Stefan Bradl: Bisher zu stark aufs Talent verlassen?
Stefan Bradl blickt auf drei Honda-Jahre zurück
Stefan Bradl sagte kürzlich im Interview mit SPEEDWEEK.com, die Ziele von Honda und LCR für 2014 seien «unrealistisch» gewesen. Er habe sich vom ersten Rennen zu stark unter Druck gefühlt, HRC habe dauernd Podestplätze oder zumindest Top-5-Ränge erwartet.
Schliesslich erlebte der gestern 25 Jahre alt gewordene Bayer seine schlechteste MotoGP-Saison bisher – er wurde WM-Neunter. 2012 hatte er die Rookie-of-the-Year-Wertung als WM-Achter gewonnen, 2013 hatte er die MotoGP-WM als Gesamtsiebter beendet.
Bradl räumte nach Rennen wie in Aragón ehrlich ein, es habe ihm nach den vielen Stürzen in diesem Jahr im Regen am nötigen Selbstvertrauen gefehlt, um im Finish noch ernsthaft um Platz 2 oder 3 kämpfen zu können. Dadurch litten im Sommer auch seine Qualifying-Ergebnisse.
Der Punktestand (sechs Nuller in 18 Rennen) bestätigt die schwankenden Ergebnisse in der Saison 2014. Bradl brachte es in diesem Jahr nur auf 117 Punkte, 2013 sammelte er 156 ein, 2012 immerhin 135.
Bei Forward-Yamaha will der Moto2-Weltmeister von 2011 sein Selbstvertrauen wieder aufbauen und seine alte Form wiederfinden. Das familiäre Umfeld scheint ihm gutzutun.
Das grosse Ziel heisst 2015 Gewinn der Open Class. Wenn Bradl nächstes Jahr gegen die Werksfahrer von Honda, Yamaha und Ducati verliert, wird das kein Desaster sein. Er traut sich aber regelmässig Plätze zwischen 6 und 10 zu.
«Wenn Stefan seine Konstanz verbessert und 18 Mal auf Platz 7 landet, ist er am Jahresende WM-Fünfter», rechnet Elektronik-Ingenieur Dirk Debus vor.
Es sind sich viele Experten einig: Bradl hat grosses Potenzial, er hat bisher nicht alles gezeigt, was in ihm steckt.
Das meint auch sein neuer Crew-Chief Sergio Verbena. Und Dirk Debus sagt: «Ich glaube, Stefan ist besser als er selber denkt.» Deshalb hätte ihn auch LCR-Honda-Teambesitzer Lucio Cecchinello gerne behalten.
Bradl: «Durch den Druck zugrunde gegangen»
Hat sich Bradl bisher oft zu sehr auf sein Talent verlassen? «Sicher habe ich Potenzial, das sehe ich ja selber, wenn ich teilweise sehr, sehr gut dabei bin», räumt Bradl ein. «Das Komische ist: Wenn es leicht läuft und mir die guten Zeiten locker von der Hand gehen, bin ich am weitesten vorne. Die Schwierigkeit besteht darin, diese Spitzenleistungen immer abzurufen und rauszufinden, wie man aus einem Tief herauskommt. Oder wie man das Set-up von Freitag auf Samstag vernünftig verbessern kann... Ich glaube, ich bin in diesem Jahr durch den Druck bei Honda mental ein bisschen zugrunde gegangen. Ich glaube, dass das bei Bautista ziemlich gleich war.»
Bradl hält aber auch fest: «Im MotoGP-Paddock hat jeder Fahrer Talent. Wer kein Talent hat, kommt gar nicht so weit.»
Fakt ist: Der Druck bei Forward-Yamaha wird sicher geringer sein, obwohl man sich auch dort über Podestplätze freuen würde. Zur Erinnerung: Aleix Espargaró fuhr im sturzreichen Rennen von Aragón im Nassen auf Platz 2, in Assen landete er mit der Forward-Yamaha auf Platz 4 – wie im ereignisreichen Rennen von Katar.
Es ist zu spüren, wie Stefan Bradl in der familiären Atmosphäre bei Forward aufblüht, wie er allmählich die Freude an seinem Rennfahrerberuf wieder findet.
«Die Arbeitsweise in der Box bei Forward ist ganz anders als bei LCR», schildert der Bayer. «Es wird anders gearbeitet, die Umgangsweise ist lockerer. Dieser Tapetenwechsel war angebracht. Andere Gesichter, andere Umgebung, anderes Motorrad, andere Arbeitsweise. Der Umstieg kam für mich zu keinem schlechten Zeitpunkt. Wie er sich auswirken wird, werden wir 2015 sehen. Aber was ich an den zwei Testtagen mit Öhlins am Montag in Valencia und jetzt am Mittwoch in Jerez erlebt habe, gibt mir das Gefühl, am richtigen Weg zu sein. Wir müssen zwar unsere Erwartungen für die kommende Saison leicht zurückschrauben. Und es ist durch die vielen Team- und Fahrerwechsel schwierig einzuschätzen, wie sich die Stärkeverhältnisse 2015 präsentieren werden. Aber wir sollten in der Open-Class auf jeden Fall vorne dabei sein. Wie es dann genau mit der Platzierung ausschaut, ob wir Zehnter, Achter, Fünfter oder Dreizehnter sein werden, ist jetzt noch schwer einzuordnen, weil sich die Massstäbe ändern.»
Doch Bradl weiss: In der 125er- und Moto2-WM waren Fahrer wie Smith, Aleix und Pol Espargaró oder Iannone keine unüberwindlichen Hürden für ihn. In Normalform hat er diese starken Fahrer nicht zu fürchten.
«Ich habe mir die Ergebnisliste vom Valencia-Test einmal angeschaut und mir Gedanken gemacht, wo wir uns 2015 einordnen könnten. Momentan ist das noch schwierig zu sagen», ist sich der Yamaha-Neuling bewusst. «Wir werden noch ein paar Testtage im Februar brauchen, bis wir wissen, wie stark zum Beispiel die neuen Open-Honda sind, wie stark sich Ducati noch verbessert und was Suzuki und Aprilia leisten können.»