Chaz Davies über die V4R: «Kein Frankenstein-Bike»
Chaz Davies auf der Ducati Panigale V4R
2018 durfte der Ducati-Twin 1199 Panigale R nur 12.400/min drehen, die neue V4R kreischt mit über 16.000/min. «Diesen Unterschied merkst du natürlich gleich», hielt Werksfahrer Chaz Davies fest. «Es ist schwierig, Vergleiche zwischen den Motoren anzustellen, weil sie grundverschieden sind. Ich muss für alles ein neues Gefühl gewinnen. Die Vorstellung der Geschwindigkeit, wie schnell ich aus einer Kurve hinausfahre, das alles muss ich erst noch verinnerlichen. Was ich jetzt schon sagen kann: Die Kraftentfaltung ist sehr sanft, es gibt keine starken Eingriffe wie beim Zweizylinder. Beim Twin ist das klar, der hat nur zwei Zylinder. Wenn du da mit der Elektronik bei einem Zylinder eingreifst, dann betrifft das 50 Prozent des Motors. Beim Vierzylinder ist alles sehr fließend und linear.»
Die V4R ist nicht aggressiv, wie viele Leute anhand der enorm hohen Drehzahlen und der fast 250 PS vermuten? «Man muss unterscheiden zwischen verfügbarer Leistung und wie diese abgerufen wird», holte Davies im Gespräch mit SPEEDWEEK.com aus. «Der Charakter eines Twins wird dir von den zwei Zylindern diktiert. Wenn da die Elektronik eingreift, hat das auch auf alles andere großen Einfluss. Wenn man so viel Leistung wie bei der V4R zur Verfügung hat könnte man meinen, dass sie ein Biest ist. Die Leistungskurve dieses Motors ist aber linearer – weil sich die Eingriffe der Elektronik auf vier Zylinder verteilen. Als ich das MotoGP-Bike von Ducati fahren durfte, gewann ich den gleichen Eindruck. Diese Maschinen haben astronomische Leistung, die Leistungsentfaltung ist aber sehr freundlich.»
Davies saß am Mittwoch zum ersten Mal auf der nächstjährigen Rennversion der V4R. Obwohl die Testfahrer Michele Pirro und Lorenzo Zanetti laut Ducati «15 bis 20 Testtage» absolviert haben, befindet sich das Motorrad nach wie vor im Frühstadium der Entwicklung. Ducati kann nur auf wenige Daten zurückgreifen, alles hängt vom Gefühl und den Schilderungen der Fahrer ab.
«Ich erzähle den Technikern meine Gefühle und Probleme», gewährte uns der Waliser einen Einblick in den Entwicklungsprozess. «Ich bin in meinen Aussagen sehr zurückhaltend, weil ich das Motorrad erst noch kennenlernen muss. Nach fünf Jahren mit dem alten Bike wusste ich genau was zu tun ist, wenn gewisse Schwierigkeiten auftraten. Aber mit der neuen Maschine will ich nicht voreilig zu viele Änderungen vornehmen. Es läuft eher so ab, dass du Dinge probierst und schaust, ob sie funktionieren. Das Motorrad ist jetzt in einem Stadium, in dem es eine gewisse Pace hat. Es ist kein Frankenstein-Bike mehr, wie wir ein zusammengestecktes Bike am Anfang nennen. Jetzt reden wir von einem fertigen Paket.»
Mit diesem Paket büßte der Vizeweltmeister bei besten Bedingungen am Mittwoch zwar 1,512 sec auf die Bestzeit von Jonathan Rea (Kawasaki) ein, Davies fuhr aber auf Augenhöhe mit Yamaha-Ass Alex Lowes auf der vier Jahre im Rennsport entwickelten R1.
«Die Ducati-Ingenieure wissen was sie tun», unterstrich Davies. «Lägen wir 2 sec hinter Yamaha, würde ich mir Sorgen machen. Aber wir sind bei den Leuten – und Yamaha war in Aragon die letzten Jahre in den Rennen recht stark. Unser Start war positiv, ich schaue aber nur auf einen anderen Hersteller, jenen in grün. Er ist unser Ziel. Der Rückstand am Mittwoch war groß, er ist aber irrelevant. Das war unser erster Tag mit diesem Motorrad. Wir müssen die Lücke bis Phillip Island nächstes Jahr schließen.»
Zeiten Superbike-Test Aragon 14./15. November 2019:
1. Jonathan Rea (GB), Kawasaki, 1:49,668 min
2. Alex Lowes (GB), Yamaha, 1:51,157
3. Chaz Davies (GB), Ducati, 1:51,180
4. Leon Haslam (GB), Kawasaki, 1:51,479
5. Michael Rinaldi (I), Ducati, 1:51,656
6. Michael van der Mark (NL), 1:51,852