Andrea Iannone: Vom Dopingsünder zum Ducati-Helden
Das erste Rennen im MotorLand Aragon am Samstagnachmittag, 28. September 2024, war an Spannung kaum zu überbieten, zeitweise fuhren zehn Piloten in der Spitzengruppe. Die Führung wechselte mehrfach, bis auf die achte Runde kreuzte aber immer Andrea Iannone als Erster den Zielstrich. In den letzten Runden konnte sich der Italiener etwas von Toprak Razgatlioglu, Garrett Gerloff (beide BMW) und Alvaro Bautista (Ducati) absetzen, sodass er ihnen gegen Ende hin keine Angriffschance bot.
«Aus vielerlei Gründen war das einer der wichtigsten Siege in meinem Leben», sagte Iannone über seinen ersten Superbike-Triumph. «Aber nicht wegen der Kämpfe oder der Strategie, sondern weil ich nach langer Zeit zurück bin. Es war nicht sicher, dass ich zurückkommen würde. Meine anderen Siege sind so lange her, dass ich sie nicht mehr vergleichen kann. Nur ich Andrea weiß, wie ich während diesen Zeiten gestrauchelt bin und wie ich meine Arbeit vermisst habe. Damit umzugehen, war nicht einfach. Ich habe gewartet und gewartet und gewartet – so lange gewartet. Deshalb bin ich glücklich, dieses Ergebnis erreicht zu haben. Das ist sehr wichtig für mich. Für mich als Person.»
Der 35-Jährige hat charakterprägende Zeiten hinter sich. Weil in seiner Urinprobe vom Sepang-GP am 3. November 2019 der verbotene Stoff Drostanolon nachgewiesen wurde, war Andrea ab dem 17. Dezember vom Motorrad-Weltverband FIM gesperrt. Die Sperre betrug 18 Monate. Nur weil der Italiener vor den internationalen Sportgerichtshof in Lausanne zog und dort mit Pauken und Trompeten unterlag, wurde seine Strafe auf vier Jahre verlängert.
Für einen Sportler bedeutet eine solch lange Sperre normalerweise das Karriereende, doch Iannone hielt sich fit und trainierte regelmäßig auf der Rennstrecke. Am 18. Oktober 2023 wurde verlautbart, dass er mit dem Ducati-Team Go Eleven die Superbike-WM 2024 bestreiten wird.
Mit einem Podestplatz in Australien startete er grandios in die Saison, erlebte in den Monaten danach neben einigen Höhen aber auch mehrere Tiefen. Das erste Rennen in Aragon war sein Meisterstück, neben diesem Sieg konnte er im Vorjahr vier weitere Podestplätze erringen und landete mit 231 Punkten auf WM-Rang 8.
Nach monatelangen Verhandlungen mit Ducati und dem Team Go Eleven hat Iannone Mitte Oktober für 2025 unterschrieben. Verbunden damit ist die Hoffnung, dass er von Ducati mehr Unterstützung erhält und bezüglich des Materials und der Betreuung nahe dem Aruba-Werksteam sein wird.
Go Eleven und Iannone bilden eine Symbiose, mit Pata konnte für dieses Jahr ein namensgebender Hauptsponsor gewonnen werden. Gemeinsam soll ein deutlicher Schritt nach vorne gelingen.
Für die Truppe von Eigentümer Gianni Ramello und Teammanager Denis Sacchetti eroberte Iannone den erst zweiten Sieg in der Superbike-WM. Für den ersten hat Michael Rinaldi 2020 gesorgt – ebenfalls in Aragon.
«Die Emotionen bei den beiden Siegen waren unterschiedlich», erinnerte sich Sacchetti im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Dass wir auf Andrea gesetzt haben, war wie im Roulette. Unser erster Sieg war, als uns klar wurde, dass er nach vier Jahren Pause immer noch konkurrenzfähig ist. Der zweite Sieg war dieser erste Platz. Ich war selbst Rennfahrer und kann mir vorstellen, welche Gefühle er dabei empfand. Dieser Sieg war auch für mich sehr emotional.»
Iannone gilt als schwieriger Charakter, er verlangt nicht nur sich selbst, sondern auch seinem Umfeld alles ab. «So sind Champions und Topfahrer gestrickt», relativierte Sacchetti. «Sie wollen immer mehr, mehr, mehr. Aber das wussten wir. Wir wussten, dass es nicht einfach wird. Uns war auch klar, dass er Hochs und Tiefs haben wird. Er fuhr vier Jahre lang keine Rennen, trat zum ersten Mal in dieser Meisterschaft an, zum ersten Mal mit unserem Team und auf dieser Ducati. Der Sieg hat uns für all das entschädigt.»