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Von Einstein bis Kleenex: Spitznamen in der MotoGP

Von Mat Oxley
Miguel Oliveira: Einstein-Jubelpose in der Steiermark

Miguel Oliveira: Einstein-Jubelpose in der Steiermark

Viele MotoGP-Piloten tragen eigenartige Spitznamen, die sie sich nicht immer selbst aussuchen. Manchmal werden diese auch von Gegnern verliehen, wie der Blick in die Vergangenheit zeigt.

Die Wunder der Technik retten uns Journalisten in diesem Corona-Jahr, in dem wir nicht an die Rennstrecke dürfen. Dank Live-TV, Live-Timing und Presserunden auf Zoom können wir das Geschehen beinahe so gut mitverfolgen, als wären wir vor Ort. Allerdings nicht ganz, denn wer nicht an der Piste weilt, verpasst all das Gerede und Getratsche mit den Leuten, die ihr Leben im Fahrerlager verbringen. Man verpasst also die guten Sachen.

So haben ich beispielsweise erst beim jüngsten Rennwochenende in Barcelona erfahren, dass Tech3-KTM-Pilot Miguel Oliveira «Einstein» genannt wird, deshalb feierte er seinen Sieg auf dem Red Bull Ring am 23. Augist auch mit herausgestreckter Zunge – als Verweis auf das berühmte Foto des berühmten Physikers. Mit dieser Aktion machte sich Oliveira über Pol Espargaró lustig, den er ganz zum Schluss schnappen konnte, als sich dieser mit Jack Miller ein hartes Duell lieferte.

Denn schon am vorangegangenen Österreich-GP waren Oliveira und Pol Espargaró aneinandergeraten: Ein Crash führte zu einigen wütend geäusserten Sticheleien vor aller Öffentlichkeit. So erklärte etwa Oliveira spitz: «Nicht alle Fahrer sind gleich intelligent.»

Espargaró war über diese Kränkung verärgert, daher verpasste er dem Portugiesen den Spitznamen «Einstein».

Wir alle kennen die Spitznamen, die sich die Fahrer selbst verpassen, «The Doctor» Valentino Rossi, El Diablo Fabio Quartararo, Thriller oder JackAss Jack Miller und so weiter. Doch das Fahrerlager kann ein grausamer Ort sein. Wie steht es also um die Spitznamen und Beleidigungen, die nicht auf den Lederkombis und Helmen der Fahrer prangen?

Heulsuse? Mick Doohan schiesst gegen Max Biaggi

Der vierfache 250-ccm-Champion Max Biaggi bezeichnete sich selbst gern als römischer Kaiser, und um das zu unterstreichen, brachte er zu unser aller Vergnügen manchmal zwei als römische Soldaten verkleidete Kerle vor seiner Box stehen. Was haben wir gelacht.

Als Biaggi 1998 in die 500er-Klasse aufstieg, geriet er unweigerlich mit dem damaligen 500er-König Mick Doohan aneinander. Biaggi verbrachte einen Grossteil dieses Sommers damit, Doohan in der italienischen Presse zu verspotten, in der Hoffnung, ihn zu destabilisieren. Es hat nicht geklappt.

Im September in Imola ging Biaggi schliesslich zu weit und Doohan platzte der Kragen. Der Australier, der sich nur schwer aus der Ruhe bringen liess, gab seinem Herausforderer den Spitznamen «Kleenex». «Max liebt sich selbst zu sehr», kritisierte Doohan ungewohnt offen. «Er denkt zu viel über sein Aussehen nach. Er ist mehr ein Produkt als eine Person – er ist aus Plastik. Er denkt sich nur Ausreden und Lügen aus. Und er weint so oft, dass er von Kleenex gesponsert werden sollte.»

In den darauffolgenden Jahren war der Youngster Carlos Checa Biaggis Teamkollege im Marlboro Yamaha 500 Team. Der Spanier war schnell, engagiert und extrem mutig. Zu einer Zeit, als die Fahrer sich sehr bemühten, nicht zu stürzen – weil die Rennstrecken gefährlicher waren und das Material nicht das war, was es jetzt ist – stürzte Checa wie ein Möchtegern-Moto2-Titelträger des Jahres 2020. Das war an sich schon erstaunlich. Noch erstaunlicher war seine Fähigkeit, zurück in die Boxengasse zu humpeln, auf sein Ersatzmotorrad zu steigen und sofort noch schneller zu fahren. So dauerte es nicht lange, bis ihn alle in der Boxengasse als «Careless Chucker» bezeichneten.

Checa schämte sich nie, über Stürze zu sprechen und darüber, wie sie ihn körperlich und geistig beeinträchtigten. «Ein Sturz ist scheisse für dich, scheisse für das Motorrad, scheisse für die Mechaniker und scheisse für die Abstimmung», sagte er mir einmal. «Es ist ein Zeichen, dass man in die falsche Richtung geht. Man will gewinnen, aber ein Sturz ist das Gegenteil von einem Sieg. Es ist, als wäre man in Frankreich und will nach England gehen, und wenn man stürzt, geht man nach Spanien. Auf diese Weise kommst du nie nach England!»

Carlos' Mechaniker liefen manchmal in John-Wayne-Manier durch das Fahrerlager und riefen: „Clank, clank, clank! – um zu betonen, dass ihr Fahrer Eier aus Stahl hatte, sehr grosse sogar. Careless Chucker gewann nie den 500-ccm-Titel, fand aber später Trost in der Superbike-WM, wo er in die richtige Richtung fuhr und mit Ducati die WM-Krone 2011 gewann.

Kein Blatt vor dem Mund: Casey Stoner

Vier Jahre zuvor gewann Ducati dank des Genies Casey Stoner seinen ersten – und bisher einzigen – MotoGP-Titel. Wie alle grossen Rennfahrer forderte Stoner immer das Beste von sich und seinem Motorrad. Manchmal konnte er bequem ein Rennen gewinnen, und anstatt freudentaumelnd in seine Box zurückzukehren, setzte er sich gleich mit seinem Crew-Chef hin, um eine ernsthafte Diskussion zu führen.

Er war diese Art von Rennfahrer – der Sieg war wichtig, aber wenn das Motorrad nicht ganz in Ordnung gewesen war, wollte er es für das nächste Rennen besser machen. Und der beste Weg dazu ist, alle Gedanken und Gefühle sofort nach dem Absteigen abzurufen. Einige Leute bekamen jedoch einen falschen Eindruck. Denn er hielt sich nie mit seiner Meinung über die MotoGP als Ganzes, die Dorna und vieles andere zurück. Langsam aber sicher schaffte es sein Spitzname bis ins Fahrerlager und schliesslich in die weite Welt: «Casey Moaner», Casey, der Jammerlappen.

Mit Stoner kam ich die meiste Zeit gut aus. Er war einer der Besten, wenn es um die Feinheiten der Fahrtechnik geht, was ich liebte. Er war einmalig, mit seiner eigenen Vorstellung davon, wie die Welt und die WM sein sollten. Und er hatte kein Problem damit, seine Meinung zu sagen und aus der Hüfte zu schiessen. In dieser Hinsicht war er wie die 1980er-Jahre-Legende Eddie Lawson, der immer auf jemanden oder etwas wütend zu sein schien. Manche Fahrer brauchen das, damit das Feuer in ihnen lodert.

Doohan hatte auch seine Spitznamen, wie «Dead By June» Doohan, eine Schöpfung eines Kollegen aus dem Presseraum, der (wie viele von uns) um die Sicherheit des Australiers während der Rookie-Saison 1989 besorgt war, als Hondas NSR500 ihn immer wieder in Richtung Streckenbegrenzung schleuderte.

Später erzählte mir Kenny Roberts Jr., dass Doohan «so voller Scheisse war, dass seine Augen braun sind». Ich war von diesem Wutausbruch überrascht, denn ich hatte Gespräche mit Kenny Roberts Jr. geführt, in denen er mir sagte, je mehr Amerikaner Waffen besässen, desto sicherer würden sie sein. Ich war mir da nicht so sicher.

Ein unmoralisches Angebot von Kevin Schwantz

Dann gab es da noch John Kocinski, den 250-ccm-Weltmeister von 1990, den dessen Teamchef «King Kenny» Roberts «The Little Shit» taufte. Kocinski war ein komplizierter Charakter – weitaus erhabener auf einem Motorrad als auf seinen Beinen – und er reagierte nicht gut auf King Kennys harte, liebevolle Betreuung. Er war bei seinen Rivalen meist unbeliebt. Eigentlich nicht überraschend für einen jungen Mann, der allen, die ihm zuhörten, lautstark zurief: «Wenn du kein Amerikaner bist, bist du nichts.»

Als Kocinski 1991 in Shah Alam seinen ersten 500er-GP gewann, stürzten sich seine Podiumskollegen – der zweitplatzierte Wayne Gardner und der drittplatzierte Doohan – auf ihn und spritzten ihm so viel Champagner ins Gesicht, dass er blindlings zur Behandlung ins medizinische Zentrum taumeln musste.

Drei Jahre später, als Kocinski die 500-ccm-Weltmeisterschaft anführte, sagte uns Titelrivale Kevin Schwantz, dass JK bald «wie eine billige Uhr auseinander fallen» würde. Schwantz plante, seinen Untergang zu beschleunigen, indem er jedem im Fahrerlager 10.000 Dollar anbot, wenn er mit Kocinskis Freundin schlief.

Der Brite Phil Read – ein beängstigend harter Konkurrent und der erste 125er-, 250er- und 500er-Weltmeister – war ein weiterer, der im Fahrerlager nur wenige Freunde fand. Ende 1973 verliess Teamkollege und Erzrivale Giacomo Agostini das MV Agusta-Werk, um zu Yamaha zu wechseln. Er entkam damit einem untergehenden Imperium, um sich der neuen Macht anzuschliessen.

Yamahas europäische Zentrale befand sich in Amsterdam, wo die Werksmechaniker, die sich mit Ago in ihrer Abneigung gegen Read vereinigten, einen Aufkleber von Phil Read in der Toilettenschüssel der Werkstatt platzierten. Das beweist, was ich immer wieder zu sagen pflege: Motorradrennen sind manchmal ein schmutziges Geschäft.

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