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Big-Bang-Vorteile: Alles nur Einbildung?

Von Günther Wiesinger
Seit bald 20 Jahren wird in der MotoGP-Klasse über Vorzüge und Nachteile von Big-Bang-Motoren diskutiert. Worum geht es dabei genau?

Manche MotoGP-Hersteller schwören auf die Vorzüge des Big-Bang-Motorenkonzepts. Aber es gibt auch kritische Experten, die sagen: «Alles nur Einbildung.»

Die Ducati-Werkspiloten Casey Stoner und Teamkollege Nicky Hayden beteuerten zum Beispiel im Jahre 2007, die Rückkehr zum Big-Bang-Motor habe die Desmosedici viel fahrbarer gemacht. Mick Doohan hatte zu seiner erfolgreichen Ära bei Honda ähnliche Töne von sich gegeben.

Und der geneigte User fragt sich: Was zum Teufel bedeutet Big-Bang?

Der damalige Yamaha-Technikchef Masao Furusawa gab 2007 zu: «Was Big-Bang ist, weiss ich selber nicht genau.» Er bezeichnete den M1-Reihenmotor als virtuellen V4. Das heisst: Die Hubzapfen der Kurbelwelle sind nicht wie bei einem Reihen-Vierzylinder üblich um 180 Grad versetzt, sondern nur um 90 Grad. So ergeben sich unregelmässige Zündabstände wie bei einem V4 mit 90-Grad-Zylinderwinkel.

Was bedeutet also Big-Bang?

«Alle Einzylindermotoren sind im Prinzip Big-Bang-Motoren. Je grösser der Hubraum, desto mehr Big-Bang. Das heisst: Eine Verbrennung pro Kurbelwellen-Umdrehung beim Zweitakter beziehungsweise pro zwei Umdrehungen beim Viertakter. Wenn bei Mehrzylinder-Motoren die Zündfolge so geändert wird, dass sie einem Einzylinder ähnlich wird, sprechen wir von einem Big-Bang-Triebwerk», erläutert der ehemalige Aprilia-Renndirektor Jan Witteveen.

Dieses Konzept hat Aprilia in der 250er-WM bereits 1989 verwirklicht. Beim Zweizylindermotor wurden zwei 125-ccm-Einzylinder so miteinander gekoppelt, dass die Zündung gleichzeitig stattfand.
Ausserdem gibt es bei diesem Konzept gemäss Witteveen weitere Vorteile: Die zwei Kurbelwellen drehen entgegengesetzt, somit gibt es keine Vibrationen und auch der gyroskopische Effekt ist null. «Bei Aprilia haben wir viele Varianten diesbezüglich getestet, aber die beste Lösung war immer die oben beschriebene Version. Obwohl auf dem Prüfstand nicht mehr Drehmoment vorhanden ist, beschleunigt der Motor besser. Yamaha und Honda haben das System bei den Zweitakt-Maschinen (250 und 500 ccm) auch verwendet», schildert Witteveen.

Big-Bang: Sorgt er für besseres Fahrverhalten?

«Die Vorteile des Big-Bang liegen im dynamischen Bereich, also im besseren Fahrverhalten, in der direkteren Verbindung vom Gasgriff zum Hinterrad, was die Engländer als ‹throttle connection› bezeichnen. So lässt sich die Power vom Fahrer besser kontrollieren», weiss Witteveen. «Durch die höheren Drehmomentspitzen, ähnlich wie beim Einzylinder-Prinzip, wird auch eine bessere Beschleunigung erreicht. Der Hinterreifen erhitzt sich durch die Big-Bang-Zündfolge weniger: So erhöht sich seine Lebensdauer, oder es kann eine etwas weichere Mischung gewählt werden.»

Als bei Yamaha 2007 Standfestigkeitsprobleme am neuen 800-ccm-Motor auftauchten und dazu die Beschleunigung und Leistung zu wünschen übrig liessen, plädierte Valentino Rossi im Herbst für ein V4-Konzept, wie es Ducati, Honda und Suzuki verwendeten. Doch Yamaha ist vom Reihenmotor nie abgewichen – und hat damit 2008, 2009, 2010 und 2012 die WM gewonnen!

«Bei den Vierzylindermotoren gibt es bei einer Bing-Bang-Zündfolge Probleme bei der Auswuchtung und somit mehr Vibrationen», zählt Witteveen die Big-Bang-Schwachstellen auf. «Die Kurbelwelle muss anders konstruiert werden, dazu brauchst du mindestens eine Ausgleichswelle. Das bringt mehr Masse und innere Reibung. Wegen der höheren Drehmomentspitzen müssen Primärantrieb und vielleicht auch Getriebe verstärkt werden.»

Trotz dieser erheblichen Nachteile fühlen sich die Fahrer mit Big-Bang wohler.

«Plötzlich war der Screamer wieder hip»

Der Schweizer swissauto-500-Konstrukteur Urs Wenger wundert sich immer über das Empfinden mancher GP-Stars. «Wir waren die einzigen, die den bestehenden V4-Motor umbauen und damit die Zündfolge ändern konnten konnten», sagt er. «Denn unsere Kurbelwelle war in der Mitte getrennt. Wir brauchten sie nur zu verdrehen, das Ausgleichsgewicht umzuhängen und den Zündgeber für die zweite Zylinderbank zu versetzen, schon hatten wir eine Big-Bang-Version. Allerdings haben wir nie bei einem Fahrer Unterschiede in der Rundenzeit gesehen.»

Tatsächlich schwenken die Werke seit 20 Jahren pausenlos vom Screamer auf Big-Bang – und wieder zurück. Wenger: «Nach der ersten Big-Bang-Mode haben die Japaner alle wieder auf den früheren Standardmotor umgestellt. Er wurde Screamer getauft – und war plötzlich wieder hip!»

Wenger zweifelt bis heute am Nutzen der Big-Bang-Technik. «Die Idealvorstellung eines Big-Bang wäre, wenn die ungleichmässigen Zündpulse der Kurbelwelle in unverfälschter Form ans Hinterrad weitergeleitet würden», meint der Schweizer. «Dann würde in der idealen Welt das Hinterrad ungleichmässig beschleunigt und verzögert. Bei einem Zündpuls würde der Reifen kurz durchgerissen, um danach in der langen Pause bis zum nächsten grossen Zündpuls – eben Big-Bang – wieder Grip zu fassen. Dieses Zündkonzept soll ein kontrolliertes Sliden des Hinterrads bewirken.»

Nun dreht sich aber das Hinterrad durch die enorme Untersetzung zwischen Kurbelwelle und Hinterrad (Primärtrieb, Getriebe, Ritzel-Kette) etwa fünfmal langsamer als die Kurbelwelle.

Das heisst: Der Effekt wird um den Faktor 5 reduziert. Dazu kommt, dass in der Kupplung wie auch im Hinterrad Gummi-Antriebsdämpfer montiert sind. Am Schluss kommt noch der wulstige Reifen ins Spiel, der ebenfalls als Dämpfer wirkt. Wenger: «Mit all der Untersetzung (Verkleinerung des Effektes) sowie mit all den Gummidämpfern dazwischen bleibt vom Big-Bang-Effekt kaum etwas übrig. Wir haben das erprobt. Wir sind in der 500er-WM nur mit dem Screamer-Konzept gefahren. Doohan hat 1997 bei Honda als erster Fahrer wieder vom Big-Bang auf Screamer umgestellt und alles gewonnen. Danach haben alle andern japanischen Hersteller wieder auf Screamer gewechselt.»

«Der Big-Bang vermittelt durch die unregelmässige Zündfolge dem Fahrer das Gefühl, der Motor drehe wesentlich niedriger», erklärt Urs Wenger. «Dadurch haben in dieser Ära Cadalora und Co. gemeldet, der Big-Bang gehe unten raus viel besser, drehe aber oben nicht. In Wahrheit lief er auf den Newtonmeter und PS gleich wie der Screamer. Er hat nur anders geklungen und mehr vibriert. Seit Ben Spies Ende 2009 vom Yamaha-Superbike-Team weg ist, greift komischerweise der angeblich phänomenale Vorteil der Big-Bang-Kurbelwelle nicht mehr. Ob immer noch der Fahrer und das Chassis wichtiger sind?»

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