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Der Absturz von Joan Mir: Ist er zu zart besaitet?

Von Günther Wiesinger
Die Verpflichtung von Ex-MotoGP-Weltmeister Joan Mir erwies sich für Repsol-Honda als ordentlicher Reinfall. Nach dem 22. WM-Rang hilft dem Mallorquiner nur eine schonungslose Fehler-Analyse.

Der bei Gresini arbeitslos gewordene Fabio Di Giannantonio hat bei den letzten fünf Grand Prix einen dritten und einen zweiten Platz erobert, dazu den Sieg in Doha gegen Pecco Bagnaia. Für diese Performance wurde er mit dem vakanten Platz bei Valentino Rossis Mooney VR46-Team belohnt, denn Luca Marini nahm dort im November überraschend Abschied und einigte sich für zwei Jahre mit Repsol-Honda, wo Marc Márquez-Teamkollege Joan Mir in der Fahrer-WM über Rang 22. nicht hinauskam. Mir hat bei 20 Grand Prix 26 triste Punkte eingeheimst, ca. die Hälfte der Rennen versäumt und gemeinsam mit Márquez mehr als 50 Stürze fabriziert.

Joan Mir hat am Sonntag im ganzen Jahr nur fünfmal gepunktet. Bestes Ergebnis: Platz 5 beim ausfallsreichen GP in Indien. Unfassbar: Joan Mir gelang während der ganzen Saison kein einziger Punktgewinn in den Sprintrennen! Landsmann Jorge Martin hingegen gewann neun davon.

«Das einzige fehlerlose Rennen ist Joan Mir bei Platz 13 in Katar gelungen», war zuletzt vom Repsol-Team zu hören.

Das Talent des Spaniers, der in der Moto3-WM 2017 mit Leopard-Honda den Weltmeistertitel gewann und dann zu Marc VDS in die Moto2 wechselte, ist unbestritten. Aber Joan Mir wird nachgesagt, er sei für die erbarmungslose Schlangengrube MotoGP zu liebenswürdig und zu zart besaitet. Er fällt bei Problemen zu rasch in ein Loch, hat bei Verletzungen offenbar eine Tendenz zur Wehleidigkeit und bei 81 MotoGP-Rennen nur einen Sieg davon getragen. In der Moto2 blieb Joan sieglos, in der Moto3 triumphierte Joan Mir immerhin elf Mal.

Bei HRC hat sich Joan Mir 2023 mehrmals unbeliebt gemacht, als er sich nach Verletzungen zu viel Zeit für die Rückkehr ließ.

In Mugello erlitt er im Juni am Samstag eine Handverletzung. In der Moto2-Klasse zog sich Arón Canet eine ähnliche Verletzung zu, er setzte sich am nächsten Tag wieder auf das Motorrad. Joan Mir kurierte sich hingegen gewissenhaft aus – und trat auch am folgenden Wochenende beim Deutschland-GP nicht an. Dass er im Sommer erstmals Vater wurde, könnte auch eine Rolle gespielt haben, wurde ihm vorgeworfen. 

Auf der Suzuki krönte sich Joan Mir in der turbulenten Corona-Saison 2020 (nur 14 Grand Prix) sensationell zum Weltmeister!

Marc Márquez verletzte sich damals in Jerez beim Auftakt, Yamaha wurde vom Ventilskandal heimgesucht, Ducati war mit Dovizioso noch nicht auf allen Pisten konkurrenzfähig. Joan Mir nutzte die Gunst der Stunde – und gewann die WM vor Franky Morbidelli (drei Saisonsiege), Alex Rins, Andrea Dovizioso und Pol Espargaró (KTM).

Joan Mir beendete die WM 2021 noch an dritter Position, doch 2022 machte ihm der angekündigte Suzuki-Rückzug viel stärker zu schaffen als seinem Teamkollegen Rins, der im Finale zwei Rennen gewann und WM-Siebter wurde. Joan Mir stürzte auf den 15. WM-Rang ab und kam ohne Selbstvertrauen zu Repsol-Honda, wo sowieso der sechsfache Weltmeister Marc Márquez die Zügel in der Hand hatte und Mir schon bei den Wintertests arge Prügel einstecken musste.

Der nur um 21 Monate ältere Alex Rins hingegen hat insgesamt bereits sechs MotoGP-Siege errungen und 2023 der mangelnden Schlagkraft der Honda RC213V tapfer getrotzt, indem er zum Beispiel dem LCR-Team in Texas im Sprint den zweiten Platz und im Sonntag den Sieg bescherte.

Und nach dem verheerenden Schien- und Wadenbeinbruch von Mugello humpelte Rins beim Comeback mit Krücken durch die Gegend, trotzdem biss er auf die Zähne und heimste in Indonesien einen starken 9. Platz ein und stellte Joan Mir in der WM-Tabelle trotz der langen Rennpause klar in den Schatten. Er kassierte mehr als doppelt so viele Punkte ein wie sein Honda-Kollege, nämlich 54.

Beim Katar-GP wurde Joan Mir-Manager Francisco «Paco» Sanchez am Samstagabend vor zwei Wochen bei einem intensiven Gespräch mit Mooney-VR46-Teamdirektor Uccio Salucci beobachtet. Dieses Gespräch führte in manchen Medien zur Mutmassung, Sanchez versuche seinen Schützling Joan Mir in letzter Minute aus dem HRC-Vertrag rauszuboxen und bei Rossis Ducati-Team statt Luca Marini unterzubringen.

Im Interview mit SPEEDWEEK.com stellte Paco Sanchez aber klar: «Bei diesem Meeting ging es um die Saison 2025. Ich manage auch andere Fahrer, zum Beispiel Remy Gardner und Sergio Garcia. Und in dieser Funktion ist es meine Pflicht, ständig mit allen Teams in Kontakt zu sein und mir ihre Pläne anzuhören.»

Wenn man die Ergebnisse vom Dienstag-Test als Grundlage nimmt, dann wird Joan Mir auch 2025 bei HRC einen schweren Stand haben. Denn Neuzugang Luca Marini, der WM-Achter von 2023 mit zwei Podestplätzen am Sonntag, war mit der Honda gleich am ersten Tag schneller als Joan Mir. 

Ergebnis Valencia-Test (28. November):

1. Viñales, Aprilia, 1:29,253 min
2. Binder, KTM, + 0,028 sec
3. Bezzecchi, Ducati, + 0,093 sec
4. Marc Márquez, Ducati, + 0,171
5. Raúl Fernández, Aprilia, + 0,263
6. Alex Márquez, Ducati, + 0,385
7. Di Giannantonio, Ducati, + 0,409
8. Bastianini, Ducati, + 0,543
9. Miller, KTM, + 0,648
10. Marini, Honda, + 0,703
11. Bagnaia, Ducati, + 0,717
12. Quartararo, Yamaha, + 0,769
13. Mir, Honda, + 0,798
14. Augusto Fernández, KTM, + 0,824
15. Martin, Ducati, + 0,899
16. Morbidelli, Ducati, + 0,953
17. Zarco, Honda, + 1,030
18. Acosta, KTM, + 1,223
19. Rins, Yamaha, + 1,311
20. Crutchlow, Yamaha, + 1,512
21. Nakagami, Honda, + 1,723
22. Aleix Espargaró, Aprilia, + 3,059
23. Savadori, Aprilia, + 3,431


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