MotoGP: VR46-Team ist nicht einverstanden

WM-Kampf: Beschert Martin Bagnaia schlaflose Nächte?

Kolumne von Michael Scott
Pecco Bagnaia zwischen seinen Widersachern und Markenkollegen Martin und Bezzecchi

Pecco Bagnaia zwischen seinen Widersachern und Markenkollegen Martin und Bezzecchi

«Schwer ruht das Haupt, das die Krone trägt», wusste schon Shakespeare zu berichten. SPEEDWEEK.com-Kolumnist Michael Scott erörtert, was es damit im MotoGP-Titelkampf 2023 auf sich hat.

Vor dem Indonesien-GP wird sich ein schlafloser Pecco Bagnaia mit Sicherheit Gedanken über das machen, was bis vor gar nicht allzu langer Zeit noch wie eine sichere Titelverteidigung aussah. 66 Punkte betrug sein Vorsprung nach dem Sprint des Catalunya-GP, in den jüngsten vier Rennen schrumpfte dieses Polster auf alarmierende drei Zähler zusammen.

Bei sechs noch ausstehenden Grands Prix beginnen er und sein erster Rivale Jorge Martin das Titelrennen praktisch wieder bei null. Mit dem Unterschied, dass das Momentum dieses Mal auf Seiten des Spaniers ist.

Pecco könnte einen möglicherweise schlechten Hinterreifen, der sich von der Aufwärmrunde an nicht gut angefühlt hat, für den Horror-Unfall in Barcelona verantwortlich machen, der seinen Lauf stoppte, als er gerade so richtig Fahrt aufgenommen hatte.

Es war aber nicht nur dieser eine Crash, der den Unterschied gemacht macht. Es waren noch vier weitere Rennstürze – und alle am Sonntag, wenn also die vollen Punkte vergeben werden (in Argentinien, Texas, Frankreich und Indien). Da kommt unweigerlich der Gedanke an seine unberechenbaren Launen auf, die schon die erste Hälfte der Saison 2022 verdorben hatten.

Der Weltmeister sucht keine Ausreden. «Wir fahren die ganze Zeit am Limit, dann kann so etwas passieren», sagte er nach seinem Ausrutscher in Indien.

Sich am Limit zu bewegen, bringt einen unweigerlich in prekäre Situationen. Abgesehen vom Unfall in Katalonien, bei dem der WM-Leader wie durch ein Wunder schweren Verletzungen entging, nachdem Brad Binder über seine Beine gerollt war, nahm Bagnaia die Schuld auf sich.

Zuletzt sorgte noch ein weiterer Aspekt für Risse in seinem Selbstvertrauen. Er bekam plötzlich Mühe in der Bremsphase, wo er sonst unschlagbar war. «Meine Stärke wurde zu meiner Schwäche», grübelte der Italiener beim Indien-GP. Die unvorhersehbaren Slides am Hinterrad machten ihm rückblickend bereits in Misano zu schaffen. In Japan atmete der Ducati-Werksfahrer dann nach einem arbeitsreichen Freitag aber wieder auf.

Von Startplatz 2 (die erste Reihe verpasste Pecco in dieser Saison erst zwei Mal) war ein zweiter Rang im Regenrennen am Sonntag ein willkommener Boost für sein Selbstvertrauen – wenn nicht wieder Martin vor ihm gelandet wäre…

Der Spanier schwebt auf Wolke 7. Beim Japan-GP gelang ihm zum zweiten Mal in den jüngsten drei Grands Prix das Triple aus Pole-Position und Siegen im Sprint und über die volle Distanz. Dazwischen gewann er in Indien einen weiteren Sprint und rettete im GP-Rennen auf dem Buddh International Circuit trotz völliger Erschöpfung einen zweiten Platz ins Ziel.

Pecco Bagnaia und Jorge Martin im Vergleich

Bei Bagnaia stehen in der laufenden Saison vier Sprint-Siege und fünf GP-Siege zu Buche, er kreuzte die Ziellinie am Sonntag nie außerhalb der Podestränge. Martin gewann fünf Sprints und drei GP-Rennen – musste aber im Vergleich zu Peccos fünf Rennstürzen nur zwei Nuller hinnehmen.

Ihre Beschäftigungssituation ist auch eine andere: Als Werkfahrer und Titelverteidiger lastet der Druck auf Bagnaia. Martin ist im Gegensatz dazu ein freier Vogel, mit einem leichten Anflug von Groll, nachdem er im Vorjahr bei der Besetzung des Werksteams gegen Enea Bastianini den Kürzeren gezogen hat. Er verfügt über dieselbe GP23, muss aber nicht dieselbe Erwartungshaltung erfüllen.

Dazu kommt: Nicht nur Martin dürfte den Schlaf des Weltmeisters in dieser Saison mehr als einmal gestört haben. Er muss über beide Schultern schauen und sich ausgerechnet vor einem VR46-Trainingsparter und guten Kumpel, den unbändigen Marco Bezzecchi, auf der letztjährigen GP22 in Acht nehmen.

«Bez» wurde bereits drei Mal unverschuldet in Startunfälle verwickelt und mehrfach zur Aufholjagd gezwungen – und er kann aufholen. Besonders stark meldete er sich in Indien zurück, als er am Samstag vom Ende des Feldes noch bis auf den vierten Rang sprintete. Wäre es ein Rennen über die volle Distanz gewesen, hätte er wahrscheinlich sogar gewonnen – was er tags darauf eindrucksvoll tat und seinen dritten MotoGP-Sieg fixierte.

Bei 222 noch zu vergebenen Punkten wäre es definitiv zu früh, Bezzecchi aus dem Titelrennen zu streichen. Zu seinen 54 Punkten Rückstand kommt vor dem Indonesien-GP allerdings erschwerend hinzu, dass sich der Mooney-VR46-Jungstar am Samstag auf der Ranch das rechte Schlüsselbein brach und jetzt um seinen Einsatz auf Lombok bangen muss.

Klar ist bisher: Bagnaia ist noch nicht vom Dach der Welt gefallen, aber es ist unter dem Druck der super-schnellen Markenkollegen ins Schwanken geraten.

Immerhin sollte ein Blick auf seinen Lauf am Ende der letztjährigen Saison für Beruhigung sorgen, als er die Situation nach vier unerzwungenen Rennstürzen retten musste. Er arbeitete an seiner Herangehensweise, versuchte nur das Mögliche und vertraute auf sich selbst. Mit fünf Siegen und drei weiteren Podestplätzen aus den letzten zehn Rennen drehte er so einen 91-Punkte-Rückstand noch in einen 17-Punkte-Vorsprung – und das größte Comeback der WM-Geschichte war perfekt.

Gleichzeitig häufte Quartararo in dieser Zeit vier Nuller an. Aber kann sich Bagnaia darauf verlassen, dass Martin das genauso passieren wird?

WM-Stand nach 28 von 40 Rennen:

1. Bagnaia, 319 Punkte. 2. Martin 316. 3. Bezzecchi 265. 4. Binder 201. 5. Aleix Espargaró 171. 6. Zarco 162. 6. 7. Viñales 139. 8. Marini 135. 9. Miller 125. 10. Quartararo 111. 11. Alex Márquez 108. 12. Morbidelli 77. 13. Oliveira 69. 14. Augusto Fernández 67. 15. Marc Márquez 64. 16. Di Giannantonio 52. 17. Rins 47. 18. Nakagami 45. 19. Raúl Fernández 36. 20. Pedrosa 32. 21. Bastianini 25. 22. Mir 20. 23. Pol Espargaró 12. 24. Savadori 9. 25. Folger 9. 26. Bradl 8. 27. Pirro 5. 28. Petrucci 5. 29. Crutchlow 3.

Konstrukteurs-WM:
1. Ducati, 490 Punkte. 2. KTM 272. 3. Aprilia 240. 4. Honda 142. 5. Yamaha 131.

Team-WM:
1. Prima Pramac Racing, 478 Punkte. 2. Mooney VR46 Racing 400. 3. Ducati Lenovo Team 354. 4. Red Bull KTM Factory Racing 326. 5. Aprilia Racing 310. 6. Monster Energy Yamaha 188. 7. Gresini Racing 161. 8. CryptoDATA RNF 109. 9. LCR Honda 98. 10. GASGAS Factory Racing Tech3, 88. 11. Repsol Honda 84.

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