Lotus in Suzuka (Japan): Noch immer ausgeschlossen
Die Mechaniker des finanzgeplagten Lotus-Teams (Seefracht verzögert, Team-Häuschen verschlossen) reagieren gestern Donnerstag mit Galgenhumor: beim (verspäteten) Aufbau der Rennwagen liessen sie einen Song der «Talking Heads» laufen – Road to nowhere, Strasse ins Nirgendwo. Den Song können sie heute erneut auflegen, denn das ihnen zugeteilte Gastbereich-Häuschen ist noch immer verwaist. Die Betreiber der Suzuka-Rennstrecke rücken nicht mit den Schlüsseln aus, logischer Schluss – bis die entsprechende Miete beglichen ist. Die Japaner nehmen dazu keine Stellung.
Lotus-Testfahrer Jolyon Palmer twitterte beim ersten Training zum Japan-GP: «Nur eine Installationsrunde diesen Morgen. Nun lehne ich mich zurück und geniesse den @Lotus_F1Team VIP Gastbereich!» Das Bild zeigt ihn in irgendeiner Ecke am Boden hockend, umgeben von Kisten, mit Kartonbecher und Chips in der Hand.
Team-Mitglieder bedienen sich zwischendurch an dem vielen Getränkemaschinen im Suzuka-Fahrerlager, gegessen wird bei gegnerischen Rennställen, einige Mechaniker haben beim Pizzakurier etwas bestellt.
Im ersten Training wurden nur Installationsrunden gedreht: eine Mischung aus Materialschonen und nicht riskieren, im Regen bei einem Crash Teile zu verlieren. Was bei Pastor Maldonado immer drin liegt.
Lotus selber twittert über den geschlossenen Gästebereich: «Die Wahrheit über unsere Hospitality? Wir hatten die #MiniDrivers beauftragt und sie haben leider Mini-Möbel bestellt. #Oops.» (Die Mini-Grosjean und -Maldonado werden von Lotus im Laufe eines Rennwochenendes an verschiedenen Orten gezeigt.)
Letzte Frist bis 28. September
In letzter Zeit, so scheint es, steht Lotus fast öfter vor Gericht als in der Startaufstellung zu einem Formel-1-WM-Lauf: Am Freitag vor dem Singapur-GP war in London wieder ein Termin am Obersten Gerichtshof angesetzt. Schon zwanzig Stunden nach dem Italien-GP in Monza – bei dem beide Lotus schon in der zweiten Runde ausschieden – hatten sich Vertreter des Rennstalls vor dem Obersten Gerichtshof in London verantworten müssen: Die Steuerbehörde Ihrer Majestät hatte den Antrag gestellt, den Rennstall für zahlungsunfähig zu erklären.
Richter Colin Birss musste dabei entscheiden, ob ausstehende Zahlungen der so genannten direkten Steuern (Her Majesty's Revenue and Customs) dazu berechtigen, Lotus als insolvent einzustufen. Die direkten Steuern werden unmittelbar beim Steuerschuldner festgesetzt und erhoben. Zu den direkten Steuern zählen Steuern auf das Einkommen und das Vermögen.
Wohin Insolvenz bei einem Rennstall führen kann, haben wir im vergangenen Jahr bei Caterham und Marussia gesehen – Caterham trat nach einer kurzen Pause noch beim WM-Finale von Abu Dhabi an, konnte aber letztlich nicht gerettet werden und wurde aufgelöst; Marussia wurde gerettet und tritt heute als Manor-Marussia wieder in der Formel 1 an.
Vertreter von Renault baten den Richter damals erfolgreich um einen Aufschub, weil bis zum nächsten Termin die Übernahme des Rennstalls mit grosser Wahrscheinlichkeit besiegelt sein wird und damit die Finanzprobleme von Lotus gelöst sein könnten. Aber das ist nicht passiert.
Am 18. September hat Lotus eine letzte Frist eingeräumt erhalten: die nächste Anhörung findet statt am 28. September, das ist der Montag nach dem Japan-GP. Richter Birss machte aber auch klar – das ist nun wirklich der letzte Aufschub. Lotus muss bis dann eine Lösung mit Renault gefunden haben, sonst wird über den Rennstall die Zahlungsunfähigkeit verhängt.
Vertreter der Steuerbehörden geben zu bedenken, dass man wiederholt vertröstet worden sei. Vertreter von Lotus zeigten dem Richter hingegen vertrauliche Dokumente darüber, welche Fortschritte die Verhandlungen gemacht hätten seit dem Termin nach Monza. Dabei ist von einer Absichtserklärung die Rede, das Team in die Hände von Renault zu übergeben. Offenbar hat das den Richter überzeugen können, Lotus mehr Zeit zu geben.
Bernie Ecclestone bezahlte Löhne
Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone hat Lotus im Sommer mit rund zwei Millionen Euro ausgeholfen, um die 400 Mitarbeiter bezahlen zu können.
In Belgien bescherte Romain Grosjean dem Team einen grossartigen dritten Platz (die erste Podestplatzierung des Genfers nach 21 Monaten), aber da galt das Material der Schwarzen bereits als beschlagnahmt – nach einem Besuch der Gerichtsvollzieher.
In der Kreide stand Lotus nicht nur beim früheren Testfahrer Charles Pic, sondern auch bei Toyota (für die Miete des Motorhomes) sowie bei Helmhersteller Bell.
Lotus befindet sich seit längerem in Finanznöten, in Ungarn rückte wegen Unregelmässigkeiten bei der Bezahlung Reifenlieferant Pirelli zunächst keine Walzen heraus. Operationsleiter Alan Permane gibt zu: «Das ist finanziell das schwierigste Jahr, und es nicht einfach, die Autos jeweils auf die Bahn zu bringen.» Umso erstaunlicher der dritte Rang von Grosjean in Belgien.
Lotus (2009 aus dem Renault-Rennstall hervorgegangen) befindet sich deshalb in finanzieller Schräglage, weil die neuen Besitzer Genii Capital (um Lopez) mit mehr Einnahmen durch Sponsoren und aus dem Preisgeldtopf von Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone kalkuliert hatten. Und weil die Antriebseinheiten der neuen Turbo-Generation seit 2014 sündhaft teuer sind.
Was viele vergessen haben: das heutige Lotus (das mit dem früheren Rennstall gleichen Namens von Colin Chapman nichts zu tun hat) ging aus dem Toleman-Rennstall hervor, der anfangs der 80er Jahre aus der Formel 2 in die Formel 1 aufgestiegen war. Ayrton Senna debütierte 1984 mit Toleman in der Formel 1. Ted Toleman verkaufte sein Team später an Benetton, die zuerst Sponsor des Rennstalls gewesen waren. Team-Manager wurde Flavio Briatore, unter dessen Leitung Michael Schumacher 1994 und 1995 Weltmeister wurde. In der Saison 2000 war Renault als Werksrennstall zurück, mit Fernando Alonso gab es 2005 und 2006 zwei weitere Titel, Ende 2009 verkauften die Franzosen das Team jedoch schrittweise an Genii Capital.