Fall Carlos Ghosn: Unmut zwischen Renault und Nissan
Carlos Ghosn
Seit dem 19. November sitzt der langjährige Renault- und Nissan-Konzernchef Carlos Ghosn in Tokio hinter Gittern. Die japanische Staatsanwaltschaft wirft dem 64-Jährigen unter anderem vor, Verluste bei persönlichen Investitionen auf Nissan übertragen zu haben. Der in Brasilien geborene Renault- und Nissan-Sanierer steht im Verdacht, von 2011 bis 2015 systematisch Einkommen zu niedrig angegeben zu haben, in Höhe von insgesamt fast 40 Millionen Euro. Es ist davon die Rede, dass Ghosn mit Firmengeld Luxuswohnungen gekauft haben soll, in Rio und Paris, in Amsterdam und Beirut. Verdächtig scheint auch ein 1,7-Millionen-Dollar-Beratervertrag für Ghosns Schwester. Es wird sogar behauptet, Ghosn habe sich seine Scheidung von der Firma finanzieren lassen und anschliessend die Hochzeit mit seiner neuen Gattin. Für Vergehen, wie sie Ghosn zur Last gelegt werden, werden in Japan bis zu zehn Jahre Gefängnis verhängt. Es gilt die Unschuldsvermutung.
In seinem ersten grossen Interview seit seiner Inhaftierung wies Ghosn in der Wirtschaftszeitung «Nikkei» alle Vorwürfe von sich und sprach davon, ein Opfer von «Komplott und Verrat» seitens der Nissan-Verantwortlichen zu sein. Dies, weil er das Bündnis zwischen Renault, Nissan und Mitsubishi habe vertiefen wollen, was die Nissan-Führungsspitze ablehne.
Auch Caroline Ghosn, die Tochter des Spitzenmanagers, wittert eine Verschwörung. Sie verbreitet die Theorie, wonach Nissan die von Ghosn geplante Fusion zwischen Renault und dem japanischen Autohersteller verhindern wollte. Nicholas Maxfield, Sprecher von Nissan, nahm dazu wiefolgt Stellung: «Diese Behauptungen sind haltlos. Die Familie Ghosn hatte keinen Einblick in Gespräche über die Zukunft von Nissan. Hier geht es nicht um eine Fusion, hier geht es um Fehlverhalten, wie firmeninterne Untersuchungen gezeigt haben.»
Renault hält 43,4 Prozent Anteile an Nissan, Nissan wiederum ist zu 34 Prozent Mitbesitzer von Mitsubishi. Die grössten Teilhaber von Renault sind Nissan und der französische Staat, mit je 15 Prozent. Seit der Inhaftierung von Carlos Ghosn bröckelt das Bündnis zwischen Renault, Nissan und Mitsubishi. Es mangelt nicht an gegenseitiger Kritik zwischen den Franzosen und den Japanern.
Das «Journal du Dimanche» zitierte am 10. Februar aus einem Schreiben von Renault-Anwälten, darin ist von «ernsthaften Bedenken über die Methoden von Nissan» die Rede. Weiter heisst es: «Renault hat Beweise gesammelt zu verstehen, welche Methoden von Nissan und deren Rechtsvertretern eingesetzt wurden, um zu erwirken, dass Renault-Beschäftigte durch die japanische Staatsanwaltschaft befragt werden.» Die Franzosen sind verstimmt, weil Nissan in Frankreich nach Hinweisen gegen Ghosn gesucht habe, ohne den Allianzpartner davon in Kenntnis zu setzen.
Ein Nissan-Sprecher kommentierte den Renault-Brief (datiert vom 19. Januar) so: «Wir haben dieses Schreiben mehrfach mündlich und schriftlich beantwortet. Die Vorgänge spiegeln nicht den derzeitigen Zustand unserer Gespräche wider. Wir sind stets für einen offenen Austausch von Informationen mit unseren Partnern, um Fakten aufzudecken.»
In Frankreich berichtete «Le Figaro»: Renault hat beim Nachgehen neuer Hinweise die Justiz eingeschaltet. Es geht um den Vorwurf angeblicher Bereicherung durch einen Sponsoring-Vertrag mit dem Schloss Versailles. Im Oktober 2016 hat Carlos Ghosn dort seine Carole geheiratet, die Kosten für den Mietvertrag des Schlosses sollen über das Sponsoring-Abkommen mit Renault abgerechnet worden sein. Renault teilt dazu mit: «Die bislang gesammelten Elemente erfordern eine zusätzliche Prüfung.» 2016 wurde zwischen Renault und dem Schloss Versailles ein Vertrag unterzeichnet, der dem Betreibern des Schlosses erlaubte, Restaurierungen über Renault zu finanzieren. Als Gegenleistung profitierte das Unternehmen von Dienstleistungen. Die Kosten der Hochzeits-Party in Höhe von 50.000 Euro soll Ghosn über seinen Arbeitgeber abgerechnet haben, so teilt Renault mit. Renault gibt zu, die Justiz eingeschaltet zu haben.
Bislang hatte Renault immer erklärt, bei der Bezahlung von Carlos Ghosn in den Jahren 2017 und 2018 keine Unregelmässigkeiten oder Anzeichen für Betrug festgestellt zu haben. Untersuchungen für die Jahre davor laufen.
Carlos Ghosn war 1996 vom kriselnden Autohersteller Renault verpflichtet worden. Der gnadenlose Sanierer schaffte es, dass die Franzosen schon 1997 wieder schwarze Zahlen schrieben. Ab 2001 war Ghosn Vorstands-Chef von Nissan, seit 2005 auch Vorstands-Chef von Renault. Ab Dezember 2016 war er zusätzlich Verwaltungsrats-Vorsitzender von Mitsubishi, ab April 2017 sass er im Verwaltungsrat von Nissan.
Motorsport-Fans befürchten: Längerfristig kann der Fall von Carlos Ghosn auch Auswirkungen auf das Formel-1-Engagement der Franzosen haben. Ghosn hatte sich nach langem Ringen dazu entschlossen, Renault 2016 als Werksrennstall in den Grand-Prix-Sport zurückzubringen. Ob ein Nachfolger nach Ablauf der gegenwärtigen Abkommen mit der Formel 1 das millionenteure Engagement ebenfalls gutheisst, wird sich zeigen.