Pit Baumgartner (Bridgestone): Verständnis für Rossi
Pit Baumgartner
Peter «Pit» Baumgartner betreute Valentino Rossi als Reifentechniker von Bridgestone sechs Jahre lang in der Yamaha-Box, von 2008 bis 2010, und 2013 bis 2015. Dazwischen lag das zweijährige Ducati-Intermezzo i den Jahren 2011 und 2012.
Der 45-jährige Pit Baumgartner gewann mit Rossi die MotoGP-WM 2008 und 2009, ab 2009 war er auch für Lorenzo zuständig, der die WM 2010, 2012 und 2015 gewann. Von 2004 bis 2006 war Baumgartner als Bridgestone-Mann für Kawasaki zuständig, 2007 bei Gresini-Hoonda.
Da Bridgestone jetzt von Michelin als Lieferant der Einheitsreifen abgelöst wird, die 2009 eingeführt wurden, wird Pit Baumgartner 2016 wird nicht mehr im MotoGP-Paddock tätig sein.
SPEEDWEEK.com nahm den Ausstieg von Bridgestone zum Anlass für ein Gespräch mit Pit Baumgartner, das einige interessante Aspekte zutage brachte.
Pit, du hast es persönlich stark bedauert, als Rossi zu Ducati ging. Als er 2013 zu Yamaha zurückkehrte, hatte Valentino eine zweijährige Durststrecke hinter sich. Er stand im Schatten von Lorenzo und musste erst sein Vertrauen wieder aufbauen. Wann hast du gespürt, dass Rossi irgendwann weder für den WM-Titel in Frage kommen könnte?
Das habe ich gespürt, als nach der Saison 2013 der neue Chefmechaniker Silvano Galbusera kam. Vorher nicht.
Unter Crew-Chief Jeremy Burgess war die Arbeitsweise irgendwie festgefahren. Rossi war nicht motiviert genug. Er hat sich auch von der Betreuung her nicht als Weltmeister gefühlt. Irgendwie war da komplett der Wurm drin.
Während des Titelfights 2015: Hat da dein Herz heimlich für Rossi geschlagen? Obwohl du als Reifentechniker natürlich Lorenzo genau so intensiv betreuen musstest?
In so einer Saison muss ich mich eigentlich wertneutral verhalten.
Was du aber in dir selber spürst, das kannst du ja aus meinen früheren Antworten schliessen...
Ich will dazu nichts im Detail sagen. Aber irgendwie war der Bund zu Rossi schon sehr stark.
Trotzdem hat nach der dominanten Saison von Marc Márquez 2014 kaum jemand damit gerechnet, dass Rossi 2015 in der ersten Saisonhälfte so klar dominiert und vier Rennen gewinnt?
Ja, richtig, das war überraschend.
Und dann ging bei den letzten Rennen 2015 alles schief. Hast du jemals verstanden, warum Rossi die Fahrweise von Marc Márquez beim Australien-GP kritisiert hat? Bisher hat keiner verstanden, inwiefern er dort für Lorenzo gefahren sein soll?
Ja, da muss ich dir recht geben. Denn beim Australien-GP war jetzt Márquez für mich nicht so das Problem, eher Iannone vielleicht.
Ja, denn Iannone hat Rossi auf Platz 4 verdrängt, Márquez hat Lorenzo auf Platz 2 verwiesen und ihm dadurch fünf Punkte weggenommen, das war ein Vorteil für Rossi.
Was ist deine persönliche Meinung zum Vorfall von Sepang, wo Rossi von Márquez zehn Runden lang provoziert wurde und sich dann ein Revanchefoul leistete?
Ich finde, die Art und Weise, wie Márquez im Rennen in Malaysia gefahren ist, das rechtfertigt die ganze Aktion von Rossi für mich.
Und beim Finale in Valencia ist Marc Márquez beim Duell gegen den führenden Lorenzo gefahren, als wolle er sich für den Friedensnobelpreis empfehlen. Siehst du das auch so?
(Er lacht): Witzig. Ja, ja. Ich bin in dieser Auseinandersetzung auf der Seite von Rossi, denn der Zwischenfall in Malaysia war wirklich ein Eklat für den Motorsport.
Natürlich war die Revanche von Rossi nicht ganz richtig. Das hätte man anders machen können. Aber Fahrer wie Mamola und Doohan haben bestätigt, die Emotionen auf der Rennstrecke sind einfach vorhanden.
MotoGP ist ein dynamischer Motorsport, bei dem du nicht gut geschützt statisch in einem Auto sitzt, sondern einfach dynamisch.
Lange Zeit war doch die Auseinandersetzung zwischen Márquez und Rossi von viel gegenseitigem Respekt geprägt. Zumindest haben es die beiden so dargestellt.
Dazu muss ich etwas erwähnen. Nach dem Misano-GP waren einige Topfahrer auf der Ranch von Rossi beim Offroad-Fahren. Es waren Topfahrer dort wie Smith, Chad Reed und so weiter, auch Marc Márquez.
Vorher waren wir noch beim Essen. Da bin ich am Tisch von Márquez und Rosi gesessen. Márquez kam damals mit seiner gesamten Repsol-Technikcrew nach Tavullia, um dieses kleine Clubrennen mit Rossi und seinen Jungs zu fahren. Er hatte die ganze MotoGP-Mechanikertruppe mit, angefangen bei Chefmechaniker Santi Hernandez, dazu alle Mechaniker.
Ich habe dann gehört, wie sich Rossi und Uccio unterhalten haben und ein bisschen angepisst waren, dass Márquez seine ganze HRC-Mannschaft mitgebracht hat, um sein Motorrad während der Trainingsfahrten auf der Ranch zu optimieren und das Rennen zu gewinnen.
Da war schon der Wurm drin zwischen Márquez und Rossi.
Da hätte sich Rossi nicht wundern dürfen. Der ehrgeizige Márquez lässt ja auch jedes Jahr den Sand von seinem Heimatort Cervera zum Superprestigio-Dirt-Track nach Barcelona karren, um dort auf gewohntem Terrain brillieren zu können.
Echt? Ist ja unglaublich...
Du hast mit Rossi zwei Titel gewonnen, mit Lorenzo drei. Wird man in so einem Fall als Reifen-Ingenieur vom Fahrer oder Team irgendwie belohnt? Gibt’s da mal eine Uhr oder ein Kuvert mit ein paar Euro-Scheinen oder eine andere Aufmerksamkeit als Dank?
Na, gut, das hält sich in Grenzen. Ich habe schon einige Helme bekommen und so weiter, mit Unterschrift. Oder ein Poster mit allen Teammitgliedern drauf. Auch mal eine Uhr oder ein Handy. Aber es hält sich immer in diesem Rahmen. Mehr gibt’s da nicht. Du bekommst kein Motorrad hingestellt...
Du warst jetzt rund 15 Jahre Bridgestone-Reifentechniker im GP-Sport, von 2001 bis 2003 in der 125er-WM, seither in der MotoGP-Klasse. Wie wird sich deine Zukunft gestalten?
Es haben in letzter Zeit viele Gespräche mit Bridgestone Europe und Bridgestone Japan stattgefunden. Alle wollen was machen, zum Beispiel in der Motorrad-Langstrecken-WM, auch im Automobilbereich gibt es viele Pläne. Aber wir warten immer noch auf das richtige Konzept und auf die Entscheidung, wie es mit dem Budget aussieht, wer was bezahlt und in welcher Rennserie wir einsteigen.