Wilco Zeelenberg: «Jorge Lorenzo ist fitter als 2014»
Der Niederländer Wilco Zeelenberg (48) ist seit 2010 Manager des Yamaha-Werksteams auf der Seite von Jorge Lorenzo, diese Position hat bei Valentino Rossi der Italiener Massimo Meregalli inne.
Zeelenberg war jahrelang Honda-Werksfahrer in der 250-ccm-Weltmeisterschaft, er fuhr auch in der 80er-WM, dazu am Schluss seiner Laufbahn in der Supersport-WM.
Grösster Erfolg: GP-Sieg 250 ccm auf dem Nürburgring 1980. Dazu war er 1991 in Laguna Seca Zweiter, insgesamt errang er noch neun dritte GP-Ränge.
Im Exklusiv-Interview mit SPEEDWEEK.com spricht Wilco Zeelenberg offen über die Schwierigkeiten von Jorge Lorenzo in der Saison 2014.
Wilco, bist du erschrocken, als du Jorge vor einem Jahr beim ersten Sepang-Test gesehen hast? Er brachte den Reissverschluss des Leders kaum zu. Er gab ein Übergewicht von 3 kg zu. Es könnten aber auch 5 bis 7 kg gewesen sein?
Gut... Ehrlich gesagt, Jorge ist auch 2010 auf diese Weise in die Saison gestartet. Zu Weihnachten nimmst du schnell einmal 2 oder 3 kg zu, das ist kein Drama.
Aber die neue 2014-Maschine war voriges Jahr schwierig zu fahren. Es waren nur noch 20 statt 21 Liter erlaubt, dadurch war der Motor aggressiver, wenn du ans Gas gegangen bist. Die neuen hitzebeständigen Hinterreifen hatten in maximaler Schräglage weniger Grip.
Die Kombination dieser beiden Probleme war ein Weckruf – in gewisser Weise.
Jorge war nicht wirklich fit genug, denn er hatte im Dezember 2013 drei Operationen gehabt. Es wurde die Platte aus dem Schlüsselbein entfernt, dazu Schrauben aus dem Daumen.
Diese Zusammenhänge haben ihn am Saisonbeginn geschwächt.
Er hat sich laut über die Reifen beschwert. Was seinen Fahrstil betrifft, hatte er bei den Reifen nicht Unrecht, sie hatten weniger Seitengrip.
Aber die Gegner haben sich weniger lautstark beschwert, denn Jorge hatte mehr Probleme damit als alle andern.
Wenn du dich beschwerst, teilst du dem Gegner deine Schwächen mit. Er wird sie dann ausnützen; das ist auch passiert.
Erst als Bridgestone einen Schritt zurück machte und für Le Mans die Seitenflanken wieder weicher gestaltete, als in diesem Bereich auch die Mischungen wieder weicher wurden, haben sich die Leistungen von Jorge verbessert. Klar, er ist mit der Zeit auch fitter geworden, er hat sich wieder wohler gefühlt. Es passte alles besser zusammen.
Ab dem Mugello-GP ist Jorge immer stärker geworden.
Marc Márquez hat dann in der zweiten Saisonhälfte auch ein paar dumme Fehler gemacht. Er wollte am liebsten alle Rennen gewinnen, das hat zu Fehlern geführt, in Aragón, in Phillip Island. Nach den zehn Siegen im Frühjahr wollte er unbedingt einen neuen Rekord an Siegen aufstellen.
So ist die Saison 2014 – kurz zusammengefasst – verlaufen.
In drei Wochen werden wir in Malaysia einen austrainierten Jorge Lorenzo erleben, der nach zwei Jahren der Márquez-Dominanz endlich seinen dritten MotoGP-Titel gewinnen will?
Ja, Jorge ist im Moment fitter als letztes Jahr um diese Zeit, er konnte ordentlich trainieren, es gab keine Verletzungen und Operationen. Er trainiert jeden Tag.
Er hat dasselbe Gewicht wie vor fünf Jahren mitten in der Saison.
Es sieht alles sehr gut aus.
Ich hoffe, dass auch das Motorrad zum Saisonstart ein bisschen besser funktionieren wird als letztes Jahr. Vor einem Jahr hatten wir Probleme, weil die Reifen weniger Grip hatten und der Motor wegen der 20-Liter-Vorschrift anfangs nicht so sauber lief wie 2013.
Es sieht so aus, als hätte Jorge jetzt bessere Voraussetzungen als vor einem Jahr. Und er weiss recht genau, was ihn erwartet. Das kann einen grossen Unterschied ausmachen.
Jorge Lorenzo hat sich vor einem Jahr heftig über die Reifen beschwert. Dass auch sein körperlicher Zustand zu wünschen übrig liess, hat er erst im Juni in Mgello zugegeben?
Hm, ja. Aber ich denke, er war nicht weniger fit als in anderen Jahren. Wie gesagt: Es ging um die Fahrbarkeit des Motors und um die Seitenhaftung der neuen Hinterreifen.
Mit einem Liter weniger – das war schwierig für uns. Aber wir haben es in den Griff bekommen. Trotzdem hat das Bike vom Fahrer mehr abverlangt, das «initial throttle opening» war ziemlich aggressiv. Jorge mag das nicht, weil er in den Kurven sehr lange mit Schräglage fährt. Er war also beim Fahren angespannter als in den Jahren zuvor, er verbrauchte als mehr Kraft.
Die Performance der Yamaha war ähnlich wie 2013, aber das Fahren damit war anstrengender.
Und der geringere «side grip» der Hinterreifen war das grösste Desaster für Jorge. Er konnte nicht so lange in Schräglage fahren wie gewohnt. Und er brachte keine so guten Exits aus den Kurven zustande, er konnte die Maschine nicht so rasch aufrichten wie früher, er verlor deshalb beim Rausfahren Zeit.
Jorge brauchte im Sattel mehr Kraftaufwand. Für diesen zusätzlichen Aufwand war er anfangs nicht fit genug.
Dabei war er sicher so fit wie Ende 2013, als er in kurzer Zeit sechs oder sieben Rennen gewonnen hat.
Jorge hat also im Frühjahr 2014 eingesehen, dass er mehr trainieren musste, um mit der 2014-Yamaha schneller fahren zu können.
Er hatte dasselbe Motorrad wie 2013 erwartet. In Wirklichkeit erhielt er einen anderen Hinterreifen und ein anderes Verhalten bei der Gasannahme.
Dazu hat Marc Márquez den fahrerischen Level gegenüber 2013 noch einmal erhöht.
Ja, sicher. Marc hat sich fast in jedem Bereich verbessert. Er hat im Vorjahr nie mehr Mühe gehabt, Jorge oder Valentino oder Dani zu verfolgen. Er stand oft auf der Pole-Position, er war in den Rennen vom Beginn weg vorne dabei. Und er hatte am Schluss immer noch Reserven.
Das machte natürlich das Leben seiner Rivalen schwieriger und unangenehmer.