Jo Siffert, der Racer: Unvergleichlich, unvergessen
Vielleicht hat es Pater Nicolas Duruz am besten auf den Punkt gebracht: Bei der Beerdiung des Schweizer Rennfahrers Joseph «Jo» Siffert vor fünfzig Jahren sagte der Geistliche: «Wo es ein Risiko gibt, da gibt es auch den Tod. Und wo es kein Risiko gibt, da gibt es auch kein Leben.»
Jo Siffert verlor sein Leben ausgerechnet in einem Rennen, bei dem es um nichts ging: Der nicht zur WM zählende Formel-1-Lauf in Brands Hatch am 24. Oktober 1971 wurde zu Ehren von Weltmeister Jackie Stewart veranstaltet.
Der WM-Vierte Siffert war mit seinem BRM von Pole-Position schlecht gestartet, kam nur als Neunter aus der ersten Runde zurück. Bei seiner Aufholjagd berührten sich die Autos von Ronnie Peterson und von Siffert kurz. Unmöglich zu sagen, ob es da zu einer Beschädigung am BRM kam.
In der 15. Runde brach die hintere Aufhängung, der Wagen des Fribourgers knallte in einen Erdwall, überschlug sich, ein Feuerball entstand. Jo Siffert erstickte im Wagen, das linke Bein gebrochen, aber durch den Aufprall an sich nicht lebensgefährlich verletzt. Die damaligen Sicherheitsvorkehrungen waren ein Witz, Siffert hatte keine Chance.
Bei der Beerdigung in Fribourg am 29. Oktober 1971, wo Pater Duruz die obigen Worte sprach, erwiesen 50.000 Menschen Siffert die letzte Ehre. Im Trauerzug – ein mit Trauerflor geschmückter Porsche 917, der legendäre Rennwagen eines legendären Racers.
Was hat diesen Mann so populär gemacht?
Vielleicht war es diese Tellerwäscher-Geschichte, die in seinen Zeitgenossen den Gedanken nährte: Ich kann alles erreichen. Siffert, der Mann, der sich aus einfachsten Verhältnissen an die Weltspitze arbeitete, der Lumpen sammelte und Papier, der auf Schiessständen Patronenhülsen zusammenklaubte und dann kiloweise verkaufte, der von einer internationalen Karriere als Rennfahrer träumte. Aber Monza und Monaco und Le Mans schienen so weit weg zu sein wie der Mond.
Vorbild für Steve McQueen
Aus diesem Mann wurde ein anderer Jo Siffert, Star-Fahrer von Porsche, Grand-Prix-Sieger mit Lotus (erster Sieg 1968 auf seiner Schicksalsstrecke Brands Hatch) und BRM (in Österreich 1971, mit schleichenden Plattfuss), jener Rennfahrer, der für Hollywood-Star Steve McQueen zum Vorbild seiner Rolle als Michael Delayney im Kult-Rennfilm «Le Mans» wurde.
Jack W. Heuer, damals Geschäftsführer der nach seinem Urgrossvater benannten Uhrenfirma: «Durch den Formel-1-Piloten und Porsche-Werksfahrer Jo Siffert hatte ich Zugang zur Rennsportszene erhalten. Dann ereignete sich ein weiterer Glücksfall. Siffert war abgestellt worden, um Steve McQueen den Porsche 917 zu erklären, den er bei einigen Filmaufnahmen selber fahren sollte. Die beiden Männer verstanden sich sofort blendend – weil sie beide aus bescheidenen Verhältnissen stammten und sich mit einer guten Portion Draufgängertum nach oben gekämpft hatten.»
Jack Heuer weiter: «Als Robert Posen vom Produktionsteam sagte, dass er morgen mit den richtigen Drehs beginnen wolle und McQueen sich für sein definitives Rennfahrer-Outfit entscheiden müsse, da deutete er auf Siffert und sagte: ‘Ich will genau so aussehen wie er.’ Seppi sagte: ‘No problem!’ und holte seinen zweiten Overall aus dem Truck, natürlich mit der eingestickten Blutgruppe und den Sponsoraufnähern von Gulf, Firestone und Heuer. Dann fiel McQueens Blick auf die blaue Heuer Monaco an Sifferts Handgelenk: ‘Und die Uhr brauche ich natürlich auch!’»
Siffert stellte McQueens Produktionsfirma Solar zahlreiche Fahrzeuge für die Produktion von «Le Mans» zur Verfügung, mit einer guten Nase fürs Geschäft, denn die US-Amerikaner liessen sich die Dreharbeiten Millionen kosten.
Der nahbare Volksheld
Die Formel 1 war kein Milliardengeschäft wie heute, daher konnten die Fahrer viel besser mit den Fans auf Tuchfühlung gehen, und «Seppi» Siffert war in der Schweiz ein Volksheld. Siffert hat nie vergessen, woher er kam, er blieb immer nahbar, sympathisch, zugänglich, die Menschen empfanden ihn nicht als abgehobenen Nouveau-Riche, sondern als einen von Ihnen, der es dank Schweizer Tugenden zur Weltspitze gebracht hatte – Fleiss, Bescheidenheit, ein geschicktes Händchen für Geld, über das man natürlich nicht sprach, auch in Bezug auf seine Renntaten immer ein Hauch Understatement.
Jo Siffert trug stolz ein grosses Schweizerkreuz auf dem Helm, das Design hatte er bei seinem Landsmann Benoît Musy abgeguckt.
Welchen Stellenwert hatte Siffert damals für die Schweiz? Norbert Wicht, Präsident des Komitees, das die Aktivitäten «Jo Siffert 2021» plant und durchführt: «Jo Siffert war zu seiner Zeit ähnlich populär wie Roger Federer heute. Er hatte eine aussergewöhnliche Ausstrahlung und unterhielt sich mit dem Fürsten von Monaco genau so entspannt wie mit dem Mann von der Strasse. So viele Menschen erinnern sich noch 50 Jahre später daran, was sie taten, als sie die tragische Nachricht aus England hörten.»
Der Beste seiner Generation
Heini Mader, einer der treuen Mechaniker von Jo Siffert: «Als er mit dem Porsche-Werk berühmt wurde, hat er seine Einstellung nie geändert. Er blieb so freundlich und zugänglich wie in seinen Anfangsjahren, und das ist der Grund, warum ihn alle lieben und immer noch lieben.»
Mit 35 Jahren stand Siffert im Zenith seines Könnens. Im Formel-1-Renner konnte er es mit jedem aufnehmen, im Porsche-Sportwagen lag nur der Mexikaner Pedro Rodríguez auf gleich hohem Niveau. Der ehemalige Porsche-Sportdirektor Peter Falk sagt: «Seppi war für mich gerade wegen dieser Vielseitigkeit der beste Fahrer seiner Generation.»
Die französische GP-Reporterlegende Johnny Rives schrieb in der französischen Sporttageszeitung «L'Équipe» vom 25. Oktober 1971: «Jo Siffert war schnell, geschickt und ein Kämpfer, wie es alle Rennfahrer sein können. Aber er hatte noch etwas mehr, etwas Anderes. Seine Leichtigkeit wurde nur durch seinen erstaunlichen Mut übertroffen. Ein Mut, der umso grösser zu sein schien, als er ihn nie erwähnte, ausser mit einem Lachen, wenn ihn die Leute nach einer seiner Heldentaten fragten, wie es gelaufen sei.»
Der Westschweizer Jacques Deschenaux, Wegbegleiter von Siffert, sagt über den 13-fachen Langstrecken-WM-Laufsieger: «Ich glaube, man spricht deshalb noch heute von Jo Siffert, weil es ihm gelungen ist, sich durch seine Persönlichkeit, seine Haltung, seine Freundlichkeit und seine Ergebnisse zu einer Person zu machen, auf die der Mann von der Strasse stolz war und mit der man sich leicht identifizieren konnte. Ich finde es wunderbar zu sehen, dass jemand, der vor fast 50 Jahren verstorben ist, in den Herzen unglaublich vieler Menschen immer noch so lebendig ist.»
Als erstmals Champagner spritzte
Es ist ein hübscher Gedanke, dass eine der heutigen Renntraditionen im Verhalten von Jo Siffert gründet. Rückblende zum Rennklassiker in der Sarthe, dem berühmtesten 24 Stunden-Rennen der Welt – nach Le Mans.
Beim 24 Stunden-Rennen von Le Mans 1966 zahlte sich der Millionenaufwand von Ford beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans endlich aus – Dreifachsieg für die GT40 Mark II von Bruce McLaren/Chris Amon, Ken Miles/Denny Hulme und Ronnie Buchnum/Dick Hutcherson. Eine Stunde vor dem Fallen der Zielflagge bat Henry Ford II den Franzosen Fred Chandon, bitteschön einen Champagner für die Siegerzeremonie bereit zu stellen. Chandon kannte solche Wünsche, immerhin war seine Firma offizieller Lieferant beim Grossen Preis von Frankreich in Reims, wo Juan Manuel Fangio als erster Sieger der neuen Formel 1 1950 erstmals einen Champagner überreicht bekommen hatte.
Chandon versprach also Ford, sich um ein Fläschchen zu kümmern. «Von wegen Fläschchen!» polterte der US-amerikanische Autokonzern-Chef. «Da müssen Sie schon eine Jeroboam herschaffen!» Also eine Dreiliter-Flasche. Chandon organisierte einige Flaschen, aber was dann geschah, das war nicht geplant.
Aufs Siegerpodest traten damals auch die Porsche-Fahrer Jo Siffert und Colin Davis. Die beiden hatten mit ihrem Porsche 906 die Zweiliterklasse gewonnen und die so genannte Indexwertung, für herausragende Kombination aus Hubraum, Leistung und Effizienz. Während die Siegerhymnen gespielt wurden, hatte die Flasche von Siffert genug davon, in dieser Hitze untätig herumzustehen, zumal ohne angemessene Beachtung. Sie entledigte sich mit einem tüchtigen Knall ihres Korkens und erzeugte eine stattliche Dusche für die Umstehenden. Jo Siffert fand das urkomisch und griff spontan nach der weiter sprudelnden Flasche, bevor er sich wie die anderen Piloten gesittet, also aus einem Glas einen Schluck gönnte.
Ein Jahr später, 1967, griff der siegreiche US-Amerikaner Dan Gurney auf, was er im Vorjahr gesehen hatte. Gurney wartete gar nicht erst darauf, dass sich eine Flasche selbständig machte, sondern schüttelte sich gleich selber und wurde so zum Vorbild aller Champagner-versprühenden Rennfahrer, sein Gefährte A.J. Foyt wollte da nicht zurückstehen. Erstes Opfer der zwei Amerikaner – Jo Siffert, der erneut die Index-Wertung gewonnen hatte (dieses Mal im Porsche 907, an der Seite von Hans Herrmann). Der Schweizer sprühte postwendend zurück, ein herrliches Chaos.
Wer mehr über das Leben von Jo Siffert lesen möchte, dem legen wir das Buch «Il s’appelait Siffert, Jo Siffert – His name was Siffert, Jo Siffert» von Jean-Marie Wyder ans Herz, eine wunderbare Hommage an den grossen Jo Siffert.
Fünfzig Jahre nach dem Tod von Jo Siffert bleibt dieser unvergleichliche Racer unvergessen. Ein schöneres Andenken kann sich niemand wünschen.