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Borsoi (Pramac): «Zeit, die Komfortzone zu verlassen»

Von Manuel Pecino
Gino Borsoi

Gino Borsoi

Im Interview mit SPEEDWEEK.com sprach Pramac-Teammanager Gino Borsoi über den Wechsel zu Yamaha, Jorge Martin und auf was es bei der Fahrerwahl ankommt.
Gino, bitte vervollständige diesen Satz: Die letzten Monate waren...

…voller Emotionen, die sich nur sehr schwer zusammenfassen lassen. Sie reichten von Höhen und Tiefen des Rennsports über die großartigen Ergebnisse von Jorge Martin bis hin zum Wechsel von Ducati zu Yamaha. Es war sicherlich eine interessante Mischung.

Hat die ganze Ungewissheit, die durch die Martin-Situation entstanden ist, die Arbeitsweise in der Garage beeinflusst? Musstest du in dieser Hinsicht besonders aufmerksam sein?

An den Wochenenden lag der Schwerpunkt oft auf Meetings, bei denen Entscheidungen für die Zukunft besprochen wurden. In der Vergangenheit war die Zukunft klar und man konnte sich voll und ganz auf das Wochenende konzentrieren und auf die bestmögliche Vorbereitung. In diesem Jahr gab es Rennen, bei denen ich nicht zu 100 Prozent in der Box sein konnte. Ich habe versucht, mir Zeit zu nehmen, um beides gut zu machen, aber der Tag hat nur 24 Stunden und man muss Prioritäten setzen.

Jetzt liegt der Fokus wieder auf den Rennen?

Ja, jetzt ist alles wieder auf dem richtigen Weg. Nun, natürlich nicht alles – wie man sich vorstellen kann, fällt die Entwicklung eines Plans für unsere Zukunft mit den nächsten Monaten der Weltmeisterschaft 2024 zusammen. Es ist nicht so, dass wir die Entscheidung getroffen haben, zu Yamaha zu gehen, und dann sehen wir nächstes Jahr weiter. Die ganze Vorbereitung für die Weltmeisterschaft 2025 hat bereits begonnen – somit laufen 2024 und 2025 parallel.

Die Vorbereitungen für die nächste Saison beginnen vor dem Valencia-Test, dann kommt die Abstimmung des Motorrads in Japan und dann der Test in Malaysia. All das braucht viel Zeit und Mühe und es passiert neben der großartigen Saison, die das Team gerade erlebt.

Verstehst du die Entscheidung von Ducati, Marc anstelle von Jorge zu verpflichten?

Diese Frage habe ich schon mehrmals beantwortet, es ist ein sehr komplexes Thema. Wenn man Entscheidungen trifft, die einen selbst angehen, sieht man das ganze Bild. Man weiß, was dahinter steckt und man kennt die Leute.

Was Ducati betrifft, so kann ich nicht sagen, ob die Entscheidung richtig oder falsch ist. Sie haben offensichtlich eine andere Sichtweise, aber es ist sehr schwierig, ein Urteil zu fällen, ohne die Hintergründe zu kennen – deshalb möchte ich das nicht tun.
Meiner Meinung nach hätte Jorge im Werksteam landen sollen. Er hat zwei Jahre lang bewiesen, dass er einer der besten Fahrer in der Startaufstellung ist – er kämpft jetzt schon das zweite Jahr um die Weltmeisterschaft. Ja, es sind noch viele Rennen zu fahren und natürlich kann noch viel passieren, aber die Ergebnisse sind da. Wir haben einen Jorge gesehen, der seit Anfang des Jahres viel schneller ist, der sich seiner Geschwindigkeit und seiner Fähigkeiten viel bewusster ist. Ich persönlich denke, dass es das Richtige gewesen wäre, wenn er im Werksteam gelandet wäre, weil er es aufgrund seiner Fähigkeiten und der Art, wie er arbeitet, verdient hat.

Inwiefern hat die Entscheidung von Ducati in Bezug auf Martin das Team Pramac beeinflusst, das Buch mit Ducati zu schließen und ein neues mit Yamaha zu öffnen?

Wie ich bereits sagte, gab es viele Faktoren, die uns zu einer solch schwierigen und komplexen Entscheidung veranlasst haben. Für viele Außenstehende ist es schwer zu verstehen, weil sie nicht alle Faktoren kennen. Es gab diese Entscheidungen und Anfragen von Ducati, die Campinotti, den Besitzer dieses Teams, dazu brachten zu denken, dass es vielleicht an der Zeit war, unsere Komfortzone zu verlassen.

Der Wechsel zu Yamaha bedeutet in vielerlei Hinsicht ein Neubeginn: die Arbeitsweise, das Fehlen jeglicher Art von geschützten Daten, der Aufbau eines Kommunikationskanals mit der neuen Marke und die Beziehung zu Yamaha, das seine Satellitenteams immer als Kunden behandelt hat.

Diese Überlegungen lagen logischerweise auf dem Tisch, als wir diese Entscheidung treffen mussten und wir haben uns mit genau diesen Fragen beschäftigt. Es braucht Zeit, um mit den Yamaha-Leuten die gleiche Arbeitsbeziehung aufzubauen, wie wir sie mit Ducati über viele Jahre hatten. Aber man muss auch berücksichtigen, dass viele oder Teile der Ducati-Mitarbeiter zu Yamaha gewechselt sind oder wechseln werden. Wir fangen also nicht bei Null an.

Wer wählt die zukünftigen Fahrer für das Team Pramac Yamaha aus?

Die Fahrer werden in Zusammenarbeit mit Yamaha ausgewählt. Wie im Fall von Ducati, werden die Fahrer einen direkten Werksvertrag haben. Es wird auf die gleiche Weise funktionieren wie bei Ducati.

Wenn man bedenkt, dass Yamaha so schnell wie möglich verlorenen Boden gutmachen muss, wie sieht dann das Profil der Fahrer aus?

Die Philosophie dieses Teams ähnelt ein wenig der Rolle, die wir bei Ducati hatten: Fahrer weiterzuentwickeln. Aber wir befinden uns jetzt in einer anderen Situation. Die Formel, um in kürzester Zeit Ergebnisse zu erzielen, ist es, Fahrer auszuwählen, die bereits Erfahrung haben in der MotoGP und die schon eine Vorstellung davon haben, wie ein Wochenende in der Königsklasse abläuft und die verschiedene Motorräder gefahren sind.

Kürzlich sagte Martin einen Satz wie: «Wir sind ein bisschen mehr allein als vorher, sowohl das Team als auch ich.» Er bezog sich damit offensichtlich auf die Situation, die durch seinen Weggang von Ducati im nächsten Jahr entstanden ist. Teilst du dieses Gefühl?

Nein, ganz und gar nicht. Die Unterstützung von Ducati ist immer noch dieselbe. Natürlich denken wir alle an die Zukunft. Und diese Zukunft lässt einen über Dinge nachdenken, die nicht richtig sind, wie zum Beispiel, ob Ducati uns um die Weltmeisterschaft kämpfen lässt – wenn man bedenkt, dass das Pramac-Team zukünftig mit Yamaha zusammenarbeiten wird und Martin zu Aprilia geht und Geheimnisse von Ducati mitnimmt.

Gigi Dall'Igna hat aber noch nie etwas gegen ein Team unternommen und ich glaube nicht, dass er jetzt damit anfangen wird, auch wenn wir keine gemeinsame Zukunft haben. Ich weiß, was für ein professioneller Mensch Dall'Igna ist und ich bin sehr sicher, dass Ducati, wie im letzten Jahr, absolut nichts tun wird, um uns zu stoppen.

Ist das eine Aussage, an die du wirklich glaubst, oder ist es eine politisch korrekte Antwort?

Ich glaube das zu 100 Prozent. Nein, es gibt keinen Druck von irgendwo. Gigi ist ein großartiger Mensch, das hat er immer bewiesen, und ich bin überzeugt, dass er es auch dieses Jahr beweisen wird. In Silverstone gab es ein Verkleidungs-Upgrade, das, denke ich, niemandem aufgefallen ist – die einzigen, die dieses Upgrade hatten, waren Pecco und Martin – zur gleichen Zeit.

Nach Martins Sturz in Deutschland sah er so aus, als wäre die Welt für ihn untergegangen. Zwei Wochen später in Silverstone war die Stimmung genau andersherum. Natürlich ist es für Fahrer schwer, nach einem schlechten Ergebnis die Ruhe zu bewahren.

Was in Deutschland passiert ist, war das Problem von allen, nicht das von Jorge. Die Leute neigen dazu, zu denken, dass der Sturz eines Fahrers seine Schuld ist, aber in Wirklichkeit ist es ein Fehler des Teams. Vielleicht wussten wir vorher nicht, wie wir mit Jorge arbeiten müssen, um so etwas zu vermeiden, oder wir haben einige technische Dinge am Motorrad nicht gesehen. Nachdem wir viele Daten analysiert hatten, kamen wir zu dem Schluss, dass es etwas am Motorrad gab, das es ihm in der letzten Phase des Rennens vielleicht etwas schwerer machte.

Wir sprechen hier von Dingen, die man manchmal kaum bemerkt, aber durch die Analyse der Daten dieses Sturzes und der anderen Stürze, die sehr ähnlich waren, haben wir ein Muster gefunden, das vielleicht einer der kleinen Schlüssel ist, der Jorge helfen kann, solche Dinge zu verhindern. Aber wenn man das nicht analysiert und nur den Fahrer beschuldigt, der zwei Runden vor Schluss gestürzt ist, wird man keine Fortschritte machen.

Dein Name wurde als möglicher Ersatz für Davide Tardozzi an der Spitze des Ducati-Teams genannt. Ich habe Davide gefragt. Er sah mich an, lächelte und sagte. «Ich weiß nichts, aber es wird sicher nicht nächstes Jahr sein.»

Ich habe eine Vereinbarung mit Campinoti und dem Pramac-Team. Campinoti ist ein großartiger Mensch, er hat mir die Möglichkeit gegeben, hier in diesem Team zu sein – einem großartigen Team, und ich schulde ihm viel.

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