Norton: Betrug, geplatzte Pläne & ungewisse Zukunft
Der traditionsreiche britische Motorradfirma Norton Motorcycles droht nach 122 Jahren endgültig von der Bildfläche zu verschwinden. Noch vor zwei Jahren schmiedete Firmenbesitzer Stuart Garner große Pläne für eine Expansion nach Indien, Asien, Osteuropa und Südeuropa, er faselte von Eröffnungen exklusiver Norton-Showrooms in Valencia, Barcelona, Madrid und Lissabon sowie in Polen.
Garner stellte Norton im November 2017 erstmals auf der EICMA in Mailand aus und plante eine ambitionierte Erweiterung der Modellpalette. 2018 wurde zum Beispiel auf der Swiss Moto in Zürich ein V4-Superbike mit 200 PS ausgestellt, von dem nachher nie mehr viel zu hören war. Dazu waren 650er-Modelle geplant.
Nach 1998 wurde eine Wankel-Norton gebaut
Norton wurde im Laufe der 122 Jahre mehrmals reaktiviert, zum Beispiel auch 1988. Die Briten bauten damals ein Wankel-Motorrad und setzten die NRS 588 bis 1994 in der TT-Formel-1-Weltmeisterschaft und vorübergehend sogar in der 500-ccm-Weltmeisterschaft ein. Die NRS (135 PS bei 9800/min, 135 kg) wurde von einem Zweischeiben-Wankel-Motor angetrieben!
Fahrer wie Trevor Nation, Simon Buckmaster, Steve Spray, Robert Dunlop, Ron Haslam, Andy McGladdery, Terry Rymer und Steve Hislop waren damit unterwegs. Hislop gewann damit 1991 die legendäre Senior-TT. Es war der erste Norton-TT Sieg in dieser Klasse seit 1961. Und beim Logo ahmte Norton die noble Zigarettenfirma John Player Special (JPS) nach, die auf den Formel-1 Lotus für Furore gesorgt hatte. Ian Simpson triumphierte mit diesem Gefährt 1994 in der British Superbike Championship (BSB).
Ron Haslam kassierte mit dem Wankel-Gerät 1990 mit Platz 12 in Donington in der 500er-WM vier Punkte. Warum die FIM dieses Fahrzeug mit 588 ccm in der 500-ccm-Klasse zuließ, ist bis heute ungeklärt.
Nach dubiosen Finanzgeschäften wechselten die Besitzer des Werks und der Markenrechte häufig, ehe Garner 2008 ans Ruder kam.
Bei den Oldtimer-Veranstaltungen zählten die Norton-Bikes immer zu den Attraktionen. Auch Barry Sheene, zweifacher 500-ccm-Weltmeister, steuerte nach seiner GP-Karriere eine legendäre Norton Manx 500 bei einigen Classic-Rennen zu Erfolgen.
Betrug und andere Ursachen der Karambolage
Doch am Mittwoch dieser Woche wurde Norton Motorcycles unter Zwangsverwaltung gestellt, es wird jetzt ein Insolvenzverfahren geführt. Stuart Garner ist damit entmachtet, die Firma «BDO Administrators» führt jetzt die Geschäfte und den Betrieb weiter. Es soll ein Investor gefunden werden und ein möglichst großer Teil der Schulden bezahlt werden.
Norton taumelte von einem unermesslichen Strudel von Belastungen in die Zahlungsunfähigkeit. Die Sorgen reichten vom Brexit bis zu offenen Steuerrechnungen in der Höhe von 300.000 Pfund. Die starke internationale Konkurrenz auf dem Motorradmarkt erschwerte die Aufgabe bei Norton immens.
Aber es steckt bei Norton noch mehr dahinter. Wer nach den Ursachen der womöglich endgültigen Karambolage forscht, stößt auf Hunderte von unglückseligen Pensionisten, auf arglose Kunden, auf bedauernswerte Mitarbeiter und sogar Minister der britischen Regierung, die wiederholte Male Millionen Pfund an Steuergeld für das marode Motorradwerk gutgeheißen haben.
Wer hinter die Kulissen dieser Pleite schaut, will nicht mehr wahrhaben, dass es sich bei Norton um eine mutige Firma handelt, die ein Opfer von widrigen Umständen wurde. Und der Zorn der Betroffenen richtet sich gegen eine einzige Person – Norton-Boss Stuart Garner.
Garner hat die Marke Norton 2008 erworben. Sie befand sich in US-Besitz und hatte jahrelang keine Motorräder mehr erzeugt. Er plante, Norton wieder zu früherem Ruhm zu führen. Der Rennsport sollte dabei eine wichtige Rolle spielen.
Im August 2010 plante Garner mit der Firma Norton Racing Ltd. sogar den MotoGP-Einstieg für 2012. Er überlegte einen Deal mit der Engineering-Company Maxsym Engine Technology, sie hatte bereits einen MotoGP-Zweizylinder mit 1000 ccm konzipiert. Zur Erinnerung: Für 2012 wurde der MotoGP-Hubraum von 800 auf 1000 ccm erhöht.
Garner führte beim Barcelona-GP 2010 Gespräche mit der Dorna, die jedoch einen Fünf-Jahres-Vertrag und eine Bankgarantie über 5 Millionen Euro verlangte.
Aber die MotoGP-Pläne verliefen im Sand. Norton kämpfte von Anfang an ums Überleben, zuerst wurde einmal die 961 Commando wiederbelebt, später wurde die 961 Dominatoir nachgereicht.
Wenige Tage nach dem Kollaps von Norton vom Mittwoch machte die britische Tageszeitung «The Guardian» publik, dass Geschäftsmann Garner schon vor einiger Zeit in Bedrängnis geraten ist. Dutzende Arbeitnehmer sind hinter ihm her, denn 228 Sparer haben ihren Pensionstopf in der Hoffnung auf bekömmliche Gewinne investiert. Jetzt besteht Betrugsverdacht. Die Deliktsumme beläuft sich auf stattliche 14 Millionen Pfund.
Ein Lockvogel oder Bauernfänger, so lautet der Vorwurf der Geschädigten, habe sie 2012 und 2013 überredet, ihre Ersparnisse und aus den konventionellen Pensionskassen abzuziehen und sie für fünf Jahre in drei neue Pensionspläne zu transferieren, die von Garner kontrolliert wurden. Aber das ganze Geld wurde nicht mündelsicher und mit Risikostreuung angelegt, sondern leichtsinnig und offenbar mit Betrugsabsicht in nur einen Vermögensgegenstand investiert – in Anteile an der schwindsüchtigen Norton Motorcycle Holdings Limited.
Schwere Verwürfe an Norton-Boss Stuart Garner
Stuart Garner bestreitet die Vorwürfe. Er behauptet, er habe keine Kenntnis davon gehabt, dass das Geld für die Fonds auf betrügerische Art und Weise eingesammelt worden sei. Er betrachtet sich als Opfer und behauptet, er sei der Ansicht gewesen, er habe mehr als fünf Jahre Zeit, um die Darlehen zurückzuzahlen.
Dutzende Pensionisten beschuldigen Garner laut «The Guardian» und dem TV-Sender ITV-News jetzt, ihre wiederholten Aufforderungen zur Rückzahlung der investierten Summen ignoriert zu haben. Dazu sind Millionen an Steuergeld bei Norton versickert, außerdem gab es Kredite, die von der Regierung besichert waren. Zudem beschweren sich zahlreiche Kunden über stark verzögerte Auslieferungen ihrer teilweise handgefertigten Norton-Motorräder, die bis zu 44.000 Pfund kosten. Dabei haben die meisten Kunden eine happige Anzahlung geleistet – oder gleich den ganzen Kaufpreis vorausbezahlt.
Ein Darlehen von 1 Million Pfund, das Norton 2008 erhalten hat, kam direkt von den Einnahmen eines Steuerbetrugs, für den zwei langjährige Norton-Teilhaber bereits 2013 verurteilt worden sind.
Von den 228 geschädigten Pensionisten haben die meisten ihr Geld 2012 und 2013 dem Betrüger Simon Golfer anvertraut. Er wurde 2018 auf Bewährung verurteilt. Er hatte sich bei den Anlegern unter einem falschen Namen vorgestellt und ihnen einen vormaligen Konkurs verschwiegen. Für sein Geldeintreiben hat der Schwindler persönlich saftige Gebühren einkassiert.
Als Beispiel für viele andere Gläubiger steht die 55-jährige Elizabeth Pitcairn da, eine ehemalige Bankangestellte, die Garner vorwirft, ihren Anteil von 56.000 Pfund seit einem Jahr nicht zurückzuzahlen. «Garner hat sich scheußlich benommen», wettert die Schottin. «Wie kann es es passieren, dass er mein Geld nimmt, es nicht zurückgibt – und frei herumläuft?»
Auch manche Politiker fielen auf den redegewandten und eloquenten Verkäufer Stuart Garner hinein. George Osborne lobte im Juli 2015 «die erfolgreiche britische Marke Norton» – und überwies 4 Millionen Pfund Steuergeld nach Leicestershire.
2011 meldete der Wirtschaftspolitiker Vince Cable, die Banco Santander werde Norton 625.000 Pfund leihen, die Regierung stand dafür gerade.
Im Dezember 2018 besuchte der Brexit-Sekretär Stephen Barcley das Norton-Werk. Er bezeichnete Norton als «großartiges Geschäft und großartige Marke».
Der britische Pensions-Ombudsmann beschäftigt sich mit 31 getrennten Klagen und Beschwerden über das Gebaren der drei Norton-Pensions-Komplotte, die 2012 begannen. Stuart Garner muss sich als Treuhänder dieser versickerten und veruntreuten Geldbeträge demnächst vor Gericht verantworten. Seit einem Jahr werden diese Fonds von einem staatlichen Verwalter beaufsichtigt.
Aber wenn Norton bankrott geht, wird nicht viel zu holen sein.
Andere Leidtragende wie der Motorrad-Enthusiast Tony Smith warten vergeblich auf ihre Norton. Er hat im August 2019 den vollen Kaufpreis von 22.000 Pfund bezahlt, er wurde seither immer wieder vertröstet, von September bis heute, auf sein Bike wartet er immer noch. «Inzwischen weiß ich, dass mein Motorrad nie gebaut wird. Meine Anrufe und E-Mails werden nicht mehr beantwortet. Ich bin wütend», sagt er.
Stuart Garner zeigt keine Reue. «Ich bin am Boden zerstört», jammerte er diese Woche. «Ich habe persönlich alles verloren. Die Metro Bank hat jetzt ohne Rücksprache mit mir die Firma BDO als Zwangsverwalter bestellt. Jetzt wird ein Käufer oder Investor gesucht. Aber die Motorradherstellung in Großbritannien ist durch den Brexit, die hohen Steuern, die Exportprobleme und die fehlenden Förderungen immer schwieriger geworden.»
Naja. Wenn nicht einmal die heimischen Kunden bei Vorauskasse beliefert werden, braucht sich Garner nicht über Export-Engpässe zu beschweren.