Pat Symonds über Schumacher: Blindes Verständnis
Pat Symonds (rechts), hinten mit Brille Ross Brawn, dann Michael Schumacher
Patrick Bruce Reith «Pat» Symonds ist mit seinen 66 Jahren ein Formel-1-Urgestein – zusammen mit Teambesitzer Ted Toleman stieg er anfangs der 80er Jahre von der Formel 2 in den Grand-Prix-Sport hoch, 1984 arbeitete er dort mit einem GP-Debütanten namens Ayrton Senna. Aus Toleman wurde Benetton, bei Benetton war Pat bei den ersten zwei WM-Titeln von Michael Schumacher dabei, 1994 und 1995. Aus Benetton wurde Renault, hier, nunmehr als leitender Ingenieur, betreute Symonds Fernando Alonso bei dessen beiden Titeln. Später wurde Symonds Technikchef bei Williams, heute ist er für die Formel 1 tätig, in beratender Funktion. Er war ein wesentlicher Bestandteil jenes Techniker-Teams, welches Modelle für die Formel-1-Renner der Generation 2021 entwickelt hat.
Als ich Pat vor einigen Jahren um ein Gespräch bat, war mein Hintergedanke: Wie geht ein Renningenieur mit Rohdiamanten wie Senna, Schumacher und Alonso um? Wie waren diese Ausnahmekönner in der täglichen Wechselbeziehung zwischen Rennfahrer und Renningenieur?
Pat Symonds holte ein wenig aus: «Ein guter Renningenieur sollte mit jedem Piloten arbeiten können, und vielleicht ist gerade dies eine der herausragenden Fähigkeiten eines überdurchschnittlichen Renningenieurs. Wie Ingenieur und Fahrer miteinander umgehen, das hat mich immer fasziniert, denn man sollte sich nahestehen ohne sich zu nahe zu kommen. Ich erkläre das: Du musst dem Piloten so nahe sein, dass du fast erahnen kannst, was der andere denkt. Als ich etwa mit Michael Schumacher gearbeitet habe, da erreichten wir dieses Niveau – ein blindes Verständnis, fast ohne Worte, es war beinahe wie Gedankenübertragung.»
«Aber, und das ist für einen Renningenieur ganz wichtig, du musst immer im Hinterkopf behalten, dass du für einen Rennstall arbeitest, nicht für einen Piloten. Der Fahrer ist nur ein weiterer Angestellter des Teams.»
«Ingenieure sind sehr logisch denkende Menschen, die alles in einer ganz bestimmten Weise und auf hohem Qualitätsniveau erledigt haben wollen. Also tendieren sie dazu, lieber mit Fahrern zu arbeiten, die ähnlich denken. Wenn du dann als Renningenieur auf einmal beispielsweise mit lateinischem Temperament umgehen musst, dann ist das nicht ganz einfach. Einige Piloten können schon schwierig sein. Aber ein guter Renningenieur ist anpassungsfähig.»
Pat Symonds ist einer der wenigen Formel-1-Fachleute, die mit verschiedenen Stars gearbeitet haben, im Falle des Engländers mit Ayrton Senna, Fernando Alonso und Michael Schumacher. Für Pat ist glasklar, wer da herausragt.
«Ohne jeden Zweifel Michael Schumacher. Ich hatte das Privileg, mit überdurchschnittlichen Piloten arbeiten zu können, mit einigen Weltmeistern, dazu mit anderen, die daran waren, Weltmeister zu werden. Aber von allen Piloten, mit welchen ich in gut vierzig Jahren Rennsport gearbeitet habe, ist mir Michael Schumacher der Liebste.»
«Wir hatten einfach einen tollen Draht zueinander, in professioneller Hinsicht, aber auch auf menschlich-persönlicher Ebene. Wir sind bei Benetton zusammen gewachsen.»
«Michael war unvergleichlich in der Art und Weise, wie er auf jedes Detail geachtet hat. Er hat den Grundgedanken perfektioniert, sich kontinuierlich zu verbessern. Das hat keiner vor ihm so konsequent umgesetzt, und das habe auch ich verinnerlicht. Wir haben uns wirklich um die kleinsten Details gekümmert, um noch ein wenig Zeitgewinn zu erreichen. Es war ein Traum, mit ihm zu arbeiten, was seine Logik angeht, sein Einsatz, seine Arbeitsethik, seine Intelligenz und seine Fähigkeit, ein solches Auto irrsinnig schnell zu fahren. Es war immer wieder verblüffend.»
«Michael konnte unglaublich gut mit Menschen umgehen. Er ist einer der nettesten Kerle, die ich je in diesem Sport getroffen habe. Ich halte die grössten Stücke auf ihn. Seine Mitarbeiter waren ihm wirklich wichtig, er kannte jeden. Wenn er in meiner Nachbarschaft leben würde, dann wäre das mein bester Freund.»
«Ich habe nur zwei Fahrer erlebt, die ein Team wie ein Mann hinter sich scharen konnten – das waren Michael Schumacher und Mark Webber. Sie hatten einfach diese ganz besondere Persönlichkeit, sie wurden von allen gemocht, also zerrissen sich die Mitarbeiter förmlich, um ihnen zu helfen. Alonso war auch ein guter Leader, weil ihn alle respektierten, aber so mitreissend wie Michael war Fernando nie.»
«Michael und Fernando waren überragend darin, ein Rennen sozusagen zu lesen. Sie können sich gewissermassen vom reinen Fahren mental abkoppeln und hatten Reserven, um über den Rennverlauf nachzudenken. Ich kann mich an ein Rennen in Kanada erinnern, als Fernando fast eine ganze Runde lang über Funk am Reden war – und das war seine schnellste Rennrunde! Also, wenn ich im Auto bin und einen Anruf erhalte, dann fahre ich als erstes mal gewiss langsamer. Ihn schien das nicht weiter zu stören. Dieses Plus an geistiger Kapazität hebt sie von den Gegnern ab. Sie erinnerten sich auch an alles.»
Ich wollte von Pat wissen: Sprechen wir hier von einer Art photographischem Gedächtnis? Symonds antwortete: «Nein, das meine ich nicht. Ein Mensch mit photographischem Gedächtnis kann alles abrufen, was er aufgenommen hat, aber das bedeutet noch nicht, dass er aus diesen Informationen die richtigen Schlüsse zieht. Sowohl Fernando als auch Michael hatten sehr viele Daten zur Verfügung, sie wussten mit diesen Informationen umzugehen, zu sortieren – das ist wichtig, das ist nicht so relevant – und dann zogen sich die korrekten Schlüsse daraus, in welche Richtung zu gehen ist. Das Analysieren ist das Wichtige, nicht das Erinnern.»
«Ein Mensch mit photographischem Gedächtnis wird später wissen, dass dieser Tisch hier weiss ist und wie die Blumen aussahen, die darauf standen. Fernando und Michael würden dir erklären, warum der Tisch weiss ist und aus welchen Gründen die Art von Blumen ausgesucht worden waren.»
«Als ich damals mit Ayrton Senna arbeitete, hatte er definitiv noch ein paar Defizite – bei der Fitness oder bei der Detailarbeit. Er hatte wahrscheinlich mehr Talent als Michael. Und auch bei Fernando gab es noch ein paar Kleinigkeiten, die ausgebügelt werden mussten. Aber Michael war in jeder Hinsicht unglaublich gut: Seine Fähigkeit, an seiner Fitness zu arbeiten, sein Verständnis der Zusammenhänge oder seine Fähigkeit, ein Rennen zu lesen – da stimmte einfach alles. Für mich ist er deshalb der Beste, mit dem ich jemals zusammengearbeitet habe.»