Dovizioso: Reifen-Situation nicht unter Kontrolle
Andrea Dovizioso vor Joan Mir und Taka Nakagami
Andrea Dovizioso ging eigentlich zuversichtlich in den Steiermark-GP, für den dreifachen Spielberg-Sieger kam dann aber schnell die Ernüchterung: «Im ersten Teil des Rennens war die Situation wirklich schlimm. Wir haben viel gearbeitet und haben im Training einen wirklichen langen Run absolviert. Alles funktionierte sehr gut und im Hinblick auf das Rennen fühlte ich mich wirklich gut. Von der ersten Runde an arbeitete der Reifen aber nicht normal und es wurde Runde für Runde schlimmer. Ich bin mir ziemlich sicher, dass da etwas war. Wir haben schon mit Michelin gesprochen, sie werden es analysieren müssen und auch wir müssen das genauer anschauen. Danach werden wir sehen, was herauskommt. Zu viel will ich jetzt nicht sagen, weil wir es noch analysieren müssen.»
Deshalb kam «Dovi» der Re-Start gerade recht: «Ich hatte Glück, dass ich nach der roten Flagge den Reifen wechseln konnte, und der Soft hat dann normal gearbeitet. So konnte ich in der ersten Gruppe dabeibleiben. Leider konnte ich nicht überholen, weil ich aus der dritten Reihe kam und jeder sehr schnell war. Und wenn du hinter einem herfährst, kannst du nicht auf deine normale Weise bremsen. In Österreich macht sich das noch mehr bemerkbar, weil es in der Bremsphase nur eine Linie gibt. Mit dem Windschatten und der Reifentemperatur ist es unmöglich, das Motorrad zu stoppen. Meine Stärke lag in der Bremsphase, aber wenn man hinter anderen Fahrern herfährt, kann man das nicht ausspielen. Zudem habe ich im Kurvenausgang noch Probleme, da bin ich noch schlecht und das ist auch der Grund dafür, dass ich die Überholmanöver nicht vorbereiten konnte. Denn ich kam nicht mit derselben Geschwindigkeit aus der Kurve wie die anderen Fahrer. Ich konnte nichts machen. Ich habe bis zum Schluss maximal gepusht. Ich habe in der letzten Runde aber in Kurve 3 auch noch einen Fehler gemacht, weil es die einzige Stelle war, wo ich etwas herausholen konnte. Ich wollte den Rückstand auf Oliveira verkürzen, weil ich dabei war. Ich war auf der Bremse aber zu spät dran und bin dann weit gegangen.» So wurde es am Ende Rang 5.
Auch wenn die Ducati-Hochburg durch den Sieg von Red Bull-KTM-Tech3-Fahrer Miguel Oliveira gefallen ist und Dovizioso das Podest verpasste, war der Steiermark-GP im Hinblick auf die WM-Tabelle doch positiv. Denn WM-Leader Fabio Quartararo rettete nur einen 13. Platz – und damit die drei Punkte, die er jetzt noch vor dem Ducati-Werksfahrer liegt. «Die Situation in der Weltmeisterschaft ist ausgezeichnet», bestätigte der 34-jährige Italiener, der aber auch zugab: «Ich will nicht negativ sein, aber ich habe in diesem Moment kein gutes Feeling, weil ich nicht das Gefühl habe, dass wir die Situation unter Kontrolle haben, um auf gewissen Strecken zu pushen oder nicht. An jedem Tag und in jedem Rennen gibt es viel Auf und Ab. Das ist mir und uns in den vergangenen fünf Jahren noch nie passiert. Ich habe Probleme damit und ich bin auch sehr enttäuscht darüber. Keiner war bisher vom ersten Grand Prix an konstant. Ich glaube, das ist etwas Unübliches. Ich habe die Antwort nicht – und das gefällt mir nicht. Aber wir werden sehen.»
Auffallend sind die sich ständig verschiebenden Kräfteverhältnisse in dieser verkürzten MotoGP-Saison 2020. Woran liegt das? «In diesem Moment gibt es keine klare Erklärung. Es gibt nur viele Vermutungen. Das ist genau das, was mich stört. Denn wenn du nicht schnell bist, aber weißt warum, dann schimpfst du und arbeitest dann daran – und vielleicht schaffst du es oder auch nicht. Wie es in den vergangenen Jahren passiert ist. Aber nicht so in diesem Moment. Wir haben sehr viel auf das Rennen hingearbeitet, wir waren schnell, wir hatten die meisten Runden abgespult und wir waren konstant. Dann startet das Rennen und du bist langsamer als der Großteil des Feldes und es wird auf eine unerwartete Weise noch schlimmer. Die Situation ist also nicht unter Kontrolle – für niemanden. Das ist eine Bestätigung für die Schwierigkeiten, die wir in den ersten Rennen hatten.»
«Für mich und unsere Crew ist es nicht einfach, weil es uns eigentlich auszeichnet, dass wir konstant sind. Das jetzt nicht zu schaffen, destabilisiert dich», gab Dovi zu. «Ich habe nicht viele Antworten, aber meiner Meinung nach hat die keiner. Denn wenn jeder diese Auf und Abs hat, dann bedeutet das, dass die Situation nicht unter Kontrolle ist. Ob es dann an der Arbeitsweise der Teams und Fahrer liegt oder ob die Reifen nicht konstant unter Kontrolle sind, das wissen wir nicht.»
Meint der erfahrene Ducati-Pilot damit, dass das Arbeitsfenster dieser Reifen sehr klein ist oder es ein qualitatives Problem gibt? «Beides – und das denke nicht nur ich, weil wir auch in der Safety Commission darüber geredet haben», erwiderte Dovizioso. «Wenn du ein Problem mit einem Reifen hast, der nicht gleich wie die anderen ist, dann nervt dich das, weil es wirklich ein Qualifying oder ein Rennen ruinieren kann. Was einem zu denken gibt, ist aber diese Instabilität. Du kommst auf eine Strecke mit einem bestimmten Grip-Level und alles ist einfach. In einer anderen Situation läuft es nicht mehr – und dann wirst du nicht Vierter, sondern gleich Elfter. Oder ein Fahrer, der etwas anders fährt, ist in einem Rennen beeindruckend stark – und im nächsten kommt er nicht mehr weiter. Ich will aber nicht mit dem Finger auf jemanden zeigen, das ist nicht meine Art und es bringt mir nichts. Aber wenn du zwei Rennen auf einer Strecke fährst, dann können nicht derart unterschiedliche Dinge passieren.»
Der Italiener betonte gleichzeitig, dass er ein gutes Verhältnis zu Reifenlieferant Michelin habe: «Sie sind sich der Sache bewusst, weil wir auch in der Safety Commission darüber geredet haben, wo sie dabei waren. Sie geben das Maximum, denn in so einer Situation zahlen am Ende sie drauf. Ich stelle das Engagement und die Arbeit von Michelin auf keinen Fall in Frage, aber es ist nicht alles unter Kontrolle. Sie bekommen das Ganze nicht exakt perfekt hin, damit die Reifen immer gleich sind. Das ist aber nur die zweite Situation. Die Instabilität rührt aber von der ersten Situation her: Das Auf und Ab kommt daher, weil der Reifen anders ist – und noch nicht so klar ist, wie er funktioniert.»
Wie gewinnt man den WM-Titel in einer so unvorhersehbaren Saison (vierter Sieger im fünften Rennen)? «Da fragst du die falsche Person. Ich weiß es nicht», winkte Dovi ab. «Aber wenn es dir von denen, die heute das Rennen gefahren sind, einer sagen kann, dann redet er Blödsinn», lachte er.
MotoGP-Ergebnisse Steiermark-GP:
1. Miguel Oliveira, KTM, 12 Runden, 16:56,015 min
2. Jack Miller, Ducati, +0,316 sec
3. Pol Espargaro, KTM, + 0,540
4. Joan Mir, Suzuki, + 0,641
5. Andrea Dovizioso, Ducati, + 1,414
6. Alex Rins, Suzuki, + 1,450
7. Takaaki Nakagami, Honda, + 1,864
8. Brad Binder, KTM, + 4,150
9. Valentino Rossi, Yamaha, + 4,517
10. Iker Lecuona, KTM, + 5,068
11. Danilo Petrucci, Ducati, + 5,918
12. Aleix Espargaró, KTM, + 6,411
13. Fabio Quartararo, Yamaha, + 7,406
14. Johann Zarco, Ducati, 7,454
15. Franco Morbidelli, Yamaha, + 10,191
16. Alex Márquez, Honda, + 10,524
17. Cal Crutchlow, Honda, + 11,447
18. Stefan Bradl, Honda, + 11,943
19. Bradley Smith, Aprilia, + 12,732
20. Michele Pirro, Ducati, + 14,349
21. Tito Rabat, Ducati, + 14,458
WM-Stand nach 5 von 14 Rennen:
1. Quartararo, 70 Punkte. 2. Dovizioso 67. 3. Miller 56. 4. Binder 49. 5. Vinales 48. 6. Nakagami 46. 7. Rossi 45. 8. Mir 44. 9. Oliveira 43. 10. Pol Espargaró 35. 11. Morbidelli 32. 12. Zarco 30. 13. Rins 29. 14. Petrucci 25. 15. Alex Márquez 15. 16. Aleix Espargaró 15. 17. Lecuona 13. 18. Bagnaia 9. 19. Smith 8. 20. Rabat 7. 21. Crutchlow 7. 22. Pirro 4.
Konstrukteurs-WM nach 5 von 14 Rennen:
1. Yamaha 88. 2. Ducati 87. 3. KTM 82. 4. Suzuki 57. 5. Honda 46. 6. Aprilia 20.