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FIA-Chef Jean Todt: «Neue Formel 1 schockiert mich»

Von Mathias Brunner
FIA-Chef Jean Todt

FIA-Chef Jean Todt

​Jean Todt (71), Präsident des Auto-Weltverbands FIA, ist zum Formel-1-Start nach Melbourne gereist: «Ich finde es schade, dass die Formel 1 so perfekt geworden ist, das nimmt viel Spannung weg.»

Den Saisonbeginn der neuen, spektakulär schnellen Formel 1 will sich auch der grosse Chef nicht entgehen lassen: Jean Todt, 71jähriger Präsident des Automobil-Weltverbands FIA, ist nach Melbourne gejettet. Wenige Stunden vor dem Australien-GP stellt er sich den Fragen der Berichterstatter. Hier einige Auszüge.

Jean, vor kurzem hat hier Ross Brawn gesagt – er wolle als Sportverantwortlicher von Formel-1-Grossaktionär Liberty Media darauf achten, dass es Regeländerungen geben werde, sollte der Sport in der Saison 2017 zu wenig attraktiv sein. Wie steht die FIA dazu?

Generell finde ich es gut, dass Liberty Media in den Sport eingestiegen ist, ein neues Kapitel ist aufgeschlagen, mit einer neuen Führung. Die FIA muss aber Regulator und Legislator sein. Für die Regeln sind wir verantwortlich, niemand anders.

Die Verantwortlichkeiten im Abkommen mit den kommerziellen Rechtehaltern und mit den Teams sind da sehr klar verankert. Wir schreiben die Regeln und wir achten auch darauf, dass sie eingehalten werden. Für Vorschläge sind wir immer offen, ob wir darauf eingehen, ist eine andere Frage. Ross Brawn bringt viel Fachwissen mit, niemand weiss das besser als ich, schliesslich habe ich Ross damals zu Ferrari gebracht. Aber das Regelwerk bleibt in unserer Verantwortung, Liberty Media schreibt keine Regeln. Aber verstehen Sie mich nicht falsch – wir befinden uns derzeit mit Liberty Media gewissermassen in den Flitterwochen. Wir reden ständig darüber, wie wir den Sport verbessern können. Am Samstagabend zum Beispiel hatten wir ein Dinner mit Chase Carey und Ross Brawn von Liberty Media, als Gäste des australischen Rennsportverbands CAMS. Wir verfolgen alle das gleiche Ziel: Den Rennsport attraktiver zu gestalten. Da gibt es verschiedene Ansätze.

Wie soll die Formel 1 über das Jahr 2020 hinaus aussehen, wenn das angesprochene Abkommen ausläuft?

Die Formel 1 muss Königsklasse bleiben. Sie muss eine tolle Show bleiben. Aber die Kosten müssen runter. Wir haben nur zehn Teams, wir brauchen mindestens zwölf Rennställe. Wir müssen die Preisgelder gerechter verteilen, aber das liegt nicht in unserer Verantwortung. Als Kostensenker sehe ich technische Bereiche, die sehr aufwändig sind, die den Sport aber nicht besser machen.

Die Formel 1 ist mir auch zu perfekt geworden. Als ich noch Teamchef war, da konnten wir froh sein, wenn wir am ersten Wintertesttag mit dem neuen Auto fünf Runden geschafft haben. Heut haben die Rennställe in den Werken all diese sündhaft teuren Simulationswerkzeuge, da bringen sie Autos auf die Testbahn, die locker achtzig Runden fahren. Das hätte es früher nie gegeben.

Ich war in Australien schockiert: Wir haben ein neues Reglement, und nach zwanzig Minuten des ersten Trainings sehe ich kein einziges Auto auf der Bahn. Wieso nicht? Weil die Teams schon so viel über ihre Rennwagen wissen, dass sie die Motoren schonen. Zuhause in den Werken arbeiten Hunderte von Fachkräften, die in Echtzeit alles analysieren. Das ist überaus faszinierend. Aber was nützt das den Fans hier auf den Tribünen? Die wollen doch Action sehen. Das finde ich sehr bedauerlich.

Stehen wir vor einem Überholproblem?

Wir haben jetzt eine neue Formel 1, die Rennställe und die Fahrer sind elektrisiert. Wir haben 300.000 Fans hier in Melbourne, der Vorverkauf war um 20 Prozent besser als im Vorjahr. Aber schon reden die Leute vom Überholproblem, dabei haben wir noch gar kein Rennen gesehen. Hin und wieder leidet die Formel 1 daran, sich auf das Negative zu konzentrieren, nicht auf das Positive. Das finde ich schade.

Überholen war nie einfach. Vor zwanzig Jahren konnte ein Auto mit neuen Reifen, theoretisch zwei Sekunden schneller als ein Fahrzeug mit abgefahrenen Walzen, den Vordermann nicht überholen. Es hat sich also nichts geändert.

Klar müssen wir uns ansehen, wie sich diese neuen Rennwagen auf den Sport auswirken, aber derzeit spüre ich sehr viel Freude über die neuen Renner – darüber sollten wir reden. Ich bin nicht der Meinung, dass wir mit der Formel 1 mit dem Rücken zur Wand stehen und die neuen Rennwagen gewissermassen die letzte Chance sind, um die Fans wieder zu begeistern. Klar wollen wir die Show verbessern, aber man soll nicht immer Schwarzmalen. Das Interesse an der Formel 1 ist weltweit noch immer gewaltig.

Werden Sie erneut als FIA-Chef kandidieren?

Es gibt viel Druck, zahlreiche Menschen wollen das. Aber ich lasse mich nicht unter Druck setzen. Ich werde mich in Ruhe mit meinen Vertrauten unterhalten und dann meine Entscheidung verkünden. Ich mag meine Arbeit. Und ich fühle mich gut. Aber ich will das auch mit meiner Frau absprechen.

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