Marc Márquez 2.0: Ein zweiter Platz ist gut genug
Marc Márquez
Vor dem Catalunya-GP – und damit nach einem Drittel der Saison – waren die Abstände in der WM-Tabelle gering. Der 12-Punkte-Vorsprung von Marc Márquez war aber genauso trügerisch wie die große Führungsgruppe in den ersten Runden, die wir zuletzt immer wieder zu sehen bekommen, solange die Top-Fahrer noch ihre Reifen schonen.
Nach dem vierten Saisonsieg von Márquez wuchs das Polster des Titelverteidigers mit einem Schlag auf 37 Punkte an, weil sein erster Verfolger einen Nuller verzeichnen musste. Die souveräne Führung hat aber auch mit einer neuen Herangehensweise des Spaniers zu tun, der sich vor sechs Jahren zum jüngsten MotoGP-Weltmeister der Geschichte kürte. Der Repsol-Honda-Star bekämpft seinen größten Rivalen Dovizioso mit dessen Waffen.
Eine kalkulierte und intelligente Herangehensweise war lange die größte Stärke von «Desmo Dovi». Er wird nie nervös und macht selten erkennbare Fehler – und sammelt so starke Ergebnisse und schonungslos konstant Punkte. Bemerkenswert: Dovi, der in Mugello die Marke von 300 Grand Prix geknackt hat, verpasste kein einziges Rennen, seit er 2001 in Italien sein Debüt in der 125er-Klasse gegeben hat (und als Zwölfter gleich gepunktet hat).
In den vergangenen Jahren stand der konstante Speed der Ducati-Stars auf faszinierende Weise der vernichtenden Herangehensweise von Márquez gegenüber. Dessen hitzköpfige Fahrweise sorgte dafür, dass der siebenfache Weltmeister auch in der Crash-Wertung verlässlich an oder zumindest nahe an der Spitze landete. Im Vergleich zu Dovi liegt die Sturzrate von Márquez bei 1:3. Seit Marc 2013 in die MotoGP-Klasse kam, musste er 106 Stürze verzeichnen – mit einem Negativrekord von 27 im Jahr 2017. In der gleichen Zeit landete Dovi 31 Mal auf dem Boden – und nie öfter als sechs Mal in einem Jahr. Dazu muss man sagen: Oft auch ohne eigenes Verschulden. Gleichzeitig sind es bei Marc zum Großteil harmlose Stürze in den freien Trainings-Sessions – es ist eben seine Art, um das Limit auszuloten.
Wie auch immer, es geht nicht darum, wer am wenigsten stürzt, sondern wer am Ende die meisten WM-Punkte sammelt. Und hier ist Márquez mit fünf Titeln in sechs Jahren der klare Sieger, während bei Dovi eine 0 steht. Das bedeutet aber nicht, dass der zweifache MotoGP-Vizeweltmeister kein würdiger Gegner ist. Jorge Lorenzo könnte auf seiner Honda endlich stärker werden (man hofft es), Danilo Petrucci mag in Mugello gewonnen haben und Fabio Quartararo zeigt zwar immer wieder schnelle Runden, aber Dovi ist der Mann, den Marc im Kampf um den WM-Titel schlagen muss.
Den Unterschied macht 2019 nicht Dovis beharrliche – und unveränderte – Stärke, sondern Márquez, der sich in Marc Márquez 2.0 verwandelt hat. Er ist immer noch umwerfend schnell, erschreckend waghalsig, gnadenlos talentiert und unglaublich konkurrenzfähig. Aber jetzt ist er auch noch erkennbar gereift. Das zeigt sich auf und abseits der Strecke.
Márquez feierte im Februar seinen 26. Geburtstag, während er sich auf sein zwölftes Jahr in der Weltmeisterschaft und seine siebte Saison in der MotoGP-WM vorbereitete. Lange erinnerte sein Look an einen unschuldigen Sängerknaben, aber jetzt hat das Gesicht, das er hinter dem Visier versteckt, Kanten bekommen. Es wirkt fast so, als wäre er erwachsen geworden. Seine öffentliche Person hat sich auch leicht verändert: Seine Kommentare sind ironischer und dunkel humorvoll – im Gegensatz zu seinen großen Unschuldsaugen aus seinen ersten zehn Jahren im GP-Paddock.
Noch wichtiger: die Taktik. Er war immer schon intelligent – keiner gewinnt WM-Titel, ohne viel mehr als nur von Natur aus schlau zu sein. Aber jetzt kalkuliert er viel mehr als zum Beispiel in seiner «Alles oder Nichts»-Debütsaison – und Weltmeisterjahr – 2013.
In Barcelona war es nicht so klar ersichtlich, weil es bekanntlich zu keinem finalen Showdown kam. Aber in Italien zeigte sich Márquez 2.0 ganz deutlich: Nachdem die übliche Zermürbung und der erste Reifen-Drop die zehnköpfige Führungsgruppe der ersten Rennhälfte stark dezimiert hatte, blieben immer noch drei übrig: Die zwei Ducati-Werksfahrer Dovi und Petrucci – und Márquez. Und das obwohl die Rennstrecke von Mugello eher den Stärken des italienischen Bikes entgegenkommt als der aktuellen (und bisher besten) Honda.
Die letzten eineinhalb Runden waren wirklich hektisch und Dovi glaubte wohl, sich die richtige Taktik zurechtgelegt zu haben. Aber er hatte nicht mit dem überraschenden Angriff eines spät bremsenden Petrucci am Ende der 350 km/h-Geraden gerechnet. Im daraus resultierenden Durcheinander war es Márquez, der einen kühlen Kopf bewahrte. Anstatt das Naheliegende zu tun – und zu versuchen, Petrucci den Sieg streitig zu machen – wägte er seine Chancen ab und entschied – angesichts der unbändigen Sehnsucht des Italieners nach seinem ersten GP-Sieg – einem harten Zweikampf aus dem Weg zu gehen, damit sein wahrer Rivale im Titelkampf nicht die Chance bekommen würde, sich doch noch an die Spitze zu setzen.
Platz 2 war gut genug. Das ist kein Gedanke, der Márquez vor fünf Jahren auch nur durch den Kopf gegangen wäre.