Formel 1: Max Verstappen – Chancen verspielt?

6. Titel Lewis Hamilton: Mercedes mit neuem Motor

Von Mathias Brunner
​Für den sechsten WM-Titel von Lewis Hamilton hat Mercedes-Benz einen komplett neuen Motor gebaut. Andy Cowell, Geschäftsführer von Mercedes-AMG High Performance Powertrains (HPP), über den 2019er Motor.

Mercedes-Benz ist so erfolgshungrig, als hätten die Silbernen noch gar nichts gewonnen. In Wahrheit sind sie Dauer-Weltmeister, seit wir Anfang 2014 in die neue Turbo-Hybridära der Formel 1 geschritten sind. Lewis Hamilton hat in dieser Zeitspanne vier Fahrertitel eingefahren (2014, 2015, 2017, 2018), 2016 wurde Nico Rosberg Weltmeister. Die Fachkräfte aus Brackley (Chassis) und Brixworth (Motor) haben mitgeholfen, fünf Konstrukteurspokale in Serie zu erobern. Andy Cowell, Andy Cowell, Geschäftsführer von Mercedes-AMG High Performance Powertrains (HPP), verrät – Mercedes hat für weitere Titel einen komplett neuen Motor gebaut!

Andy, im neuen Auto steckt auch eine neue Antriebseinheit, genannt M10 EQ Power+. Wie sahen die wichtigsten Schritte in deren Entwicklung aus?

Am Anfang steht jeweils eine Brainstorming-Session mit der Freiheit, so viel zu ändern, wie man möchte. Alle diese Ideen werden offen diskutiert, um herauszufinden, ob wir mit einer Idee zu optimistisch waren, ob wir nicht an alle Konsequenzen oder die Risiken der Änderung gedacht haben, welche Experimente wir durchführen könnten, um die Vorteile festzustellen oder das Risiko einzugrenzen. Am Ende steht dann eine Liste an Ideen, mit denen wir voranschreiten.

Diese Liste wird von Leuten in Brixworth und Brackley freigegeben, bevor wir mit der Detailarbeit an der Power Unit beginnen, wie wir die Antriebseinheit nennen. Die erste PU läuft dann im Spätsommer oder Herbst. In jedem Teil stecken viele Stunden Arbeit, in jeder Montage, jedem System, jedem komplettierten Element und dann der fertigen Power Unit.

Es ist ein großartiger Moment, wenn die Power Unit zum ersten Mal zum Leben erwacht und diese unzähligen Arbeitsstunden damit belohnt werden, dass erstmals Benzin in nutzbare Arbeit umgewandelt wird. Ja, es ist eine Maschine, aber sie ist ein Teil im Leben dieser Menschen, und für sie ist es etwas ganz Persönliches. Es ist ein Meilenstein, den wir jedes Mal in der Werkskantine feiern. Wir kommen alle zusammen und stoßen mit einem Glas Champagner darauf an, dass die Power Unit zum Leben erweckt wurde. Man sieht überall fröhliche Gesichter und spürt die Erleichterung, weil man den Gipfel erklommen hat und die Power Unit lebt.

Danach gibt es oft aber auch etwas Stirnrunzeln, wenn man die Persönlichkeit der neuen Power Unit besser kennenlernt. Einiges davon passt perfekt zu dem, was man erwartet hatte, anderes hingegen nicht. Jetzt geht es darum, die Realität zu verstehen und Feintuning an der Performance sowie der Zuverlässigkeit zu betreiben, um genau das zu erreichen, was man sich vorgenommen hatte.

Es folgt der fordernde Teil der Arbeit, in dem Dauerläufe abgespult werden, um Daten zu sammeln und zu verstehen, wie sich das Auto im Verlauf der Zeit weiterentwickelt hat. Wie sieht die aerodynamische Performance aus? Wie die Reifencharakteristiken? Wir müssen sicherstellen, dass wir die Energieabgabe richtig hinbekommen haben und alles auf jeder Strecke, auf der wir Rennen fahren, perfekt funktioniert. Jetzt geht es um den Feinschliff und das Sammeln von Daten, damit wir eine gute statistische Zuverlässigkeit erzielen und keine Performance verschenken.

Eine der großen Herausforderungen für ein Rennteam ist, dass es das nächstjährige Auto schon entwickeln muss, während das aktuelle sich noch im Renneinsatz befindet. Wann werden Leute von der Arbeit an einer PU auf die nächste verschoben?

Die Konzeptgruppe, die ich erwähnt habe, besteht aus drei bis vier Leuten, die mit einem weißen Blatt Papier beginnen und sich alles ansehen. Wenn dann im Laufe einer Rennsaison aus Zuverlässigkeits- und Performancegründen Elemente der aktuellen Power Unit eingefroren werden, wechseln Leute zum nächsten Jahr. Somit gibt es im Sommer einen großen Wechsel, wenn der Fokus auf die nächstjährige Power Unit gelegt wird. Bei den letzten paar Rennen des Jahres konzentriert sich nur noch eine Handvoll Personen in der Fabrik auf die aktuelle Power Unit – der Großteil arbeitet dann bereits am nächstjährigen Modell.

Was sind die größten Veränderungen an der diesjährigen Power Unit im Vergleich zum Vorjahr?

Es gibt keine großen Regeländerungen, die Einfluss auf die Architektur der Power Unit nehmen. Entsprechend geht es um eine Evolution der Systeme. Wir haben einige Veränderungen an der Kühlung der Power Unit vorgenommen, die sich hoffentlich positiv auf die Aerodynamik des Autos auswirken werden und gleichzeitig einen Effizienzvorteil für die Power Unit bieten. Damit wäre es sowohl für das Chassis als auch die Power Unit ein Gewinn. Im Herzen der Power Unit findet in der Brennkammer die Umwandlung von Benzin in Wärmeabgabe statt, die schlussendlich von der Kurbelwelle in nutzbare Arbeit umgesetzt wird. Wir haben Fortschritte bei der Verbrennungseffizienz sowie dem ERS-System erzielt. Sodass die Verbindung zwischen dem Turbolader und der MGU-H, dem Wechselrichter, den Zellen und der MGU-K nun als Ganzes viel effizienter arbeitet und dabei hilft, die Energie während des Rennens besser abzugeben.

Das neue Reglement für die Saison 2019 sieht mit 110 kg eine höhere Rennspritmenge vor – das sind fünf Kilogramm mehr als im Vorjahr. Welchen Einfluss hatte das auf die Entwicklung der Power Unit? Verliert die Effizienz dadurch an Bedeutung?

Die Leistung ist eine Funktion der Kraftstoffdurchflussrate, die bei 100 kg pro Stunde bleibt, und der Effizienz der Power Unit, die chemische Energie in nutzbare Arbeit umwandelt. Im Qualifying fährt man mit 100 kg pro Stunde und entleert die Batterie im Laufe einer Runde komplett. Entsprechend gibt es hier keine Veränderung mit Blick auf den Wettbewerb. Werfen wir jetzt einen Blick auf die erlaubte Spritmenge von 110 kg im Rennen: Wer einen effizienten Motor sowie eine effiziente Aerodynamik besitzt und darauf vorbereitet ist, etwas «Lift and Coast» zu betreiben, der erhält die Möglichkeit, mit weniger als 110 kg ins Rennen zu gehen. Pro fünf Kilogramm Gewichtsersparnis ist man ungefähr zwei Zehntelsekunden pro Runde schneller. Es besteht also ein natürlicher Vorteil bei einem Start mit einem etwas leichteren Auto. Dennoch besteht immer noch ein Wettkampf um den Bau des effizientesten Autos – sowohl bei der Power Unit als auch bei der Aerodynamik – und auch cleveres Racing ist entscheidend, um sicherzustellen, dass man sowohl beim Rennstart als auch im Rennverlauf eine gute Pace besitzt.

Welche Rolle spielen die Kraft- und Schmierstoffe auf der Jagd nach Performance und Zuverlässigkeit?

Das Benzin ist ein wichtiger Bestandteil des Verbrennungsprozesses. Dabei ist es entscheidend, sicherzustellen, dass die chemische Zusammenstellung und die thermodynamische Architektur der Power Unit außergewöhnlich gut zusammenarbeiten. Petronas hat weiter sehr gut mit unseren thermodynamischen Ingenieuren zusammengearbeitet und wir haben viele verschiedene Kandidaten auf dem Einzylinder-Prüfstand und dem V6-Motor getestet, um ein neues Benzin für die Saison 2019 zu entwickeln. Hierbei handelt es sich um eine eingeschworene Truppe, in der die Ingenieure von Petronas genau wissen, wie der Motor funktioniert, und in der unsere Power Unit Ingenieure genau wissen, wie der Sprit funktioniert. Petronas stellt uns auch die Schmiermittel für unser Auto zur Verfügung. Diese nehmen zwei wichtige Rollen ein: sie stellen sicher, dass die Komponenten sich nicht berühren. Dabei ist es entscheidend, dass ein dünner Ölfilm zwischen den hochbeanspruchten Komponenten besteht, was sowohl der Zuverlässigkeit als auch der Verminderung von Reibung zuträglich ist. Wenn man die Komponenten auseinanderhält, fallen die Reibung und der Verschleiß geringer aus. Gleichzeitig sorgt das Schmiermittel für die innere Kühlung des Motors. Es ist ein entscheidendes Element des Antriebs, so zu sagen sein Lebenselixier, das für sein Fortbestehen sorgt.

Der Winter gilt allgemeinhin als die arbeitsreichste Zeit in einer Formel 1-Fabrik. Wie würdest Du die Atmosphäre in Brixworth beschreiben und warum ist so viel los?

Die meisten Veränderungen an der Power Unit werden während der Entstehung eines neuen Autos vorgenommen. Im Februar und März gibt es viele interne Tests, viele Long Runs für die es viele Komponenten geben muss. In Barcelona stehen acht Testtage auf dem Programm, bei denen für die drei Testautos viele Komponenten benötigt werden. Und Anfang März, genau am letzten Testtag in Barcelona, müssen wir die Einsatz- und Ersatzhardware nach Australien versenden. Das sind sechs Einsatzsätze für die sechs Fahrzeuge mit Mercedes-Power und sechs Ersatzsätze. Diese Sequenz aus internen Long Runs, den Testfahrten und dann der Vorbereitung eines vollständigen Pools an Power Units für den Versand ans andere Ende der Welt ist eine enorme Herausforderung für die Produktion. Hinzukommen die eine oder andere Ungewissheit, weil wir die Persönlichkeit der Power Unit erst noch richtig verstehen lernen müssen.

Jeder ist gut vorbereitet, jeder hat gut trainiert und ich glaube, dass auf eine seltsame Art und Weise jeder diese Herausforderung genießt. Warum klettern Bergsteiger auf den Mount Everest, kommen zurück und besteigen ihn noch einmal? Es ist ihr Wettkampfgeist, es ist die Pionierarbeit, der Nervenkitzel einer harten Herausforderung. Menschen lieben diese Herausforderung und die Befriedigung, wenn sie ihr Ziel erreichen. Das treibt viele Menschen früh morgens aus den Betten und deshalb lieben sie es, in unserer Branche zu arbeiten.

Wie fließen die Lehren aus der Power Unit in andere Bereiche außerhalb der Formel 1 ein?

Das aktuelle Formel 1 Power Unit-Reglement belohnt dich dafür, wenn du eine sehr effiziente Maschine entwickelt hast, und zwar sowohl mit Blick auf den Verbrennungsmotor als auch das Hybrid-System. Die Elektromotoren, der Wechselrichter und die Batterien müssen alle extrem effizient sein. Wir verwenden dieses Know-how und wenden es unter dem Formel E-Reglement an. Dort haben wir die Freiheit, den Wechselrichter, den Motor, das Zahnradgetriebe, die Antriebswelle, das technische Wissen und ganz wichtig, diesen Entwicklungsprozess und den Hunger der Ingenieure in der Fabrik weiterzuentwickeln und all das auf dieses Reglement anzuwenden. Genauso entwickeln wir den Antriebsstrang für die Saison sechs der Formel E. Unsere Technologie fließt auch in die Entwicklung der Straßenautos ein. Verbrennungstechnologien, Leichtbautechnologien, Reibungsvorteile und Know-how über die Integration vieler elektrischer Boxen in eine kleine Box – all das sind Lehren, die ihren Weg auf die Straße finden.

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