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Monza: Mehr als 100 Jahre Speed, Leidenschaft, Tränen

Von Mathias Brunner
​Vor fast 102 Jahren, am 3. September 1922, fand im Autodromo Nazionale von Monza das erste Autorennen statt. Keine Rennstrecke verbindet so eng Speed, Leidenschaft und Tränen.

3. September 1922: Der Italiener Pietro Bordino gewinnt das erste Autorennen im neuen Autodromo im Königlichen Park von Monza. Der rote Teufel aus Turin, wie ihn seine Fans ehrfurchtvoll nannten, sass in einem Fiat 501.

Am 10. September 1922 folgte der zweite Grosse Preis von Italien, vor 200.000 Fans (der erste hatte 1921 in Montichiari stattgefunden). Fiat brachte mit einem Sonderzug 5000 Fabrikarbeiter zur Strecke, die prompt einen Doppelsieg ihrer Marke erlebten – mit Pietro Bordino vor Felice Nazarro mit ihren Fiat 804.

Die Entscheidung zum Bau einer Rennstrecke fiel im Januar 1922 beim Mailänder Automobilklub, zum 25-jährigen Bestehen des Klubs. Die Ziele: Förderung des technischen Fortschritts, italienische Automarken ins Schaufenster stellen, ein Zuhause für den Grossen Preis von Italien finden.

Das Pistenlayout stammte vom Architekten Alfredo Rosselli, die Baufirma von Piero Puricelli übernahm die Ausführung, alles aus privater Kasse finanziert von Investoren, die an die Zukunft von Monza glaubten.

Rosselli sah eine 14 Kilometer lange Bahn vor, aber dazu hätten zu viele Bäume gefällt werden müssen, also wurde auf rund 10 Kilometer verkürzt. Die Idee Rossellis, einen klassischen Kurs mit einem Oval zu kombinieren, die blieb. Monza wurde zur weltweit dritten permanenten Rennstrecke mit internationalem Flair, nach Indianapolis und Brooklands – gebaut von 3500 Arbeitern und mit Hilfe von 80 Güterwagen.

Die Arbeit begann am 15. Mai 1922 und war Ende August abgeschlossen, rechtzeitig zum Startrennen vom 3. September.

Knapp 102 Jahre später hoffen die treuen italienischen Sportfans, die legendären Tifosi, wieder auf einen Triumph in Rot – mit Charles Leclerc oder Carlos Sainz im Rahmen des Grossen Preises von Italien, in wenigen Tagen, am 3. September.

Speed, Leidenschaft, Tränen

100 Jahre Monza, das bedeutet 100 Jahre Speed, Leidenschaft, Tränen der Freude und der Bestürzung – atemberaubende Siegesfahrten und schwarze Stunden.

Tempel der Geschwindigkeit fürwahr: Von den zehn schnellsten Grands Prix der Historie fanden neun in Monza statt (und einer in Spa-Francorchamps, 1970). Rekord bis heute: Das Rennen 2003 mit einem Siegerschnitt von 247,585 km/h (Michael Schumacher im Ferrari). Der 2003er Grand Prix hält auch den Rekord für den kürzesten WM-Lauf, der über die volle Distanz ging: Nach 74 Minuten und 19,838 Sekunden fiel die karierte Flagge.

Die Monza-Rennstrecke liegt in der viertgrössten Parkanlage von Europa (688 Hektar Land), der Parco di Monza ist allerdings der grösste Park von Europa, der von einer Mauer umgeben ist. Der Park wurde 1808 nach drei Jahren fertiggestellt und ist – als Vergleich – zweieinhalb Mal so gross wie der Central Park von New York. Rund 110.000 Bäume stehen im Park, 26 Bauernhöfe, drei Mühlen und ein Hirschgehege (nein, wirklich!).

Auf keiner Rennstrecke ist ein einzelner Landes-GP öfter ausgetragen worden als in Monza: 2023 wird der 74. Grosse Preis von Italien im Rahmen der Formel-1-WM gefahren, und bis auf einen davon wurden alle davon in Monza ausgetragen. 1980 fand der Italien-GP ausnahmsweise in Imola statt – weil in Monza umgebaut wurde.

Der Zieleinlauf von Monza 1971 gilt noch immer als der knappste: Peter Gethin in BRM eine Hundertstelsekunde vor Ronnie Peterson im March! Die ersten Fünf (Rang 3 für François Cevert im Tyrrell vor Mike Hailwood auf Surtees und Howden Ganley in einem weiteren BRM) lagen innerhalb von 61 Hundertstelsekunden. Auch dies ist Formel-1-Rekord.

Zwölf Mal ist die Formel-1-WM in Monza entschieden worden, mehr als auf jeder anderen GP-Rennstrecke: 1950 (zu Gunsten von Giuseppe Farina), 1956 (Juan Manuel Fangio), 1960 (Jack Brabham), 1961 (Phil Hill), 1963 (Jim Clark), 1966 (Jack Brabham), 1969 (Jackie Stewart), 1972 (Emerson Fittipaldi), 1973 (Jackie Stewart), 1975 (Niki Lauda), 1978 (Mario Andretti), 1979 (Jody Scheckter) – seither aber nie mehr.

Schwarze Stunden

Die Stunden der Triumphe waren in Monza immer eng mit Stunden der Tragödien verbunden: Der Amerikaner Phil Hill vergoss 1961 bittere Tränen, denn seinem Titelgewinn ging der tödliche Unfall von Graf Berghe von Trips und von vierzehn Zuschauern voraus.

Der in Italien geborene Amerikaner Mario Andretti erobert 1978 den Titel, nachdem das Rennen wegen eines Startunfalls unterbrochen werden musste, in der Nacht auf Montag starb sein Lotus-Stallgefährte Ronnie Peterson an einer Fett-Embolie.

52 Rennfahrer und 35 Zuschauer haben in diesen 100 Jahren ihr Leben verloren, darunter auch der charismatische Alberto Ascari, der Rätselhafteste aller Weltmeister. Sein Todessturz am 26. Mai 1955 wurde nie restlos aufgeklärt, wenige Tage, nachdem er mit seinem Rennwagen in Monaco ins Hafenbecken gestürzt war.

Völlig ungewöhnlich für den abergläubischen Ascari hatte er sich beim Sportwagentest von Eugenio Castellotti in Monza dessen Helm ausgeliehen und um den Wagen gebeten. Bis heute hält sich die Legende, dass Ascari in der Curva Vialone einem Mann ausweichen wollte, der unerlaubt die Bahn kreuzte. In Italien ist heute noch davon die Rede, dass jener Mann das auf dem Totenbett einem Pfarrer gebeichtet haben soll – er sei der Grund für den tödlichen Unfall gewesen. Alles Hörensagen.

In Monza verlor Giuseppe Campari sein Leben. In den 1920er und 1930er Jahren war der Italiener ein Star, im Einsitzer so gefürchtet wie mit dem Sportwagen. Campari war hinter dem Lenkrad keine Zimperliese, von den Gegnern gefürchtet, jeder Gefahr höhnisch ins Gesicht lachend.

«El Negher» war eine Abwandlung im Mailänder Dialekt von «il negro», dem Schwarzen, weil Campari einen dunklen Teint hatte und in der Sonne tiefbraun wurde. In Monza 1933 wurde Campari vom Glück verlassen – tödlicher Unfall, nachdem er auf einem Ölfleck die Kontrolle über seinen Wagen verloren hatte.

In Monza 1970 trauerten die Fans im den in Mainz geborenen Österreicher Jochen Rindt.

Die Stimmung im Königlichen Park ist unvergleichlich, diese Rennstrecke muss jeder Motorsportfan einmal in seinem Leben gespürt haben.

Die Geschichte der Steilwände

Sie sind bei Fernsehübertragungen aus Monza meist nur noch zu erkennen, wenn auf die Hubschrauber-Perspektive umgestellt wird – die grandiosen Steilwände der Rennstrecke im königlichen Park.

Wenig hätte gefehlt, und die atemberaubenden Highspeed-Bögen von Monza, «sopraelevate» auf Italienisch, wären der Abrissbirne zum Opfer gefallen.

Es bedurfte einer Unterschriftenaktion, um die Passagen zu erhalten. Ergebnis: Der Hochgeschwindigkeitsring (zwei 320 Meter lange, bis zu 80 Prozent überhöhte Kurven, verbunden durch zwei 875 Meter lange Geraden) blieb – rottete jedoch jahrelang vor sich hin. Erst vor ein paar Jahren wurde eine aufwändige Renovation abgeschlossen.

Als Sicherheitskräfte im Rahmen des Monza-GP vor einigen Jahren unachtsam waren, konnte ich durch eine Kontrolle schlüpfen und die grandiosen Kurven von nahem in Augenschein nehmen. Vermutlich hat der ehrwürdige Betonbelag nicht oft einen Volvo-Kombi zu Gast gehabt.

Ein zehn Kilometer langer Kurs samt Oval war 1955 und 1956 sowie 1960 und 1961 Schauplatz des Italien-GP. 1957 und 1958 wurde das Oval zur Bühne eines ungewöhnlichen Vergleichs: Beim «Rennen der zwei Welten», spasseshalber «Monzanapolis» genannt, wurden Helden des Indy 500 nach Monza eingeladen, um gegen die europäischen Piloten anzutreten.

Die Vollgashaudegen aus der neuen Welt sparten nicht an Show: Bob Veith erzielte die schnellste Trainingsrunde mit einem Schnitt von 283 km/h!

Der Rennspeed von Jim Rathman konnte sich auch sehen lassen – mehr als 268 km/h. Der Watson-Offenhauser von Rathman, offiziell «John Zink Leader Card Monza Special» benannt, steht heute im Rennmuseum von Indianapolis.

Das Antrittsgeld wurde damals in Cash ausbezahlt, einer der amerikanischen Haudegen hatte sich die Lira-Bündel einfach in den Overall gestopft, worauf sie im strammen Fahrtwind davonsegelten. Der Fahrer hielt an und kramte die Geldscheine vom Beton auf.

Das 1958er Rennen war zwar ein Publikumserfolg, doch interne Probleme beim Automobilklub von Mailand führten dazu, dass es bei diesen beiden Vergleichen blieb.

Nach der GP-Ausgabe 1961 wurde der bucklige Ovalteil als zu gefährlich eingestuft, die Formel 1 würde nie wieder im italienischen Oval fahren.

Ab 1965 wurde das Oval fürs 1000-km-Rennen von Monza verwendet, doch als die Sportwagen immer schneller wurden, wurde auch in dieser Kategorie schliesslich aufs Oval verzichtet, ab 1970 fanden die 1000 Kilometer auf dem normalen GP-Kurs statt. Eine Weile noch gab es im Oval kleinere Rennen oder Rekordversuche, dann war der Zustand so bedenklich, dass auch dies beendet werden musste.

Einige Jahre lang kursierte der Plan, aus einem Teil der Steilwände ein Museum zu gestalten. Das musste aus finanziellen Gründen verworfen werden.

Nachdem klar war, dass ein Abriss nicht in Frage kommt, erarbeitete eine Gruppe vom Polytechnikum Mailand einen Plan, wie man die Kurven restaurieren könnte. Inzwischen hat die Bahn einen neuen Belag erhalten.

Es ist nicht geplant, dass auf dem Ringkurs je wieder Rennen stattfinden werden. Vielmehr soll der Ovalkurs sich für die Fans gebührend hübsch zeigen dürfen.

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