MotoGP-WM: Ein Plädoyer für die Einheitsreifen
Nach unseren Berichten über die Vorderreifenprobleme von Bridgestone beim Texas-GP, den Interviews mit Chief Coordinator Thomas Scholz und der Exklusiv-Meldung, dass der Einheitsreifendeal zwischen dem japanischen MotoGP-Reifenlieferanten und GP-Promoter Dorna für 2015 um ein weiteres Jahr verlängert wird, wunderten sich einige SPEEDWEEK.com-User per Postings mit Recht, warum Dorna, FIM, IRTA und die Werke nicht wieder zum offenen Reifenkrieg zurückkehren, wie er in der Königsklasse bis Ende 2008 geherrscht hat und damals auch in anderen Serien alltäglich war.
Ja, gute Frage.
Ich muss vorausschicken, dass ich einst ein strikter Gegner der Einheitsreifen war, weil ich mir sagte: Weltmeisterschaft bedeutet Wettbewerb, keine Firma soll sich einen WM-Titel quasi kaufen können.
Diese Ansicht basierte nicht zuletzt auf den schlechten Erfahrungen, welche die Teams in der Superbike- und Supersport-WM mit Pirelli gemacht haben, wo sie von Flammini für die Reifen tüchtig zur Kasse gebeten wurden. Und meistens hörte ich, dass Pirelli die Reifen jahrelang für Ducati massgeschneidert habe, die Italiener das Wort Einheitsreifen nicht sehr wörtlich nahmen und so manches Team ganz andere Konstruktionen und Mischungen bekam als Ducati Corse.
Anderseits existiert heute kaum noch eine namhafte Motorsport-Rennserie, in der es keine Einheitsreifen gibt, von der Rallye-WM über die DTM, bis zur WTCC und Formel 1.
Naja, meine Einwände interessierten damals niemanden, die Dinge nahmen ihren Lauf. Für 2009 bekam Bridgestone erstmals für drei Jahre den Einheitsreifendeal für die MotoGP-Kategorie.
2007 hatte Casey Stoner auf Ducati die MotoGP-WM gewonnen. Ducati war damals das Testteam und einzige Werksteam der Japaner, die Reifen wurden für den Stahlrahmen massgeschneidert.
Honda und Yamaha standen als Werke und Hersteller chancenlos da. Denn Michelin war 2007 ins Hintertreffen geraten, bei einigen Rennen hatte nicht einmal der grosse Valentino Rossi Podestchancen. Und als 2009 die Einheitsreifen kamen, wollte alle Teams und Werke Bridgestone haben.
Das wird heute gern vergessen.
Damals konnte ein ruhmreiches Werk jede Titelchance verspielen und ein Budget von 50 Millionen Euro in den Sand setzen, nur weil es sich mit dem falschen Reifenhersteller verbündet hatte.
Ausserdem hat Michelin zu seiner Glanzzeit dank der jahrelangen Vorherrschaft natürlich wilde Blüten getrieben. Die Teams und Werke wurden selbstherrlich und willkürlich ausgesucht, denn nur die Siegfahrer zählten und jene Werke, die auch brav zehntausende Reifen für die Erstausrüstung kauften. Erst nach 2005 wurden erste Beschränkungem für die Anzahl der Reifen pro Wochenende eingeführt.
Willkür bei Michelin
Das Roberts-KTM-Werksteam bekam vor zehn Jahren als Neueinsteiger nur deshalb Michelin-Reifen, weil die Österreicher 50.000 Euro pro WM-Lauf nach Frankreich überwiesen.
Das Ilmor-800-Team von Mario Illien erhielt für die letzten zwei WM-Rennen 2006 nur deshalb Michelin-Pneus, weil Teamteilhaber Roger Penske in den USA ein Transportunternehmen mit 230.000 Lkw (kein Tippfehler!) betreibt und bei Michelin USA tausende Lkw-Reifen bestellte.
Michelin belieferte damals das Yamaha-Werksteam, nicht aber das Tech3-Yamaha-Kundenteam, das sich nur Dunlop-Reifen leisten konnte und deshalb keine Spitzenfahrer und keine Sponsoren fand und jämmerlich unterging. Dabei sollte das Tech3-Team vielversprechende Talente für das Werksteam aufbauen – wie heute mit Pol Espargaró und Bradley Smith.
Heute bekommt Tech3 die Einheitsreifen und konnte 2013 mit Cal Crutchlow um Podestplätze fighten und sogar um GP-Siege – siehe Sachsenring.
Wie Dunlop kam auch Pirelli in der Königsklasse nie auf einen grünen Zweig.
Mit einem Wort: Michelin hatte vor zehn Jahren quasi ein ähnliches Reifen-Monopol wie Bridgestone heute.
Michelin nützte sogar seinen Standortvorteil in Clermont-Ferrand/Frankreich und liess mitunter nach dem Freitag-Training neue Reifen produzieren und im Kleintransporter für das Qualifying und Rennen nach Jerez, Assen oder sonst eine europäische Rennstrecke kutschieren. Exklusiv für eine Handvoll Stars.
Das Wort Chancengleichheit wurde damals klein geschrieben.
Bridgestone mit Produktionsstandort Japan konnte in diesem Punkt nicht dagegenhalten.
Der grosse Unterschied: Heute bekommen alle Teams die Reifen gratis, sogar die 120 Testreifen pro Jahr und Fahrer.
Bridgestone lässt sich diesen Deal rund 20 Millionen Euro im Jahr kosten. 15.000 MotoGP-Reifen pro Jahr werden erzeugt.
Es wurde zu Zeiten des Reifenkriegs so mancher anderer Schabernack getrieben. Valentino Rossi nützte sogar seinen Ruhm und seinen Einfluss für 2008, um sich als erster und einziger Yamaha-Pilot exklusiv Bridgestone-Reifen zu sichern. Honda blieb bei Michelin – und verlor die WM. Und Rossi stellte sogar sicher, dass sich sein neuer Teamkollege Jorge Lorenzo in seinem Rookie-Jahr 2008 mit Michelin abmühen musste – und entsprechend oft mit wilden Highsidern abflog.
Das ist zwar erst sechs Jahre her, aber es ist weitgehend in Vergessenheit geraten.
Deshalb habe ich mich an die Einheitsreifen gewöhnt wie ein schlecht gehaltener Hund an die Flöhe.
Einheitsreifen: Vorteil für die Privatteams
Werksunterstützte Kundenteams wie Gresini-Honda, LCR-Honda, Tech3-Yamaha und Pramac-Ducati haben heute aufgrund der Einheitsreifen wesentlich bessere Voraussetzungen als zu Zeiten des Reifenkriegs, als sie nehmen mussten, was die Topteams übrig liessen.
Seien wir ehrlich: Einheitsreifen sind nicht die Ideallösung.
Aber sie sind das kleinere Übel.
Und Michelin müsste sich gewaltig anstrengen, wenn sie sich gegen Bridgestone für 2016 um den Einheitsreifendeal bewerben wollen.
Das Knowhow, das sich die Japaner in den letzten sechs, sieben Jahren mit Dual-Compound-Reifen für hinten und vorne angeeignet haben, mit den symmetrischen und asymmetrischen Reifen, das lässt sich nicht in einem Testjahr aufholen.
Klar, die Fahrer jammern regelmässig über Bridgestone. Sie sprechen dann gern über «null grip» – und unterbieten den Rundenrekord.
Klar, Australien 2013 war für Bridgestone ein Desaster. Die Hinterreifen hielten nur zehn Runden.
Aber auch bei Michelin sind manchmal die Hinterreifen zerbröselt, zum Beispiel in Hockenheim 1987, als noch mit 500-ccm-Bikes gefahren wurde. Die hatten mehr als 100 PS weniger als die heutigen 1000er und knatterten 60 oder 70 km/h langsamer über die Geraden.