Suzuki: Droht eine Vertragsstrafe durch die Dorna?
Es war ein völlig unerwarteter Schock. Nach dem Ende des Testtages auf dem Circuito de Jerez versammelten die japanischen Suzuki-Manager unter Projektleiter Shinichi Sahara die Teammitglieder in der Box, dann verkündete er mit brüchiger Stimme die überraschende Entscheidung des Top-Managements in Japan: Die Suzuki Motor Company zieht sich mit Saisonende 2022 aus der MotoGP-WM zurück. Selbst der neue Suzuki Ecstar-Teammanager Livio Suppo wurde überrumpelt.
Kein Wunder: Denn das Suzuki-Management hat die finale Version des neuen Fünf-Jahres-Vertrags erst im November 2021 unterzeichnet. Und sechs Monate später wurden in Japan alle Pläne über den Haufen geworfen, obwohl sich Alex Rins und Joan Mir in der Fahrer-WM auf den Plätzen 4 und 6 halten.
Bisher hat Suzuki keine Gründe für den Rückzug verlautbart, auch gegenüber dem Team nicht, wie zu hören ist. Über die Ursache kann deshalb nur gerätselt werden: Vielleicht müssen nach zwei Corona-Jahren Kosten eingespart werden, vielleicht wird mehr Forschungsbudget für die E-Mobility benötigt, vielleicht ist Suzuki die «premier class» nach fünf Jahren ohne Hauptsponsor zu teuer geworden. Bis zu 30 Millionen Jahresbudget sind für so ein Projekt als operative Kosten nötig.
Denn Ecstar Oil ist die hauseigene Mineralölfirma von Suzuki, kein finanzstarker externer Geldgeber wie Repsol bei Honda, Monster bei Yamaha, Red Bull bei KTM oder Lenovo bei Ducati, die 10 und mehr Millionen Euro zum Jahresbudget beitragen.
Aus Dorna-Kreisen war am Montagabend zu erfahren, dass der WM-Promoter als Inhaber der kommerziellen GP-Rechte seit 1992 die Vorgehensweise von Suzuki nicht kommentarlos hinnehmen wird. Dem Vernehmen nach wird die Dorna-Rechtsabteilung alle Vertragsdetails unter die Lupe nehmen. Dann könnte eine Konventionalstrafe wegen nicht erbrachter Leistungen und Geschäftsschädigung drohen.
So billig wie nach der Saison 2011 dürfte Suzuki diesmal nicht davonkommen. Die Japaner traten damals nur noch mit einem statt zwei Fahrern an, Álvaro Bautista landete in der WM mit dem erfolglosen 800-ccm-V4-Motorrad nur auf dem 13. WM-Rang.
Danach zog sich Suzuki zurück. Denn erstens wurde Geld benötigt, um dem Volkswagen-Vorstandsvorsitzenden Ferdinand Piëch jene 20 Prozent an Suzuki wieder abkaufen zu können, die die VW Group vorher erworben hatte. Zweitens musste ein ganz neues Motorrad entwickelt werden.
Das Dorna-Management machte damals gute Miene zum bösen Spiel, da das MotoGP-Bike 2011 ohnedies nicht konkurrenzfähig war, die Weltwirtschaftskrise von 2008/2009 noch nachhallte und die Japaner eine baldige Rückkehr mit einem 1000-ccm-Reihenvierzylinder in Aussicht stellten.
Aber Suzuki kehrte erst 2015 wieder zurück – mit Aleix Espargaró und Maverick Viñales, die die WM auf den Rängen 11 und 12 beendeten. Ein Jahr später siegte Viñales mit der GSX-RR in Silverstone, dann wechselte er als WM-Vierter ins Yamaha-Werksteam.
Aber Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta hat zum Beispiel Aprilia Racing den MotoGP-Ausstieg Ende 2004 nach drei von fünf vereinbarten Jahren lange Zeit übelgenommen. Er forderte damals von Firmenchef Ivano Beggio alle Millionen-Zuschüsse von 2002 bis 2004 zurück. Und als Aprilia 2015 zurückkam, erhielten sie als einziges Werk sieben Jahre lang keine eigenen zwei Startplätze. Die Italiener mussten deshalb bis Ende 2021 ein Joint Venture mit Gresini Racing eingehen.
Suzuki kann sich also auf ein Gerichtsverfahren gefasst machen.
Das Unternehmen Dorna Sports S.L. kann bei einem frühzeitigen Ausstieg von Suzuki vielerlei Gründe für eine Klage geltend machen: Es muss mit weniger Zuschauern gerechnet werden, an der Rennstrecke und an den TV-Geräten, wenn eine japanische Weltmarke aussteigt. Noch dazu nach einem von fünf Jahren, das grenzt an Geschäftsstörung. Dorna-Eigentümer Bridgepoint wird sich dieses Manöver von Suzuki nicht widerstandslos bieten lassen.
Es ist zu erwarten, dass die Dorna eine Schadenersatzklage anstrebt, wenn es nicht zu einer gütlichen finanziellen Einigung kommt. Sonst könnten ja auch andere Werke über Nacht aus der MotoGP-WM aussteigen – bei Mangel an Erfolg oder aus Kostengründen.
WM-Promoter Dorna kann zwar mit fünf Werken und insgesamt elf statt zwölf Teams und 22 statt 24 Fahrern weiter prächtigen Motorsport inszenieren. Aber nach dem Rücktritt von Valentino Rossi und der Misserfolgsserie von Marc Márquez sind weitere Rückschläge nicht willkommen.
Die Dorna hat nach Recherchen von SPEEDWEEK.com nicht die Absicht, Suzuki 2023 mit womöglich gestoppter Motorrad-Entwicklung, mit zweitklassigen Piloten, dem 2022-Bike und einem Schmalspurbudget weiterfahren zu lassen, um den Schein zu wahren.
Das hat schon nach der Saison 2008 beim Kawasaki-Rückzug nicht funktioniert. Die Grünen fuhren damals 2009 noch ein Jahr unter der Hayate-Flagge mit Marco Melandri weiter; er kam über den zehnten WM-Rang nicht hinaus. Immerhin konnte das Team Green die Wirtschaftskrise als triftigen Grund für den Ausstieg geltend machen.
«Für uns bricht durch den geplanten Suzuki-Ausstieg nicht die Welt zusammen», stellte ein GP-Spitzenfunktionär fest. «Denn wir sind auch in den Jahren 2019, 2020 und 2021 nur mit 22 Piloten gefahren.»
Aber Suzuki soll für den Vertragsbruch zumindest ordentlich zur Kasse gebeten werden.
Ergebnisse MotoGP Jerez (1. Mai):
1. Pecco Bagnaia (I), Ducati, 25 Runden in 41:00,554 min
2. Fabio Quartararo (F), Yamaha, +0,285 sec
3. Aleix Espargaró (E), Aprilia, +10,977
4. Marc Márquez (E), Honda, +12,676
5. Jack Miller (AUS), Ducati, +12,957
6. Joan Mir (E), Suzuki, +13,934
7. Takaaki Nakagami (J), Honda, +14,929
8. Enea Bastianini (I), Ducati, +18,436
9. Marco Bezzecchi (I), Ducati, +18,830
10. Brad Binder (ZA), KTM, +20,056
11. Pol Espargaró (E), Honda, +20,856
12. Miguel Oliveira (P), KTM, +23,131
13. Alex Márquez (E), Honda, +25,306
14. Maverick Vinales (E), Aprilia, +27,358
15. Franco Morbidelli (I), Yamaha, +27,519
16. Luca Marini (I), Ducati, +29,278
17. Andrea Dovizioso (I), Yamaha, +35,204
18. Fabio Di Giannantonio (I), Ducati, +35,361
19. Alex Rins (E), Suzuki, +38,922
20. Remy Gardner (AUS), KTM, +43,378
21. Lorenzo Savadori (I), Aprilia, +44,299
22. Jorge Martin (E), Ducati, +1:07,681 min
– Stefan Bradl (D), Honda, 15 Runden zurück
– Johann Zarco (F), Ducati, 16 Runden zurück
– Darryn Binder (ZA), Yamaha, 20 Runden zurück
WM-Stand nach 6 von 21 Grand Prix:
1. Quartararo 89 Punkte. 2. Aleix Espargaró 82. 3. Bastianini 69. 4. Rins 69. 5. Bagnaia 56. 6. Mir 56. 7. Zarco 51. 8. Brad Binder 48. 9. Marc Márquez 44. 10. Oliveira 43. 11. Miller 42. 12. Pol Espargaró 35. 13. Martin 28. 14. Viñales 27. 15. Nakagami 21. 16. Morbidelli 18. 17. Alex Márquez 16. 18. Bezzecchi 15. 19. Marini 14. 20. Dovizioso 8. 21. Darryn Binder 6. 22. Gardner 3.
Konstrukteurs-WM:
1. Ducati, 131 Punkte. 2. Yamaha 89. 3. Aprilia 83. 4. Suzuki 80. 5. KTM 76. 6. Honda 57.
Team-WM:
1. Suzuki Ecstar, 125 Punkte. 2. Aprilia Racing 109. 3. Monster Energy Yamaha 107. 4. Ducati Lenovo 98. 5. Red Bull KTM Factory 91. 6. Pramac Racing 79. 7. Repsol Honda 79. 8. Gresini Racing MotoGP 69. 9. LCR Honda 37. 10. Mooney VR46 Racing 29. 11. WithU Yamaha RNF 14. 12. Tech3 KTM Factory 3.