Aserbaidschan-GP: Was Sie über Baku wissen müssen
Der neue Grosse Preis auf dem «Baku City Circuit» begann mit einem Witz: Grosser Preis von Europa, also bitte! Was genau hat Aserbaidschan mit Europa zu tun? Schon kurz nach der überaus gelungenen Premiere deponierten die Veranstalter beim Autoverband FIA den Wunsch – 2017 soll das Rennen richtig heissen, Grosser Preis von Aserbaidschan.
Vor einem Jahr musste ich zugeben: Ich wusste lediglich, dass in Baku 2012 der Popträllerwettbewerb «Eurovision Song Contest» stattgefunden hatte, der früher «Concours d’Eurovision» hiess, was mir noch immer passender vorkommt, weil viele Lieder akustischer Konkurserklärung gleichkommt.
Und dann konnte ich mich vage daran erinnern, dass die Europaspiele 2015 in Baku stattgefunden haben. Mehr wusste ich nicht. Auf die Schulzeit war kein Verlass, denn als ich zur Schule ging, gab es Aserbaidschan in dieser Form nicht, da war alles in den gleichen Sowjetunion-Topf geworfen worden.
Vor dem zweiten Strassenrennen dürfen wir ein wenig auffrischen – Aserbaidschan, Land des Feuers, und Baku, Stadt der Winde.
Das Land ist eine Republik, mit knapp 9,5 Millionen Einwohnern, 90 Prozent davon sind Aseris (Turkvolk). Die Fläche des Landes entspricht ungefähr Österreich.
Aserbaidschan grenzt an Armenien, den Iran, Georgien, Russland sowie die Türkei. So weit zum Thema Europa.
Von den Einwohnern sind 92 Prozent gemässigt islamischen Glaubens, dazu finden wir fünf Prozent Christen und zwei Prozent weitere Religionen.
Baku zählt knapp zwei Millionen Einwohner (inoffiziell und mit Umgebung sind es fast doppelt so viele), es ist angebliche die tiefgelegendste Hauptstadt der Welt, sie liegt 28 Meter unter dem Meeresspiegel (ich habe nicht nachgemessen).
Staatspräsident ist Ilham Aliyev, der im Oktober 2013 für eine dritte Amtszeit von fünf Jahren gewählt worden ist. Er setzt den prowestlichen Kurs seines Vaters fort. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass in diesem Land alles in Ordnung ist.
Die Landeswährung (erneut eine Frage fürs Kreuzworträtsel) ist der Manat.
Baku ist eine aufregende Mischung aus Altertum und Moderne: Die Tradition wird durch eine UNESCO-geschützte Altstadt repräsentiert mit dem Jungfrauenturm, der seinen Namen angeblich erhielt, weil er uneinnehmbar wie eine Jungfrau war; die Moderne durch die 190 Meter hohen flammenden Türme, einem neuen Wahrzeichen der Stadt.
Sich zu den Türmen durchzuschlagen, ist nicht ganz einfach: Die meisten Taxifahrer sprechen kein Englisch. Meine Grundkenntnisse in Russisch, Türkisch und Aserbaidschanisch (dem Türkischen verwandt) sind, ähm, ein wenig ausbaufähig.
Mit Händen und Füssen geht das aber ebenso wie im Süden von Südkorea oder in Indien. Dabei können wir uns geborgen fühlen: Baku hat gewiss auch einige zweifelhafte Ecken (die mir noch nicht aufgefallen wären), gilt aber als überaus sichere Stadt. Die Aserbaidschaner sind zudem überdurchschnittlich gastfreundlich.
Vor einem Jahr standen wir ratlos in der U-Bahn-Station: Die Automaten waren allesamt in Landessprache zu bedienen. Wir rätselten nicht lange, schon wurden wir auf Englisch angesprochen, und am Ende bezahlte der hilfsbereite Mann sogar unser Ticket! «Ehrensache, Sie sind Gast in meinem Land», wie er meinte.
Baku selber ist, auf den ersten Blick, eine Mischung aus orientalischem Zauber und Gleichmut sowie westlicher Bauwut und Betriebsamkeit. Dazu kommen trutzige Bauten aus der Sowjetzeit. Eine reizvolle Mischung, die ihren Reiz vor allem entfaltet, wenn es Nacht geworden ist. Einige bezeichnen Baku als das neue Dubai: Von 2000 bis 2008 sind allein in der Innenstadt 800 Hochhäuser errichtet worden. Bei allem Stolz wird dabei verheimlicht, dass ganze alte Quartier dafür plattgemacht worden sind.
Kurioserweise oft in der Stadt zu sehen: Das klassische London-Taxi, allerdings in einer Farbe, welche zum Spitznamen der Vehikel geführt hat – Auberginen.
Ein Regenrennen ist nicht in Sicht: Für kommenden Sonntag sind mehr als 30 Grad vorhergesagt. Aber Baku ist nicht Aserbaidschan: Im Land finden wir neun der elft weltweit existierenden Klimazonen, von arktisch-alpin bis eben mediterran wie am GP-Austragungsort.
Baku liegt an der Kaspischen See, ein weiterer der vielen Widersprüche in diesem Land. Denn das salzhaltige Wasser war früher direkt mit den Weltmeeren verbunden, heute indirekt über den Wolga-Don-Kanal. Den See (370.000 Quadratkilometer gross) durchstreifen Störe, deren Beluga-Kaviar in der ganzen Welt als Köstlichkeit gilt.
Ohne zu lange bei der kunterbunten Besiedlungsgeschichte zu verweilen: Als einige Alt-Kommunisten gegen Gorbatschow putschten, sah Aserbaidschan den Moment gekommen, die Unabhängigkeit auszurufen: 18. Oktober 1991 ist Stichtag.
Wieso Stadt der Winde? Weil Baku sich aus dem persischen «bad kube» ableitet.
Wieso Land des Feuers? Schon die Perser schätzten die Ölvorkommen und nannten das Land «Aderbaidjan», woraus sich der heutige Name ableitet, eben: Land des Feuers.
Ein ganzjährig brennender Ölberg ist eine der grössten Touristenattraktionen. Ohne Öl gäbe es das moderne Baku nicht, ohne Öl gäbe es die Formel 1 in Baku nicht. 2017 ist Ausgabe 2 eines auf zehn Jahre ausgelegten Vertrags.
Ein Beispiel, von welchen Dimensionen wir in Sachen Öl hier sprechen: 1898 stellten die Felder von Abseron 95 Prozent des russischen und die Hälfte der weltweiten Erdölproduktion! In Baku lebten 1863 überschaubare 14.000 Menschen. Bis zum Ersten Weltkrieg hatte sich diese Zahl verzwanzigfacht.
1844 wurde erstmals Öl gefördert, aus der ganzen Welt kamen Investoren und Spekulanten ins Land, noch heute zeugen in Baku prachtvolle Paläste der Ölbarone von ihrem Reichtum. Sie hätten die «Flame Towers» als Wahrzeichen gewiss toll gefunden.
Heute fördert Aserbaidschan weniger als ein Prozent der weltweiten Erdölproduktion, die Reserven werden auf 0,6 Prozent der weltweiten Reserven geschätzt. Das kann Norwegen auch bieten. Und doch erwartet das Land bis 2035 Einnahmen in Höhe von 140 Milliarden US-Dollar durch Öl und Gas.
Das Geld aus dem Öl wird in die Infrastruktur gepumpt: Wobei Baku in fiebrigem Tempo Fortschritte macht, der Rest des Landes etwas weniger rasant.
Doch Aserbaidschan hat das gleiche Problem wie die Vereinigten Arabischen Emirate: Die Ölvorkommen werden irgendwann zur Neige gehen, das Land muss frühzeitig die Weichen zu anderen Einkommen stellen.
Unter anderem will Aserbaidschan mehr Touristen anziehen: Im vergangenen Jahr wurde geschätzt, dass nur jeder Vierte Rennbesucher aus dem Ausland anreiste, um das Autorennen zu sehen. Für 2017 soll diese Zahl verdoppelt werden. 2016 wurden für den Grand Prix lediglich 28.000 Tickets angeboten, in diesem Jahr sind es gegen 40.000.
Ob diese Rechnung in Baku aufgeht, wird die Zeit zeigen.