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Marc Márquez: Die Gegner ratlos, die Zukunft rosig

Von Günther Wiesinger
Für Weltmeister Marc Márquez scheint die MotoGP-WM 2014 ein Spaziergang zu werden. Er hat das beste Motorrad, das siegreichste Team, das meiste Talent, die grösste Risikofreudigkeit – und so weiter.

Ich wüsste nicht, welche Superlative in Zusammenhang mit Marc Márquez noch nicht verwendet wurden sind.

Wenn «Fast Freddie» Spencer vor 30 Jahren schon als Ausserirdischer gefeiert wurde, was ist dann Márquez?

Der Galaktische?

Mit Worten lässt sich kaum beschreiben, wie der 21-jährige Seriensieger und Dreifach-Weltmeister (drei Titel in vier Jahren in drei verschiedenen Klassen) sein Rennmotorrad handhabt.

Ich habe schon viel Ausnahmekönner erlebt, von Agostini über Cecotto, Sheene, Roberts, Spencer, Hansford, Rainey, Doohan, Schwantz, Lawson und Gardner bis zu Rossi und Stoner.

Aber einen so spielerischen Umgang mit dem Sportgerät, ein so dauerhaftes Balancieren am Limit, ein solches Lächerlich-Machen der Gegner, ein derartiges Wegstecken des Leistungsdrucks und der Erwartungshaltung, diese Freude am Fahren, diese schiere Lust am Wettkampf, diese Unbekümmertheit und Unbeschwertheit, diese Konzentration aufs Wesentliche, dieses konstant hohe Niveau, diese einmalige Fahrzeugbeherrschung, diese Rennintelligenz, dieser Killerinstinkt, diese Rücksichtslosigkeit im Zweikampf, all diese Attribute, diese Talente und Begabungen, sie machen den Repsol-Honda-Star unnachahmlich und herausragend.

Die blamierten Gegner möchten sich am liebsten gar nicht mehr zu Márquez äussern. Das Thema hängt ihnen zum Hals heraus.

Was sollen sie über einen Fahrer sagen, der im Texas-Training zeitweise eine Sekunde vor seinen Gegnern lag, nachdem in Doha die ersten zwölf des MotoGP-Qualifyings nur durch 0,6 sec getrennt waren?

Ich sass am Montag nach dem Texas-GP im Flugzeug von Austin nach Chicago neben Santi Hernandez, dem Crew-Chief von Márquez.

Er stimmt in seinen Aussagen stark mit Marcs ehemaligem 125-ccm-Teamchef Aki Ajo überein. «Marc war mit 16 oder 17 schon so intelligent wie ein 25-Jähriger. Er war wissbegierig und masslos ehrgeizig. Gut erzogen und immer gut gelaunt», erklärt Ajo noch heute voller Bewunderung.

Santi Hernandez fügt an: «Marc kommt an die Rennstrecke, weil er nichts lieber tut als Motorradfahren.»

Mit dieser leichtfüssigen Einstellung treibt die Nummer 93 die Rivalen zur Verzweiflung. So mancher Gegner (nicht nur Pedrosa) sieht missmutig aus, vielen ist die Freude vergangen. Sie gehen halt einem Job nach.

Marc Márquez: Lorenzo schon zermürbt?

Auch Jorge Lorenzo ist in diesen Teufelskreis geraten. Der Yamaha-Star wirkt grüblerisch. So einen Frühstart wie in Texas hat die Welt noch nicht gesehen. Fliegen am Helmvisier, hin oder her.

Die Bilanz von Marc Márquez spricht Bände. Er hat 98 Grand Prix absolviert, 34 gewonnen und 59 Podestplätze erzielt. Das heisst: Er hat fast 60 Prozent der WM-Rennen auf dem Podium beendet.

Eine einmalige Bilanz. Marcs mit seinem Gefühl für die Rutschgrenze, mit seiner Technik, seiner List, seinem Egoismus, seiner Magie, seiner Klasse – wo soll das noch hinführen?

Márquez hat jetzt 20 MotoGP-Rennen bestritten und elf Mal die Pole-Position erobert. Er war 18 Mal auf dem Podest, acht Siege hat er in der Königsklasse errungen.

Er hat seinen Teamkollegen Dani Pedrosa in kürzester Zeit schwindlig gefahren. Der Spanier gewann in der zweiten Saisonhälfte 2012 sieben Rennen. Dann kam der ungestüme und respektlose Rookie Márquez. Seither hat Pedrosa in 20 Rennen drei Siege eingefahren. Ein Jammer.

Übrigens: Márquez hat jedes Mal in der MotoGP-Klasse einen Podestplatz erreicht, wenn er von der Pole wegfuhr.

Er hat 2014 die ersten zwei Rennen vom besten Startplatz aus gewonnen. Das hat seit Mick Doohan 1995 kein anderer geschafft. Schon wieder ein Rekord.

Aber es ist auch beim aktuellen Weltmeister und WM-Leader nicht alles Gold, was glänzt.

Manchmal beschleicht mich das Gefühl, Márquez sei ohne Angstzentrum im Gehirn auf die Welt gekommen. Sein Selbsterhaltungstrieb ist nicht stark ausgeprägt.

Experimente wie auf dem Vollgashügel in Mugello im ersten freien Training 2013, als er mit 338 km/h stürzte, gehen nicht immer glimpflich aus. Silverstone-Warm-up 2013, auch das war ein Warnschuss.

Aber Márquez ist ein Stehaufmännchen. Wadenbeinbruch im Februar 2014, zwei Tests verpasst. Trotzdem war er beim ersten Rennen unschlagbar.

Marc mit dem Glück des Tüchtigen

Der spanische Rechtsanwalt Paco Sanchez ist Manager von Pol Espargaró, eines langjährigen Widersachers von Márquez. Er anerkennt die Ruhmestaten des MotoGP-Champions, gibt aber auch zu bedenken, wie oft der risikofreudige Grenzgänger Glück gehabt hat, schon in der 125er-WM, zum Beispiel beim Re-Start 2010 in Estoril, oder später beim Moto2-Duell gegen Pol in Barcelona, beim Crash gegen Wilairot in Australien 2011.

Die Fahrweise von Marc Márquez ist ganz offenkundig nicht vorrangig darauf ausgelegt, sich auf der Rennpiste Freunde zu machen. Lüthi, Aegerter, Kallio, Corsi – sie können ein Lied davon singen.

In der MotoGP-WM bekam Lorenzo die Unbarmherzigkeit von Márquez gleich in Jerez 2013 zu spüren, Rossi später in Laguna Seca, Pedrosa am empfindlichsten in Aragón.

Bisher ist immer alles gut gegangen.

Aber Márquez hat auch immer wieder Strafpunkte kassiert wie zum Beispiel in Silverstone 2013. Zweimal musste er in der Moto2-WM strafweise vom letzten Startplatz wegfahren. Auch das brachte ihn nicht aus der Fassung. In Phillip Island 2011 wurde er trotzdem Dritter, in Valencia 2012 gewann er sogar.

«Marc fährt in jeder Runde so, als sei es eine Qualifying-Runde», sagt sein Crew-Chief Santi Hernandez.

Andrea Dovizioso muss bei Márquez unweigerlich an Marc Simoncelli denken.

Márquez hat die Grenzen verschoben

Marc Márquez hat in der MotoGP-WM die Messlatte in unerreichbare Höhen gelegt. Ganz langsam tasten sich die Gegner an die neuen Grenzen heran.

Aber das neue Repsol-Honda-Aushängeschild wird immer besser, immer stärker, immer routinierter, immer selbstsicherer.

Auf mentaler Ebene ist Márquez seinen Gegnern haushoch überlegen. Als seine Crew und das HRC-Management 2013 in Australien den richtigen Zeitpunkt zum Pflicht-Reifenwechsel (nach Runde 10) verschlief und er die schwarze Flagge bekam, hakte der Weltmeister dieses Desaster innerhalb von fünf Minuten ab. Er wurde eine Woche später in Japan Zweiter und brachte den Titelgewinn in Valencia mit traumwandlerischer Sicherheit souverän ins Trockene.

Die alte Generation mit Rossi, Pedrosa, Crutchlow und Dovizioso wird Marc nicht mehr dauerhaft gefährden können.

Bleibt Jorge Lorenzo. Aber der war in seiner MotoGP-Karriere noch nie so erfolglos und ratlos wie 2014.

Ob der 24-jährige Stefan Bradl weiter Boden auf seinen Rivalen gutmachen kann, wird die Saison 2014 zeigen. Bradley Smith, Pol Espargaró – haben sie das nötige Rüstzeug?

Sonst müssen wir auf die Teenager warten. Auf Maverick Viñales, auf Alex Rins, auf Jack Miller. Und womöglich sogar auf Alex Márquez.
Das kann noch ein paar Jährchen dauern.

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