Nach Rossi und Márquez: Die Zukunft der MotoGP-WM
Marc Márquez (rechts) muss sich vor Fabio Quartararo in Acht nehmen
Motorradrennfahrer leiden an allen möglichen Verletzungen – darunter Verstauchungen, Arm-pump, Knochenbrüche und gekränkter Stolz. Marc Márquez muss sich im Moment wohl am ehesten vor einem steifen Nacken fürchten. Vom über die Schulter blicken, um zu sehen, was hinter ihm kommt. Vor allem wird er vor dem auf der Hut sein, wofür er vor nur sechs Jahren selbst stand: Die Welle der Jugend.
Der dominierende Mann der MotoGP-WM ist zwar selbst erst 26 Jahre alt, aber er ist auch nicht zu jung, um sich ein bisschen abgespannt zu fühlen. Man denke nur an das Beispiel jenes Fahrers, dessen Rekorde als «Jüngster aller Zeiten» Márquez inzwischen gebrochen hat: Freddie Spencer hatte mit 23 Jahren schon drei WM-Titel geholt – aber danach gewann er keinen einzigen Grand Prix mehr. Der aktuelle WM-Leader zeigt keine Anzeichen, dass er aus der Puste kommen würde, aber das tat der talentierte Freddie 1985 auch nicht, als er ihm ein Double in den Klassen 250 ccm und 500 ccm gelang.
Eigentlich ist es Panikmache, vor allem weil wir erst vor zwei Wochen über die neue Stärke des gereiften Márquez 2.0 geredet haben. Und es gibt ein anderes Beispiel, das vom Gegenteil zeugt: Valentino Rossi ist in seinen Vierzigern angelangt, aber er mischt immer noch mit. Es mag ihm schwerfallen Rennen zu gewinnen... In den letzten 24 Monaten war es für ihn sogar unmöglich, was ihn aber nicht davon abhielt, es weiter zu versuchen – und manchmal hat gar nicht viel gefehlt. Er versucht es immer noch, auch wenn es ganz offensichtlich nicht einfacher wird.
Aber die Welle der Jugend ist tatsächlich da (auch wenn sie vielleicht Márquez weniger in Gefahr bringt als andere) und wird von Fabio Quartararo auf beeindruckende Weise verkörpert. Der Klassen-Neuling verpasste in Barcelona zwar seine Chance, Márquez als jüngsten Sieger in der Königsklasse abzulösen, in Assen sicherte er sich aber seine zweite Pole-Position in Folge: Mit 20 Jahren und 70 Tagen ist er nun der Jüngste aller Zeiten, dem dies in der «premier class» gelang. Zuvor war Márquez 2013 im Alter von 20 Jahren und 210 Tagen in Silverstone und Misano zweimal hintereinander auf Pole gefahren.
Auf die insgesamt dritte Pole-Position seiner noch jungen MotoGP-Karriere ließ Quartararo seinen zweiten Podestplatz folgen – in seinem erst achten Rennen auf dem großen Bike und nach einigen ziemlich mittelmäßigen Moto3- und Moto2-Jahren. Das erinnert uns aber auch daran, dass er der Erste war, der mit 15 Jahren in die Weltmeisterschaft aufsteigen durfte, nachdem er zwei CEV-Titel (oder Junioren-WM) in Folge gewonnen hatte.
Mit seinen 20 Jahren präsentiert sich der junge Mann aus Nizza frech und lustig – und er bringt die MotoGP-Welt zum Staunen. Er fordert die Yamaha-Werksfahrer nicht nur heraus, er übertrumpft sie auch schon zu oft – mit Sicherheit dann, wenn es um eine schnelle Runde geht. Der Petronas-Yamaha-Jungstar stand in Jerez auf Pole, bevor er im Rennen mit technischen Problemen aufgeben musste, als er auf Platz 2 lag. In Le Mans war er im FP1 Schnellster. In Mugello im FP4, dort fuhr er auch aus der ersten Reihe los...
Ist es nur das Glück des Anfängers? Ähnlich zu Johann Zarco, der in seiner ersten Saison auf der Kunden-Yamaha ins Rampenlicht fuhr, als er in seinem ersten MotoGP-Rennen auf Anhieb in Führung ging und eine ernste Bedrohung für die Werksfahrer darstellte?
Das kann keiner wissen. Es ist aber möglich, Quartararo an Zarco und Márquez zu messen: Zarco übertrifft ihn mit zwei Moto2-Titeln gegenüber einem einzigen Moto2-GP-Sieg von Quartararo – Márquez, der in den kleineren Klassen jeweils dominierte, bevor er in die MotoGP-WM aufstieg, ebenfalls.
Aber was zählt das schon? Es ist Quartararos aktuelle Performance, die Warnsignale aufleuchten lässt. Und ernsthaft die Frage aufdrängt, ob Yamaha ihn im nächsten Jahr in das Werksteam holen sollte und Rossi die Entscheidung überlässt, ob er das letzte Jahr seines Vertrags im Kundenteam verbringen will.
Man könnte aber auch behaupten, dass Quartararo nicht wirklich der Youngster ist, den Márquez, Rossi und Co. zu fürchten haben. Oder zumindest nicht der einzige.
Nach einer langen Zeit, in der jeder dachte, dass der Sport untergehen würde, wenn Rossi aufhört, und sechs Jahren, in denen Márquez so ziemlich alles dominierte, gibt es ermutigende Signale der Erneuerung und Entwicklung.
Suzuki-Ass Alex Rins ist erst 23 und hat schon ein Rennen gewonnen – auf einem Motorrad, das als zu langsam gilt, um eine ernsthafte Gefahr darzustellen. Francesco «Pecco» Bagnaia, 22 Jahre alt, blieb hinter den Erwartungen zurück, auch weil er sich in einen Sturzpiloten verwandelt hat... Aber sein makelloser Moto2-Titelgewinn aus dem Vorjahr lässt darauf schließen, dass er sich aufrappeln und zu einer großen Gefahr werden wird.
Gleichzeitig sind Jack Miller und Maverick Viñales auch erst 24 und bereits gestandene MotoGP-Sieger.
Dazu kommt: Die technischen Entwicklungen in der Moto2-Klasse sind vielversprechender als je zuvor. Die vom 765-ccm-Triumph-Motor angetriebenen Bikes verfügen nicht nur über mehr Elektronik und ein Getriebe mit engen Übersetzungen, sondern auch über ausreichend Power, damit die Fahrer sich auf unterschiedliche Weise zeigen können und neue Tricks lernen. Zu Baldassarri, Navarro, Marini und (endlich) Alex Márquez kommen Augusto Fernandez, Brad Binder, Remy Gardner und der Rest.
Auf eine strahlende Zukunft.