Sebastian Vettel: «Man sieht erstaunlich wenig»
Sebastian Vettel sah sich den neuen Strassenkurs von Baku genau an
Ferrari-Zugpferd Sebastian Vettel sah sich den neuen Formel-1-Strassenkurs von Baku heute aus der Nähe an. Vor allem die achte Kurve weckte das Interesse des vierfachen Champions, der dort lange verweilte und die Ecke aus verschiedenen Blickwinkeln unter die Lupe nahm. Hinterher erklärte er vor laufender Kamera: «An dieser Stelle geht es steil bergauf, deshalb ging ich in die Knie. Ich wollte sehen, was man vom Auto aus sieht.»
Und der Heppenheimer wunderte sich: «Es ist erstaunlich wenig. Aber so geht's uns ja allen und das macht es auch aus.» Sein erster Eindruck fällt dennoch positiv aus: «Die Strecke sieht ganz interessant aus. Gerade der Teil um die Altstadt herum könnte eng werden. Technisch ist das eine Herausforderung.»
Vettel gesteht: «Ich kann es kaum erwarten, wieder ins Auto zu steigen und freue mich schon darauf, im Training ein Gespür für die Strecke zu kriegen. Ich glaube so geht es auch den Leuten hier, für die es etwas Neues ist, die Formel 1 hier zu haben. Im Moment kann das vielleicht keiner so richtig greifen, aber wenn es dann morgen losgeht, ist das was Anderes. Ich denke, alle freuen sich auf diesen Moment.»
«Konstruktive Diskussion» nach Kanada-GP
Vor allem, weil das vergangene Rennen in Kanada so hoffnungsvoll begonnen und letztlich doch nur mit dem zweiten Platz für den 28-Jährigen geendet hatte. Doch Vettel, der im Gegensatz zu Sieger Lewis Hamilton zwei Boxenstopps einlegte, will nichts von einem Strategiefehler wissen. «Ich bin mir nicht sicher, ob man da von einem Strategiefehler sprechen kann», widerspricht er RTL-Boxengassenreporter Kai Ebel.
«Zunächst einmal muss klar sein, dass Mercedes sehr sehr schnell ist, das war auch in Kanada nicht anders. Ich glaube, wir waren dort deutlich näher an den Silberpfeilen dran. Dass es nicht ganz gereicht hat, konnte man am Ende ja sehen. Ob jetzt da unbedingt die Strategie Schuld war, das würde ich jetzt nicht unterschreiben», fügt er an.
Auf die Frage, was den Sieg im siebten WM-Lauf denn vereitelt habe, antwortet Vettel: «Das lag daran, dass wir einfach nicht schnell genug waren. Wir waren sehr nahe dran, aber in dem Sinne vielleicht nicht stark genug.»
Und der 42-fache GP-Sieger betont: «Das, was wir gemacht haben, hat auf jeden Fall Sinn gemacht. Im Nachhinein ist es immer einfach zu sagen: Hier und das hätte man anders versuchen können. In dem Moment gab's sehr viele Gründe, die ich mir danach auch habe erklären lassen, die für unsere Strategie gesprochen haben. Nur war das Problem, dass wir am Ende nicht schnell genug aufgeholt haben und auf frischen Reifen nicht so viel schneller waren, wie wir es erwartet haben.»
Vettel verrät: «Wir haben konstruktiv darüber diskutiert. Natürlich waren im ersten Moment alle enttäuscht. Wenn man nach einem so super Start gleich so einen Speed hinlegen kann, will man auch gewinnen. Aber alles in allem war das ein sehr, sehr positives Wochenende für uns.»
80 Runden im Ferrari-Simulator
Über die Titeltauglichkeit seines Teams denke er derzeit nicht nach, beteuert der 164-fache GP-Fahrer: «Wir konzentrieren uns auf jedes einzelne Rennen, und was den GP hier angeht, gibt's überhaupt keinen Eindruck, weil keiner weiss, was uns erwartet. Die Gerade ist sehr lang, einige Ecken könnten sehr schwierig werden, andere sehen wieder bekannter aus. Man muss schauen, ob die Strecke zu einem passt, ob man sich generell wohl fühlt, ob das Auto dazu passt, ob die lange Gerade uns in die Hände spielt oder nicht. Da gibt es viele Sachen, die noch in den Wolken stehen.»
Ob der letzte Streckenabschnitt wirklich mit Vollgas durchfahren werden kann, wie es die Simulationen und Aussagen der Kollegen vermuten lassen, wollte Vettel nicht bestätigen: «So lautet die Vorhersage, aber letzten Endes muss man im Auto sitzen und spüren, ob's wirklich geht. Es ist etwas verwirrend, weil die Strecke zunächst sehr breit ist und dann ein bisschen enger wird. Aus dem Auto hat man normalerweise die beste Perspektive. Im Endeffekt sollte das schon gehen, aber das ist eines dieser vielen Dinge, die wir morgen im Training herausfinden werden.»
Auf das dritte Strassenrennen in Folge habe sich Vettel «wie bei jedem anderen Kurs auch» vorbereitet, erklärt er, räumt aber auch ein: «Natürlich hat man keine Erfahrungswerte vom Vorjahr, das macht das Ganze ein bisschen schwieriger. Andererseits spucken Simulationen genauso viel aus. Im Simulator wurde fleissig geübt und trainiert. Ich glaube, wir wissen, was uns erwartet. Trotzdem ist es eine neue Strecke und ziemlich viel wird sich erst zeigen, wenn wir im Auto sitzen.»
Und der frühere Red Bull Racing-Pilot präzisiert gegenüber Sky: «Im Simulator bleibt man den ganzen Tag oder mehrere Tage. Für diese Strecke habe ich etwa 80 Runden gedreht. Das ist ziemlich viel, man hat also schon ein bisschen was gemacht. Am Anfang muss man sich an die Strecke gewöhnen, dann geht man verschiedene Dinge durch und probiert vielleicht auch verschiedene Dinge aus, um das Ganze vor Ort abzukürzen. Aber die Zeit, die man wirklich im Auto auf der Strecke verbringt, ist unersetzlich und das Wichtigste. Ob man jetzt vorher viel gemacht hat, kann den Unterschied machen, muss es aber nicht.»
Mit Blick auf den Zustand der Formel 1 im Allgemeinen erklärt der Champion von 2010, 2011, 2012 und 2013: «Ich denke, ganz generell geht es dem Sport nicht schlecht. Er wurde ja in der Vergangenheit immer wieder schlecht dargestellt. Ich glaube, es ist nie förderlich für irgendeinen Sport, wenn die die gleiche Mannschaft zu lange die Favoritenrolle innehält. Andererseits gehört es auch dazu, das war schon immer so und wird auch immer so sein.»
Und Vettel fügt an: «Ich denke, dass hie und da die Perspektive ein bisschen verrutscht, weil die Berichterstattung teilweise ein bisschen einseitig ist und man sich eher aufs Negative konzentriert, als das Positive zu sehen. Es gibt sicher Dinge, die man besser machen kann – auch aus meiner Sicht. Ich hätte gerne einen lauten V12-Motor der stinkt und qualmt. Aber gut, alles geht ja irgendwie nicht, deswegen muss man da einen Kompromiss finden. Der Wettbewerb ist aber gut, das Niveau ist immer hoch gewesen und wird es auch bleiben.»