Berger zu Stallorder: Dann nimmt Müllers Ruf Schaden
Gerhard Berger
Es gibt Dinge, die gehen für Gerhard Berger gar nicht. Da geht der Österreicher an die Decke, damit kann er als Racer nichts anfangen. Stallorder zum Beispiel. Als DTM-Chef weiß er aber, dass die durch die Hersteller-DNA und die Teamstruktur mit mehreren Autos pro Autobauer ein Teil seiner Serie, fest verankert ist. Sie ist in gewissen Situationen schlicht nicht zu vermeiden, sorgte aber beim sechsten Rennwochenende in Brands Hatch für eine Menge Wirbel.
Denn Audi hatte zum einen die Dominanz aus dem Qualifying mit ahct Autos auf den ersten acht Startplätzen auf der Strecke ausgespielt, was nachvollziehbar ist. Schlimmer aber: Der Gesamtzweite Nico Müller griff Tabellenführer René Rast in der Schlussphase nicht an – obwohl er in Rasts Heck hängend die Überholhilfen DRS (verstellbarer Heckflügel) und Push-to-Pass (kurzfristig 30 PS mehr) zur Verfügung hatte.
Audis Motorsportchef Dieter Gass machte keinen Hehl daraus, dass man kein Risiko eingehen wollte: «Dass wir unsere beiden Titelkandidaten nicht in einen Fight schicken kurz vor Schluss, ist klar.» Push-to-Pass sei ein anderes Thema, so Gass. Denn die Motorenzuverlässigkeit ist in dieser Saison aufgrund der neuen Vierzylinder-Turbos kritischer als früher.
«Deshalb gilt die Maßgabe, es nur dann zu nutzen, wenn man es wirklich braucht. Gegen den eigenen Teamkollegen wäre es eine Verschwendung.» Die Fans kritisierten das Vorgehen trotzdem scharf. Sie können das Strategie-Schach schlicht nicht mehr sehen. Freies, spektakuläres Racing, wie Berger es stets wollte und anpries, sieht anders aus.
Berger versucht seit seinem Amtsantritt, der DTM einen neuen Anstrich zu verleihen, weg von Hersteller-Geklüngel, hin zu den Fahrern, zu mehr Spektakel, mehr Internationalität. Weg von Negativ-Schlagzeilen um den Mercedes-Ausstieg oder Performance-Gewichten. Er weiß: Eine erneute Diskussion um abgekartetes Racing ist im Dauerkampf um die Gunst der Zuschauer nur hinderlich. Man merkt dem DTM-Boss dann auch an, dass er versucht, die Wogen zu glätten.
«Man muss zunächst einmal die Aussagen von Audi-Sportchef Dieter Gass und Nico Müller akzeptieren. Niemand hat einen vollständigen Einblick», sagte er auf Nachfrage von SPEEDWEEK.com zum Stallorder-Thema: «Für mich sieht es von außen betrachtet so aus, als hätte Audi einen Turbomotor mit einer sehr hohen Grundleistung entwickelt und ist aus diesem Grund sehr um die Haltbarkeit besorgt. Also geht man mit der Zusatzleistung durch das Push-to-pass, dessen Aktivierung stets eine zusätzliche Belastung für den Motor bedeutet, recht vorsichtig um, weil darin ein Risiko für die Haltbarkeit liegt. Sollte dem so sein, dann kann ich verstehen, dass man Push-to-Pass nur im Kampf gegen Autos anderer Hersteller einsetzt, und nicht bei Audi-internen Duellen.»
Anders sieht es bei Nico Müller aus. Er kann den Schweizer verstehen, der vor dem Rennen 30 Punkte Rückstand auf Rast hatte, nach dem Lauf aber nun 37. Er habe auch selbst kein Risiko eingehen wollen, betonte Müller nach dem Nicht-Angriffspakt.
Keine Frage: Einen Ausfall, womöglich einen doppelten, muss man bei einer Attacke immer mit einkalkulieren, den will bei Audi aber natürlich niemand. Auf der anderen Seite steht die Frage: Risiko hin oder her: Kann man mit dieser Einstellung Meister werden? Oder war ihm ein Angriff tatsächlich vorher ausdrücklich verboten worden?
Berger weiß bei allem Verständnis aber: «Müller steht jetzt im Blickpunkt, er fährt um den Titel. Wenn er aber als Titelkandidat stets leichtfertig zurücksteckt und sich mit einem zweiten Platz zufrieden gibt, dann nimmt sein Ruf als Rennfahrer Schaden. Dann hätte er nicht den Killerinstinkt, der bei den letzten Rennen bei ihm aufgeblitzt ist und der mir zeigte, dass er diesen Instinkt eigentlich hat.»
Müller müsse bei den nächsten Rennen wieder seinen Biss zeigen, er könne keine Punkte liegen lassen, so Berger, der zu der Debatte um Stallregie betont: «Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Audi Team Abt einem Audi Team Rosberg den Vortritt lässt.»
Die große Frage: Schadet das Ganze der DTM, ist das Verarsche am Fan, wie es zum Beispiel auch Sat.1 in der Übertragung aus Brands Hatch für einen TV-Partner sehr meinungsfreudig kundtat?
Berger zurückhaltend: «Man muss in der Debatte sachlich sein und differenzieren. Niemand wurde vorbeigewunken, niemand hat einen Sieg hergeschenkt. Vielmehr muss ein Nico Müller mit Blick auf seine eigenen Titelchancen abwägen, ob er den Titelkandidaten und Teamkollegen Rast angreift und damit seine 18 Punkte riskiert.»