GP-Sieger Johnny Herbert: «Danach war alles anders»
Johnny Herbert
Johnny Herbert ist aus der Formel 1 nicht wegzudenken. Der quirlige Engländer war der Daniel Ricciardo seiner Generation – mit viel Talent gesegnet, immer für einen Spass zu haben. Auch ein schwerer Unfall in der Formel 3000 (Vorläufer der heutigen Formel 2) konnte ihn nicht von seinem Traum Formel 1 abhalten. Selbst wenn Johnny nach seinen schweren Beinbrüchen das Gleiche sagt wie Marc Surer nach ähnlichen Verletzungen: «So schnell wie vor dem Unfall konnte ich nicht mehr fahren.»
Der dreifache GP-Sieger Herbert ist für Fans auf der ganzen Welt ständig ansprechbar, ein Formel-1-Haudegen zum Anfassen. Die Fragen der Fans kreisen oft um die gleichen Themen: Wie verdaut ein Pilot solch üble Unfälle? Immerhin hinkt Herbert noch heute. Wie geht ein Pilot überhaupt mit Druck um? Wie fühlt es sich wirklich an, einen Formel-1-Boliden zu kontrollieren?
Der WM-Vierte von 1995 spielt herunter, wie schwierig es ist, einen GP-Boliden zu beherrschen. «Für die Fahrer fühlt sich das an, als würde der Fan zum Supermarkt fahren, es ist einem in Fleisch und Blut übergegangen. Auch wenn die Geschwindigkeit etwas anders ist! Für uns fühlen sich Tempi jenseits von 300 Sachen ganz normal an. In unserem Kopf spielt sich alles viel langsamer ab, als es in Wirklichkeit passiert. Das gibt uns die Möglichkeit, fast immer die Kontrolle zu behalten.»
«Meine Töchter reiten. Und sie sprechen oft darüber, wie schwierig es ist, ein Pferd zu kontrollieren, weil es eben seinen eigenen Willen hat. Das ist mit einem Rennwagen durchaus vergleichbar, denn so ein Auto fühlt sich lebendig an. Du musst dich auf Reifentemperaturen einstellen, die sich ändern, auf andere Pistenbedingungen, auf die Eigenheiten eines bestimmten Fahrzeugs. Du musst dich teilweise dem Fahrzeug anpassen, um das Beste rauszuholen. Ich glaube, was Spitzenpiloten wie Lewis Hamilton, Nigel Mansell, Damon Hill, Ayrton Senna und Alain Prost alle hatten, das war eben die Gabe, sich auf all die ständigen Veränderungen blitzschnell einstellen zu können.»
Der Le-Mans-Sieger von 1991 sagt über Druck: «Jeder geht damit anders um. Lewis Hamilton sondert sich gerne ab, dann steht er bei der Präsentation alleine auf dem Lkw, ganz in seine eigene Kopfhörerwelt vertieft. Er befindet sich quasi in einer Blase. Auf der anderen Seite der Skala findet ihr Daniel Ricciardo, der herumalbert. Das ist seine Art und Weise, mit Druck umzugehen. Jeder muss für sich selber herausfinden, wie er sich am besten konzentrieren kann.»
Wie ist das nun mit schweren Unfällen. Stecken die Fahrer das wirklich so gut weg, wie einige behaupten? Johnny Herbert ist gegenüber dem Telegraph ganz ehrlich: «Vor meinem Unfall in Brands Hatch 1988 war ich davon überzeugt – mir passiert so etwas nie. Und als es doch passiert war, ertappte ich mich beim Gedanken: „So etwas passiert mir kein zweites Mal.“ Aber körperlich war nachher alles anders.»
«Als Pilot verlässt du dich sehr auf körperliche Empfindungen. Ich war vor meinem Crash auf der Bremse der grosse Held, besonders auf nasser Bahn konnte ich in meinen Zehenspitzen fühlen, wie viel Druck ich anwenden musste, um die Kurve perfekt anzubremsen. Aber nach meinem Unfall, bei dem meine Füsse zerschmettert worden waren, hatte ich dieses Gefühl nicht mehr. Die Finesse war weg. Nun verliess ich mich mehr auf mein Sehvermögen. Und dann waren da die Schmerzen. Ich hatte immer Schmerzen. Noch heute sitze ich hier und meine Füsse fühlen sich wund an.»
«Schlimm war nach dem Unfall die Isolation. Ich konnte den Leuten nicht sagen, wie schlimm es wirklich um mich stand. Hätte ich die Wahrheit gesagt, wären die Fragen erst recht losgegangen: „Wie gut ist er noch? Sollen wir ihm ein Auto geben?“ Also musste ich ganz alleine damit fertigwerden. Und das war sehr schwierig.»
Beim fabelhaften Mercedes-Duell zwischen Lewis Hamilton und Nico Rosberg galt der Engländer als der Instinktfahrer und der Deutsche als jener Pilot, der sich mit härtester Arbeit Vorteile erschafft. Bei Hamilton ist dieser Eindruck nicht ganz falsch, wie Johnny Herbert bestätigt: «Ich habe Lewis einmal gefragt, wohin er blickt, wenn er in eine Kurve einlenkt. Er meinte, er wisse es nicht, es passiere einfach. Was wirklich an Bord geschieht: Seine Augen nehmen auf, was alles um ihn herum passiert und wandelt das automatisch ins richtige Verhalten um. Das meinte ich vorhin mit dem Fahren zum Supermarkt. Eine Kurve anfahren wird so normal, dass ein GP-Pilot nicht darüber nachdenkt.»
Auch Herbert bedauert, dass wir die Partylöwen in der Art von James Hunt verloren haben. Für Johnny gibt es einen Schuldigen: «Damals gab es kein Twitter oder Facebook. Wenn ein Fahrer heute mal auf den Putz haut und das twittern würde, dann wären die Geldgeber garantiert nicht belustigt. Wir leben nun mal in einer anderen Welt. Bei James in den 70ern stand der Spass im Vordergrund, zwischendurch wurde es ernst und ein Rennen fand statt. Dann aber wieder zurück in den Party-Modus. Die heutigen Piloten pendeln nur noch vom Flughafen zum Hotel zur Rennstrecke und zurück. Der Glamour ist ein wenig abhanden gekommen – leider.»