Sebastian Vettel (Ferrari): FIA-Urteil als Nachteil
Die Wogen glätten sich nur langsam nach dem Urteil des FIA-Präsidenten Jean Todt. Der 71jährige Franzose ist der Meinung, dass Baku-Rammbock Sebastian Vettel für seine Kollision mit Mercedes-Fahrer Lewis Hamilton nicht vors Internationale Sportgericht gezerrt werden muss. Dem Chef des Automobil-Weltverbands hat es gereicht, dass sich der Ferrari-Star reumütig zeigt, sich bei der FIA und dann in aller Öffentlichkeit entschuldigt hat. Darüber hinaus fährt der WM-Leader nun unter Bewährung: Noch so eine Nummer wie in Aserbaidschan, und Sebastian Vettel wird um den Gang vors Sportgericht nicht herumkommen.
Fans und Fachleute haben komplett unterschiedlich auf die Einschätzung von Jean Todt reagiert. Mancher findet, das sei ein angemessener Klaps auf die Handfläche, und man solle die ganze Affäre nun bitteschön mal gut sein lassen. Aber genau so viele Fans sind der Ansicht, typisch FIA, für Ferrari gelten wohl wieder mal Sonderregeln, das sei doch keine Bestrafung.
Diese Kontroverse wird noch eine Weile anhalten. In wenigen Tagen am Red Bull Ring wird die Diskussion frischen Schwung erhalten, wenn Sebastian Vettel und Lewis Hamilton zu ihren Interview-Runden antreten müssen.
Der 158fache Grand-Prix-Teilnehmer Martin Brundle (58), heute in Diensten der britischen Sky, hatte schon in Aserbaidschan gesagt: «Hätte Vettel seinen Gegner aus dem Rennen gerissen, dann hätte ich Sebastian mit der schwarzen Flagge aus dem Grand Prix geholt. So aber fand ich das Urteil der Rennkommissare mit der Zehnsekunden-Stop-and-go-Strafe in Ordnung. Ich habe schon viel üblere Manöver gesehen, bei welchen die Rennpolizei untätig geblieben ist.»
Zu den jüngsten Ereignissen aus Paris sagt Brundle, der Sportwagen-Weltmeister von 1988: «Es ist offensichtlich, dass Vettel mit einem gewissen Mass an Demut nach Paris reisen und dort Verantwortung für sein Handeln übernehmen musste. Das hat er getan.»
«Natürlich kann argumentiert werden, dass er von Glück reden könne, so davongekommen zu sein. Aber seit Ewigkeiten sagen mir Fans, dass die Formel 1 überreglementiert sei und dass zu viele Strafen ausgesprochen würden. Also bin ich mit dem Ergebnis zufrieden. Er hat eine Dummheit getan, er hat dafür bezahlt, jetzt geht es weiter.»
«Ich glaube, es war ausschlaggebend, mit welcher Einstellung er sich in Paris gezeigt hat. Am Renntag damals in Baku hat er allen Ernstes über Funk gefragt, wofür er denn bestraft werde. Es war zum Schreien, dass er uns weismachen wollte, er sei von der Einschätzung der Rennkommissare überrascht. Er wusste haargenau, was er da tat, er hat einfach die Fassung verloren.»
«Andere Fahrer könnten die offensichtlich kurze Zündschnur von Sebastian Vettel für sich nutzen. Er steht nun bei neun Strafpunkten im FIA-Sündenregister, drei mehr und er schaut ein Rennen lang zu. Im Rad-an-Rad-Duell, und das wissen Hamilton & Co. genau, kann sich Vettel nicht mehr viel leisten. Ein Fehltritt und er setzt einmal aus, und das würde seine Titelchance wirklich beschneiden. Er ist derzeit im Nachteil.»
«Wir haben diese Wut schon früher erlebt, gegen Mark Webber in der Türkei und bei anderen Gelegenheiten. Er scheint sich ab und an einfach nicht unter Kontrolle zu haben. Aber wir reden hier von hochqualifizierten Vollblut-Sportlern, die voller Adrenalin jenseits von 300 km/h kämpfen. Da kommt so etwas halt mal vor. Letztlich geht es im Sport ja um Leidenschaft und Aggression.»
«Wir erleben eine tolle Formel-1-Saison, weil Ferrari endlich alles auf die Reihe bekommen hat und Mercedes auf Augenhöhe herausfordert. Und weil wir zwei grosse Champions haben, die sich im wahrsten Sinne des Wortes um den Titel balgen. Dieser Kampf wird bis zum Ende der Saison weitergehen. Das wird richtig gut. Vorbei die Zeiten der Mercedes-Dominanz. Nun reisen wir zu einem Rennen und haben keine Ahnung, wer auf Pole-Position stehen und wer den Grand Prix gewinnen wird. Ich finde das fabelhaft.»