History: 1993 starb James Hunt – der letzte Hippie
Vor 25 Jahren ging diese Meldung um die Welt: James Hunt ist nicht mehr. Verstummt war ein Weltmeister der Formel 1, erloschen ein greller Farbtupfer aus einer blass gewordenen Szene. James Hunt galt damals als der letzte Racer von altem Schrot und Korn, Sex, Drugs and Rock’n’Roll, das ganze Programm, der letzte Hippie im Grand-Prix-Sport. Aus dem Leben gerissen von einer Herzattacke.
James Hunt entstammte einer Familie mit sechs Kindern aus Surrey. Er sollte eigentlich Medizin studieren, wollte aber lieber Rennen fahren. Zusammen mit Freunden kratzte er 1968 hundert Pfund zusammen, gerade 21 Jahre alt geworden, um sich einen Brabham-Ford anzuschaffen. Mit diesem Formel-Ford-Einsitzer fiel er immerhin dem Lotus-Team auf, nachdem er schon vorher, eher unaufdringlich, einen Mini-Cooper bewegt hatte.
Hunt war kein Komet der Formel 3, es gab viele Fehlschläge und Unfälle. In Frankreich stand er einmal unterm Lorberrkranz. Die Presse verlieh ihm den Titel «Hunt the shunt» – Hunt, der Verschrotter.
James war der personifizierte Ausritt, immer war er zur Stelle, wenn es krachte.
1972 traf James den reichen Lord Alexander Hesketh, einen Lebemann mit Schloss, riesigem Grundbesitz, nebenbei ein irrer Rennfan. Hunt fuhr zusammen mit Bubbles Horsley, einem engen Freund des Lord, einen Formel-3-Renner. Als Hunt und Horsley ihr Auto (wieder einmal) ramponiert hatten, wollte Lord Hesketh sein Team auflösen. «Samt den Piloten», wie mir Hunt einmal erzählte.
Aber Hunt überredete den Lord zur Flucht nach vorne, stattdessen in der Formel 1 weiterzumachen. 1973 wurde Hunt mit einem March WM-Achter der Formel 1. 1974 stieg Lord Hesketh richtig in die Königsklasse ein, und dieses Team war ganz nach dem Geschmack von Hunt: Wilde Parties, viel Luxus, viel Spass, erneut ein achter Platz in der WM.
1975 chauffierte er den Hesketh hinter Niki Lauda, Emerson Fittipaldi und Carlos Reutemann auf den vierten WM-Rang. 1976 war sein erstes Jahr für McLaren, zwei weitere sollten folgen. Aber so gut wie 1976 sollte James nie wieder fahren.
Lauda gegen Hunt hiess das Duell um den Titel. McLaren operierte an den Grenzen des Reglements, bisweilen darüber hinaus. Der Verstoss gegen das technische Reglement in Spanien, die Verwendung eines nicht mehr zulässigen, hochoktanigen Sprits in Monza (wobei man über die damaligen Messmethoden durchaus streiten konnte), das alles brachte McLaren ins Zwielicht.
Als Hunt seinen Sieg im britischen Grand Prix am grünen Tisch verlor, wurden tausende Flugzettel gedruckt. Darauf stand: «Ich sah Hunt den britischen Grand Prix gewinnen – ein McLaren-Fan.»
In Spanien hatte der Sieger Hunt geheissen, dann wurde er disqualifiziert, weil die Gesamtbreite seines McLaren um 1,8 Zentimeter das Limit sprengte.
Wochen später wurde Hunt der Sieg zurückgegeben, Niki Lauda auf Rang 2 zurückversetzt. Auf die Frage, ob Hunt glaube, dass man die Entscheidung von Spanien mit dem Urteil von Brands Hatch ausgleichen wollte, reagierte er zornig: «Wenn ich jemanden umbringe und ich gehe frei umher, weil wir keiner etwas nachweisen konnte, und sechs Wochen später stehle ich ein Paket Süssigkeiten in einer Konditorei, können sie mich doch nicht aufhängen, sondern nur für den Diebstahl bestrafen.»
Nachdem Niki Lauda am Nürburgring 1976 seinen Feuerunfall hatte, spitzte sich die WM-Entscheidung derart zu, dass sie beim letzten Rennen in Japan fallen musste.
Hunt offenbarte: «Mein sonniges Leben wird nur von einer einzigen Wolke überschattet – Gefahr. Die Gefahr setzt mich unter Druck aufzuhören, aber ich will nicht, denn ich liebe den Rennsport. Aber sterben möchte ich auch nicht.»
Das wollte auch Lauda nicht, und als er im berühmten Regen-GP von Fuji das Handtuch warf, war Hunt Weltmeister – mit einem Punkt Vorsprung auf Lauda.
Der letzte Pop-Star
James Hunt sah damals wie ein Pop-Star aus. Er bevorzugte «indoor sports», wie er es damals nannte, er meinte damit «girls and whiskey». Der Legende zuvor vernaschte er in der Woche vor der WM-Entscheidung von Fuji 35 Stewardessen. Unter denen hatten sich die Qualitäten des Rennfahrers längst herumgesprochen. Er machte aus allem einen Wettbewerb, er war disziplinierter geworden, aber auch stolzer. Sein Jahresfixum hatte er auf 300.000 Dollar erhöht, seine Sparsamkeit grenzte an Geiz.
Er gewann insgesamt zehn Formel-1-WM-Läufe, die letzten drei in der Saison 1977, Japan 1977 war sein letzter Sieg. 1978, im letzten McLaren-Jahr, sackte er auf den 13. Schlussrang ab.
Hunt und McLaren hatten sich längst auseinandergelebt, mit dem damaligen Teamchef Teddy Mayer sprach Hunt monatelang kein Wort.
Als Walter Wolf dann James Hunt für 1979 verpflichtete, tönte es von überall: Hunt ist doch ausgeflippt, passé, ein alternder Playboy, satt, sportlich nur noch dem Squash zugetan, nicht dem Rennsport.
Schon 1978 hatte James nur noch eine bescheidene Leistung geboten, und man wusste, er würde Ende 1979 wohl den Helm an den Nagel hängen. Bei Walter Wolf sollte er noch 800.000 Dollar verdienen. Etliche technische Defekte liessen James aber zum Schluss kommen, dass der Wolf-Renner einer Bruchrechnung entsprungen sein musste.
Daraufhin legte Hunt die Risikolatte noch tiefer. Ein Ausspruch von ihm sagte mir alles: «Ich zählte die Tage bis zu meinem letzten Rennen.»
Es kam früher als erwartet: Nach dem Monaco-GP 1979 verliess ihn die Courage, die letzte Brise Motivation war verflogen.
James Hunt zog sich ins Privatleben zurück.
Absturz und Auferstehung
In der Folge war Hunt ein Fall für die Klatschpresse. Er schnupfte Drogen, hiess es. Seine erste Frau Suzie war mit dem Filmstar Richard Burton durchgebrannt. Hunt lebte in Spanien und tauchte erst nach Jahren wieder auf, als TV-Kommentator der BBC.
Im Unterschied zu anderen Fernseh-Experten nahm Hunt kein Blatt vor den Mund. Er attackierte Prost und kritisierte Senna. Er tauchte zur Verzweiflung von Murray Walker oft nur Sekunden vor dem Start in der Kommentatorenkabine auf, vielleicht mit einer halb getrunkenen Flasche Rosé in der Hand, ganz sicher mit einer Kippe in der anderen.
Aber als früherer Weltmeister hatte er Kompetenz und nun auch die nötige Distanz, Hunt ging vor niemandem in die Knie.
Niki Lauda über seinen Gegner und Freund: «In seiner grössten Zeit war er ein ganz schneller Mann, ich bin mit ihm seit der Formel 3 gefahren. Ich glaube nicht, dass er sich ein grosses Vermögen geschaffen hat, er aber konnte ganz anspruchslos leben.»
Anfang der 90er Jahre hatte Hunt sein Leben wieder im Griff: Keine Drogen mehr, er tauchte nüchtern in der TV-Kabine auf, er hatte sogar aufgehört zu rauchen. Seine Kommentare hatten Substanz und Schneid, die Zuschauer liebten ihn.
Für Niki Lauda war er «ein gescheiter Kerl, den ich irrsinnig gern gemocht habe».
Auch seine zweite Ehe mit Sarah hielt nicht. Die Scheidung kostete ihn mehr Geld, als er hatte.
In London war Hunt meist auf einem Fahrrad zu sehen, weil es wenig kostete und praktisch war. Ich habe ihn als Hippie in Erinnerung, als Charakterkopf, ein Pfeif-mich-nichts, ein Mensch, gebeutelt von den Fieberkurven des Lebens; ein Champion, der barfuss in die Genügsamkeit schritt, der mit sich selber ins Reine gekommen war – als ein gutes Herz aufhörte zu schlagen.
James Hunt in der Formel 1
92 WM-Läufe Monaco 1973 bis Monaco 1979
14 Pole-Positions
24 Mal in der ersten Startreihe
8 beste Rennrunden
10 GP-Siege
Weltmeister 1976