurde, dass Jonas Folger in Motegi am Dienstag und Mittwoch nicht einmal das Bett verlassen konnte, obwohl er vorher zwei GP-freie Wochenenden hatte und sich nach Aragón erholen und Energie tanken wollte, meldeten sich bei Tech3-Teambesitzer Hervé Poncharal einige Teamchefs und ehemalige Teammitglieder des Bayern mit nicht gerade verheißungsvollen Erzählungen. Aspar-Sportdirektor Gino Borsoi berichtete von gesundheitlichen Problemen in der Moto3-WM 2012 und 2013.
«Ja, ich erinnere mich auch daran. Ich bin damals im Aspar-Team in der MotoGP die der Claiming-Rule-Aprilia gefahren», sagte Randy de Puniet in Australien. «Ich drücke Jonas die Daumen. Hoffentlich kommt er bald wieder auf die Beine.»
Erste Symptome mit 10 Jahren
Zumindest für die deutschen oder bayerischen GP-Teammitglieder im Paddock waren die immer wiederkehrenden Beschwerden von Jonas Folger ein offenes Geheimnis.
Denn sie sind erstmals in seiner Minibike-Zeit im Alter von zehn Jahren offenkundig geworden.
Auch AGR-Teambesitzer Karlos Arguiñano, für den Folger 2014 und 2015 die Moto2-WM bestritt, hat inzwischen bei der Dorna seine unerfreulichen Beobachtungen geschildert.
Auch dem Dynavolt Intact GP-Team blieben die gesundheitlichen Probleme 2016 nicht verborgen.
Aber Jonas Folger hoffte natürlich, dieser Kelch werde irgendwann an ihm vorübergehen. Er wollte seine Karriere nicht aufs Spiel setzen. Im Spitzensport darf man keine Schwäche offenbaren. Welches Team würde einen Rennfahrer mit einer angeschlagenen Gesundheit und einer mysteriösen Krankheit engagieren?
Es blieb Jonas Folger und seinem Umfeld nichts anderes übrig, als eine Mauer des Schweigens zu errichten. Trotzdem sickerten immer wieder Bruchstücke der Krankheitssymptome durch.
Jonas musste sich immer wieder bemühen, seine Energiespeicher zu füllen. Das ging am besten in der Winterpause. Er kam dann gestärkt in die Saison, er schaffte jahrelang die besten Ergebnisse bei den ersten Rennen in Katar, Jerez und Le Mans. Und er fuhr oft im Regen deutlich besser als im Trockenen, vielleicht auch, weil er dann weniger Energie beanspruchte.
2017 war es mit dieser Überlegenheit im Regen plötzlich vorbei. Rätselhaft.
Vielleicht war die Belastung in der MotoGP im Vergleich zu 125 ccm, Moto3 und Moto2 um so viel höher, dass die Energie manchmal selbst bei nasser Fahrbahn nicht mehr ausreichte.
Heute weiß Tech3-Teamchef Poncharal: Folger ist am Wochenende vor dem Spielberg-GP mit seinen Kräften am Ende gewesen, er hätte seine Teilnahme am Österreich-GP fast abgesagt. Es gab dann Bremsprobleme in Spielberg und Silverstone und einen Crash mit 280 km/h im Warm-up in England, was dem leidgeprüften MotoGP-Rookie vielleicht die letzte Energie geraubt hat.
Jonas Folger kollabierte dann am Donnerstag in Aragón in der Hospitality und vor dem Abflug nach Tokyo vor dem Japan-GP. Nach dem Desaster in Japan haben Jonas Folger, sein Management und das Tech3-Team eingesehen, dass es bei dieser bakteriellen Erkrankung wenig Aussicht auf eine schnelle Genesung gibt.
Erste Anzeichen in Spielberg
Das Tech3-Team rechnet auch für Valencia-GP nicht mit einem Erscheinen von Jonas-Folger, der am 2. Juli auf dem Sachsenring die beste Vorstellung seines Lebens gab und Marc Márquez beim Kampf um den Sieg alles abverlangt hat.
Man konnte sich ausmalen, dass die MotoGP-Werksteams für 2019 schon die Ohren spitzten.
Ganz Deutschland war froh, wieder einen aussichtsreichen Fahrer in der MotoGP-WM zu haben. Einen kompromisslosen Fighter, ein begnadetes Talent, das nach den ersten Achtungserfolgen (125 ccm/Moto3) eingesehen hatte, dass es sich manchmal zu sehr auf die natürliche Begabung verlassen hatte, dann den Wohnsitz nach Spanien verlegte und alle Register zog, um ein makelloser Weltklassefahrer zu werden und sich den Traum von der MotoGP zu erfüllen.
Aber ausgerechnet zum ungünstigen Zeitpunkt in dieser Saison brach Jonas Folger zusammen.
Wer Jonas kennt, konnte die Symptome bereits in Spielberg mit freiem Auge feststellen.
Inzwischen kommen uns Sportler wie Sven Hannawald, Stuntfahrer Christian Pfeiffer oder Enduro-Weltmeister Tadeusz Blazusiak in den Sinn, die der wachsenden Belastung und dem Stress nicht dauerhaft gewachsen waren. Egal, ob es sich um Burn-out, Epstein-Barr, Pfeiffer’sches Drüsenfieber oder um ein Erschöpfungssyndrom wie bei Casey Stoner und Manuel Poggiali handelt – die Situation ist ernsthaft.
Denn es ist in solchen Fällen nicht nur der Körper angeschlagen, sondern auch die Psyche. «Jonas war wie ein Geist», sagte Hervé Poncharal in Japan.
Der Yamaha-Pilot war schon nach dem Aragón-GP völlig niedergeschlagen, ratlos, fast depressiv.
Jetzt wurde bis auf weiteres völlige Ruhe verordnet. Am besten kein Fernsehen, kein Radio, kein Internet, kein Telefon.
Momentan ist ans Rennfahren nicht zu denken
In der Münchner Universitätsklinik wurde Folger akribisch untersucht, mit der endgültigen Diagnose lassen sich die Ärzte mehr als eine Woche Zeit.
Kurzfristig geht es für Jonas Folger jetzt nicht um eine rasche Rückkehr in den GP-Sport.
Er könnte momentan nicht einmal einen Brotberuf ausüben; also ist ans Rennfahren gar nicht zu denken.
Ob und wie diese Krankheit kuriert werden kann, werden wir im Laufe der Woche hören.
Jonas Folger hat seine Krankheit jahrelang verdrängt und nie ausreichend medizinische Hilfe angenommen, erst nach dem endgültigen Zusammenbruch.
Das ist menschlich, bei Tim Mälzer und vielen anderen Personen des öffentlichen Lebens war es nicht anders, zum Beispiel bei Politikern oder Schauspielern.
Jonas hat trotzdem fünf GP-Siege (1x 125 ccm, 1x Moto3, 3x Moto2) errungen und 24 Podestplätze (4x 125 ccm, 8x Moto3, 11x Moto2, 1x MotoGP).
Er hat dem Motorradsport alles geopfert.
Der Motorsport war und ist seine ganze Leidenschaft. Das liegt in der Familie, schon Onkel Alex war 1993 Gewinner des ersten ADAC-Junior-Cups.
Aber jetzt geht es um mehr als um motorsportliche Erfolge. Jetzt geht es um die Zukunft. Jetzt darf nichts mehr vertuscht werden.
Jonas muss sich nun alle Zeit nehmen, die nötig ist, um wieder zu Kräften zu kommen.
Jetzt geht es nicht mehr um Verträge, um WM-Punkte oder um die Verteidigung des zehnten WM-Rangs.
Skispringer Sven Hannawald hat die Rückkehr in den Spitzensport nicht mehr geschafft, Sprintspezialist Mark Cavendish (30 Etappensiege bei der Tour de France) hingegen schon – nach einer dreimonatigen Pause.
Klar, im Profiradsport ist so eine Pause leichter zu verkraften. Da kann man auch später in die Saison einsteigen.
Aber wenn Jonas Folger nach spätestens zwei oder drei Monaten wieder einsatzfähig ist, könnte er beim Sepang-Test am 28. Januar 2018 wieder zur Stelle sein.
Aber solche Spekulationen führen vorläufig zu nichts.
Nach dem medizinischen Attest werden wir mehr wissen. «Die Erzählungen von Cavendish sind demoralisierend», seufzte Hervé Poncharal beim Australien-GP. «Aber wir müssen abwarten, was die Ärzte bei Jonas sagen.»
Das Tech3-Team und Yamaha werden sowieso keinen gleichwertigen Ersatz für Jonas Folger finden. Also wird man ihm die nötige Zeit geben.
Über einen Plan B macht sich Poncharal vorläufig keine Gedanken. Denn er hat nur einen Wunsch: Er will einen gesunden Jonas Folger in der Box sehen.
Wann das passieren kann, da werden die Ärzte das letzte Wort haben.