Ferrari von Sebastian Vettel: Entscheidender Fehler
Hand aufs Herz jetzt: Wann hat Ferrari vorderhand letztmals einen Formel-1-WM-Lauf gewinnen können? Na? Genau, es war am 21. Oktober 2018, als Kimi Räikkönen auf dem Circuit of the Americas bei Austin (Texas) zum Sieg preschte. Seither nur Pleiten, Pech und Pannen. 2019 wollten die Italiener die Lücke zu Mercedes-Benz schliessen und ein Wörtchen mitreden bei der Vergabe des WM-Titels. Davon ist Ferrari weit entfernt. Und Teamchef Mattia Binotto spricht offen über den gravierendsten Fehler, den Ferrari gemacht hat.
Der frühere Schweizer Formel-1-Pilot Marc Surer sagte SPEEDWEEK.com schon im Frühling: «Ferrari hat ein konzeptionelles Problem. Ferrari hat zu wenig Abtrieb. Das fiel im Winter aus zwei Gründen nicht auf: Erstens reichte es im frühen Entwicklungsstadium der Autos und auf der Testbahn von Barcelona, um Bestzeiten zu fahren, und zweitens hatte Mercedes das eigene Fahrzeug in der ersten Wintertestwoche nicht im Griff. Wenn wir uns die Sektoren der katalanischen Strecke anschauen, dann war Ferrari im Winter im letzten Pistenteil schlecht, dort also, wo du am meisten Abtrieb brauchst. Wir hätten da schon aufhorchen müssen.»
«Abtrieb kannst du nicht einfach herbeizaubern. Gut, du könntest grössere Flügel ans Auto packen, aber dann bist du auf den Geraden nicht mehr schnell genug. Das ist Ferrari in China passiert. Abtrieb muss vom Unterboden kommen, daher vermute ich – Ferrari hat ein konzeptionelles Problem. Wenn der Frontflügel die Luft aussen um die Vorderräder zwingt, dann ist das zur Versiegelung des Luftstroms an den Seitenkästen gut in schnellen und mittelschnellen Kurven, aber es scheint in langsamen Ecken nicht zu funktionieren. Die Aerodynamiker wollen die Wirkung des Unterbodens betonen, indem sie mit geschickt geführtem Luftfluss verhindern, dass Luft seitlich abfliesst. Du willst diese Luft möglichst nachhaltig unterm Auto behalten und zum Heck leiten. Fliesst die Luft seitlich ab, dann verlierst du Abtrieb.»
Wir könnten das alles auch anders formulieren und sagen: Ferrari hat zu sehr auf Motorleistung gesetzt und auf ein windschlüpfiges Auto, aber zu wenig auf die Erzeugung von Abtrieb. Ferrari-Teamchef Mattia Binotto sagt dazu gegenüber meinem Kollegen Roberto Chinchero von autosport.com: «Das ist nicht einfach eine Frage der Philosophie. Die 2019er Generation der Pirelli-Reifen erfordert mehr Abtrieb, um die schmalere Lauffläche nachhaltig aufzuwärmen. Wenn wir ein Jahr zurückgehen könnten, dann würden wir uns mehr auf die Abtriebserzeugung konzentrieren, auf Kosten des Luftwiderstands. Aber sollen wir das als konzeptionelles Problem einstufen? Da bin ich mir nicht so sicher.»
«Wir sind davon überrascht worden, dass wir zu Beginn der Saison nicht konkurrenzfähiger sind. Wir hatten nicht erwartet, dass wir leichtes Spiel haben würden, aber wir wähnten uns schon auf Augenhöhe mit Mercedes. Das war in Australien gewiss nicht so, in Bahrain vielleicht eher, aber im Schnitt über die ganze Saison eben nicht.»
«Wenn wir uns die erste Saisonhälfte betrachten, dann ist es recht seltsam, wie wir in einigen Rennen stark waren und in anderen nicht. Das geht ständig auf und ab, auch für unsere Konkurrenten. Wenn wir jetzt zurückblicken, dann komme ich zum Schluss: Wir sahen im Testwinter stärker als als wir es in Wahrheit waren; gleichzeitig wirkten unsere Gegner weniger konkurrenzfähig als sie es wirklich waren. Ob jemand an einem gewissen Wochenende glänzen kann oder nicht, das hängt von der Pistencharakteristik ab, vom Wetter, von den eingesetzten Reifenmischungen. Einige Gelegenheiten sind uns durch die Lappen gegangen. Wenn wir ein paar Rennen hätten gewinnen können, so sähe das Bild heute ganz anders aus.»