Lähmungen: Weshalb der Nackenschutz keine Pflicht ist
Immer wieder wird der Sport von schlimmen Meldungen erschüttert, wenn Rennfahrer nach einem Sturz an einer Querschnittslähmung leiden und deshalb nicht mehr laufen können.
In jüngerer Vergangenheit kommen uns sofort Darcy Ward, Tomasz Gollob, Leigh Adams und Sönke Petersen in den Sinn, über die Jahre erlitten zu viele andere Rennfahrer das gleiche Schicksal. Nicki Pedersen, Freddie Lindgren und Jason Doyle entkamen diesem mit schweren Wirbelverletzungen nur knapp.
Seit 2004 ist ein Nackenschutz auf dem Markt, der Fahrer bei Stürzen davor schützt, dass der Kopf nach hinten kippt, das Genick bricht und Wirbel oder Nervenbahnen verletzt werden. Erfunden wurde das «Neckbrace» von Neurochirurg Chris Leatt aus Südafrika, den ein tödlicher Unfall eines guten Freundes zu seiner Erfindung antrieb.
Seither hat sich viel getan, Neckbraces wurden immer ausgefeilter, leichter, funktioneller und stabiler. Neben Leatt gehören heute Firmen wie Alpinestars, Atlas, Ortema, Moveo und EVS zu den bekanntesten Anbietern.
Obwohl die Schutzwirkung unbestritten ist, vertrauen nach wie vor nur wenige Rennfahrer in der Weltspitze auf ein Neckbrace. In der Motocross-WM sind es nur etwa 20 Prozent, von den Stars lediglich MXGP-Weltmeister Tim Gajser und Vize Jeremy Seewer.
Im Speedway-GP fahren mit Bartosz Zmarzlik, Leon Madsen, Emil Sayfutdinov, Fredrik Lindgren und Martin Vaculik die Top-5 der Weltmeisterschaft 2019 mit einem Neckbrace – immerhin ein Drittel des Feldes.
Seit Jahren wird zwischen den nationalen Föderationen und dem Motorrad-Weltverband FIM darüber diskutiert, den Nackenschutz für alle Fahrer verpflichtend zu machen, wie das zum Beispiel in Dänemark in den Schülerklassen der Fall ist.
Doch vor allen von den älteren Rennfahrern wehren sich viele gegen das Tragen eines Neckbrace. Ihr Argument: Damit könnten sie sich auf dem Motorrad nicht richtig bewegen.
Das sei reine Gewohnheit, versichern hingegen sämtliche Fahrer, die schon länger mit einem Nackenschutz unterwegs sind.
«Wir reden bei der FIM innerhalb der medizinischen Kommission seit fünf Jahren darüber, ob wir den Nackenschutz verpflichtend machen», erzählte Armando Castagna, der weltweit höchste Bahnsport-Funktionär, im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Bislang ist das nicht der Fall und wir wollen ihn zukünftig auch nicht vorschreiben. Der Grund dafür ist, dass wir von verschiedenen Medizinern unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema bekommen. Einige sagen, das Neckbrace wäre gut. Andere sagen, es kann unter gewissen Umständen bei einem Sturz zwar den Nacken schützen, dafür aber Verletzungen an anderen Körperstellen verursachen. Deswegen schreiben wir es weder vor, noch verbieten wir sie – wir stehen neutral zu dem Thema.»
«Mir gefällt, dass die dänische Föderation DMU das Neckbrace jungen Fahrern vorschreibt», ergänzte der Italiener. «So wird ihnen von Anfang an beigebracht, mit ihnen klarzukommen. Man darf aber nicht vergessen, dass es viele unterschiedliche Typen Neckbraces gibt. Es gibt gute und schlechte, doch es ist nicht meine Aufgabe, die einzelnen Modelle zu beurteilen. Wir haben die letzten Jahre dafür gesorgt, dass inzwischen unter der Kombi sehr gute Protektoren vorgeschrieben sind. Und es gibt ein eigenes Prüfprogramm der FIM für Helme. Die Sicherheit der Fahrer hat für mich seit meinem Amtsantritt Priorität, ich habe mir während meiner Karriere genügend Knochen gebrochen.»
Und wie steht es um Airbags in den Kombis? «Fahrer wie Robert Lambert und Chris Harris nützen ihn», so Castagna. «Im Moment sind diese aber noch sehr teuer. Es gibt welche von Dainese und Alpinestars. Im Speedway und Motocross ist es aber so, dass es auch Stürze gibt, bei denen der Airbag keinesfalls aufgehen sollte, sonst verliert der Fahrer deswegen das Rennen. Zurzeit prüfen wir, wie sich die Kosten für die Airbags senken lassen. Durch die Einführung der Airfences konnten wir die letzten Jahre die schlimmen Verletzungen um 60 oder 70 Prozent verringern. Aber leider gibt es immer noch Tragödien wie mit Darcy Ward oder Lee Richardson.»