Charles Leclerc: Wieso er Lewis Hamilton beneidet
Lewis Hamilton und Charles Leclerc
Bahrain war für Charles Leclerc ein Märchen aus 1001 Nacht ohne Happy-End: Der Monegasse war drauf und dran, in seinem zweiten Grand Prix für Ferrari zum Sieg zu fahren, leider warf ihn ein unsauber laufender Motor zurück. In Baku war Leclerc der schnellste Mann, aber sein Unfall im Training rächte sich. In Österreich schien er erneut dem Sieg entgegenzufliegen, dann aber war er gegen Max Verstappen machtlos.
Was auffällt: Für seine 21 Jahre wirkt der Monegasse auffallend gefasst, in schwierigen Momenten wie in freudigen. Wie kommt das eigentlich? Leclerc in der Corriere della Sera: «Das ist keine natürliche Gabe. Als ich klein war, da war ich viel zu emotional. Ich habe Energie mit Unwichtigem vergeudet, etwa mit Wut. Wir haben mit einem Spezialisten daran gearbeitet.»
Für die meisten Grand-Prix-Experten wie Johnny Herbert, Damon Hill oder Martin Brundle ist Leclerc nicht nur ein kommender Sieger, sondern ein kommender Weltmeister. Wo muss er zulegen, um diese Ziele zu erreichen? Charles: «Ich brauche mehr Erfahrung. Ich muss ein tieferes Verständnis für die Abstimmung des Wagens entwickeln, ich muss noch genauer werden bei meinen Beschreibungen den Technikern gegenüber.»
«Bei Fehlern bin ich mir gegenüber überaus hart. In Deutschland bin ich auf nasser Bahn ausgerutscht, in Baku habe ich den Wagen aus der Kontrolle verloren, so etwas geht mir nahe. Wenn ich Fehler mache, dann reagiere ich überaus selbstkritisch.»
Sein früherer Alfa Romeo-Sauber-Teamchef Fred Vasseur sagte mir im Frühling: «Was macht einen Rennfahrer herausragend? Es dreht sich grundlegend alles um das gottgegebene Talent, dann aber auch darum, was du daraus machst und wie du an deine Aufgaben herangehst. Ich kann mich an ein bestimmtes Rennen in der GP3 erinnern, da war Charles nachher sehr aufgebracht. Das Ergebnis war prima, er hatte eben gewonnen, die meisten anderen Fahrer wären mit sich selber sehr zufrieden gewesen. Nicht so Charles. Er sagte: ‘Heute bin ich nicht gut gefahren.’ Das habe ich nur mit einem anderen Piloten erlebt in meiner Karriere, mit Lewis Hamilton.»
Der härteste Kritiker von Charles Leclerc heisst Charles Leclerc. Vasseur: «Die grössten Piloten muss keiner antreiben, die verlangen von sich selber am meisten. Schau dir Vettel an oder Hamilton oder Alonso. Charles teilt mit ihnen ein scharfes Auge fürs Detail. Und selbst wenn er auf der Strecke mächtig Ellbogen ausfahren kann, so ist er doch ruhig und gesammelt abseits der Piste. Er ist sehr konstruktiv, seine Arbeit ist immer lösungsorientiert.»
Um welche Fähigkeit von Lewis Hamilton beneidet Leclerc den Briten? «Um seine Konstanz. Er kann jedes Mal das Beste aus seinen Möglichkeiten machen. Er ist auch mental überaus stark. Jeder kann eine schnelle Runde fahren. Aber es ist etwas ganz Anderes, alles im richtigen Moment auf den Punkt zu bringen. Daran muss ich noch arbeiten.»