Max Biaggi in Zürich: Was bringt ihn zur Formel E?
Der in Monte Carlo lebende Römer Max Biaggi ist elektrisiert. Am vergangenen Sonntag durfte der sechsfahre Motorrad-Weltmeister (4x 250 ccm, 2x Superbike) in Mugello vor dem Rennen einen Prototyp der Energica Ego Corsa um die ausverkaufte Strecke lenken.
Mit diesen E-Bikes wird 2019 die MotoE-Championship im Rahmen von sechs Grand Prix in Europa bestritten.
Heute kommt der Zweirad-Superstar Max Biaggi (er gewann 1998 in Suzuka gleich den ersten 500-ccm-GP seiner Karriere) zum ersten Mal in seinem Leben nach Zürich – zum Formel-E-Rennen im Bankenviertel der Schweizer Metropole
Max, zu bist jetzt zum dritten Mal in diesem Jahr bei einem Formel-E-Rennen dabei. Was bringt dich zu diesen Events?
Ja, ich bin sehr neugierig. Ich bin gespannt auf dieses Rennen, denn ich lerne bei diesem Anlass gleich die Stadt kennen. Die Rennstrecke liegt mitten in Zürich.
In der aufstrebenden Formula-E-Meisterschaft musst du nicht rausfahren aufs Land, die Pisten liegen in der Stadt. Man geht zu den Zuschauern in die Zentren.
Nach dem Rennen gehe ich vielleicht ins nächste Restaurant oder treffe jemand in einer Bar. Oder ich gehe am «Lago di Zurigo» spazieren.
Du bist in diesem Jahr in Rom selber mit einem Formel-E-Auto gefahren.
Ja, dort habe ich eine Probefahrt gemacht. Ich war aber auch beim Rennen in Paris.
Das war herrlich, den Triumphbogen, den Eiffelturm, alles habe ich bei dieser Gelegenheit gesehen.
Du hast eine Aufgabe im Venturi-Team, das Eduardo Mortara und den Deutschen Maro Engel einsetzt.
Gildo Pastor ist der Besitzer dieses Teams. Er ist seit dem Beginn dieser Serie dabei, also seit vier Jahren.
Er ist ein riesiger Enthusiast. Er glaubt an die Zukunft der Elektro-Mobilität, an alternative Energien und Nachhaltigkeit. Ich unterstütze ihn und komme deswegen zu den Rennen.
Gildos Team besitzt den Weltrekord für Elektro-Fahrzeuge auf dem Salzsee in Salt Lake City. Dieser Rekord liegt bei mehr als 600 km/h. Ich glaube, das Fahrzeug leistete mehr als 800 PS.
Jetzt plant er das schnellste Elektro-Motorrad der Welt. Deshalb arbeiten wir zusammen. Bisher steht dieser Rekord bei rund 300 km/h. Wir wollen die 400-km/h-Marke übertreffen.
Du wirst 47 Jahre alt und entstammst der «alten Generation» wie Gerhard Berger, der sich über die Formel E lustig macht. Das sei kein Motorsport, behauptet er. Er findet viel Zustimmung. Sind E-Rennen die Zukunft? Wenn ja, ab wann?
Auf die eine oder andere Art wird es die Zukunft sein. Vielleicht nicht mehr für Menschen meines Alters.
Also in 20 oder 30 Jahren?
Das wird davon abhängen, ab wann die Automobilhersteller ernsthaft daran glauben. Sie werden entscheiden, wann der Zeitpunkt für den Umstieg kommt.
Vielleicht in zehn Jahren? Denn unser Planet durch die Erderwärmung zu heiß wird, muss man in diese Richtung gehen.
Die Hersteller haben die Kapazität, die E-Motorräder und E-Autos schnell und zuverlässig zu machen, mit einer anständigen Reichweite.
Aber die Formel E wird heute von vielen Fans belächelt. Die Rennen dauern 80 bis 100 km, doch die 200 kg schweren Batterien halten die Distanz nicht durch, bei einem Boxenstopp muss das Fahrzeug getauscht werden. Der Top-Speed von 225 km/h wird fast nie erreicht, weil sonst die Batterien zu schnell entleert werden. Es werden viele langsame Kurven eingebaut, um Energie zu rekuperieren.
Nächstes Jahr wird man die Rennen mit einem Auto und einer Batterie durchfahren können. Das ist ein Fortschritt.
Nächstes Jahr werden die Fahrzeuge schneller, sie bekommen mehr Power, man wird längere Distanzen fahren können.
2019 werden fast alle namhaften Werke dabei sein: Porsche, Mercedes, BMW, Citroen, Renault, und so weiter; auch Maserati. Insgesamt werden es neun Werke sein. So viele sind nicht einmal in der Formel 1.
Warum, wächst die Formel E so rasch?
Weil die Elektromobilität unserem Planeten auf irgendeine Art und Weise helfen wird. Jeder will dabei mithelfen. Es ist politisch korrekt und sinnvoll, diese Richtung einzuschlagen.
Es wird nicht von heute auf morgen gehen.
In Rom haben wir das Grabmal von Nero nahe der Rennstrecke gesehen, in Paris den Triumphbogen. So wird Kunst mit Motorsport verbunden.
Es gibt keinen Lärm, keine Vibrationen.
Fehlt dir der Lärm nicht?
Gewiss. Ich gehöre der alten Generation an.
Aber ich habe das Formel-E-Auto in Rom sieben Runden lang getestet. Es ist nicht so langsam.
Klar, es ist eine andere Rennserie. Du hast Profilreifen von Michelin, mit denen im Nassen und im Trockenen gefahren wird. Reifenwärmer sind nicht erlaubt. Aber man hat Karbonbremsen.
Es ist ein bisschen trickreich.
Das Venturi-Team hat für 2019 einen Formel-1-Star engagiert.
Ja, es wurde der Brasilianer Felipe Massa verpflichtet.
Und es wird 2019 wohl ein zweites Team geben. Wir werden mit Mercedes zusammenarbeiten.
Die Batterie ist ja für alle Teams gleich. Die Hersteller und Teams können das Chassis, die Aerodynamik und die Energie-Rückgewinnung beeinflussen.
Was ist deine Aufgabe im Team?
Ich bin eine Art Botschafter für Venturi. Ich helfe ihnen mit den Medien, wenn ich bei den Rennen bin. Das Team hat ein gutes Verhältnis zum italienischen Fernsehen. In Italien wird die Formel E auf Italia 1 gezeigt; die haben vorher MotoGP gesendet. Ich bin der Mittelsmann zwischen dem Team und Italia 1.
Wenn du dich bei einem Autorennen herumtreibst: Erkennen dich die Leute?
Ja, nicht so wenige. In Rom natürlich besonders viele. In Zürich wird es nicht so schlimm sein… In New York wird es schwierig in dieser Hinsicht.
Hast du jemals ein Autorennen bestritten?
Nein. Ich habe 1999 den Formel-1-Ferrari von Schumacher einmal getestet. Dann habe ich 2007 den Toyota-Formel-1 probiert. Aber ich hatte nie das Gefühl, ich könnte in die Formel 1 gehen und dort erfolgreich sein.
Du bist dafür 2010 und 2012 mit Aprilia noch Superbike-Weltmeister geworden. Mit mehr als 40 Jahren.
Ja, in die Formel 1 hätte ich mit 28 oder 29 Jahren wechseln müssen. 2007 war ich zu alt für so einen neuen Fulltime-Job.
Du hast vor einem Jahr beim Supermoto-Training einen sehr schweren Unfall gehabt.
Ja, ich war nahe daran zu sterben.
Weil ich immer noch auf die Rundenzeit geachtet habe und konkurrenzfähig sein wollte. Diese Nahtod-Erfahrung war mir eine Lehre.