Jim Hall, Chaparral: Es gibt immer die bessere Lösung
Wenn Renn-Fans darüber diskutieren, wer zu den besten Rennwagen-Konstrukteuren gehört, dann fallen meist die Namen der üblichen Verdächtigen: Lotus-Gründer Colin Chapman, der Südafrikaner Gordon Murray, der Engländer John Barnard und natürlich der Mann, der Luft sehen kann, Adrian Newey.
Aber in dieser Liste fehlt ein Mann, der zu zahlreichen verblüffenden Lösungen kam, weit vor diesen so hellen Köpfen: Jim Hall aus Texas.
Das von George Levy verfasste Buch «Texas Legend – Jim Hall and his Chaparrals. The Official Biography» wird Ihnen vor Augen führen, wieso Hall im gleichen Atemzug genannt werden muss wie die anderen Richtungsweiser.
Das Motto des heute 89-jährigen Jim Hall lautet: «There’s always a better way» – es gibt immer die bessere Lösung. Und Junge, Junge, was für Lösungen sich Hall alles einfallen liess!
Was da von seiner Firma Chaparral Cars in Midland (Texas) auf die Räder gestellt wurde, das prägt den Rennwagenbau teilweise bis heute. Einige Erfindungen mussten von den Verbänden abgewürgt werden, weil die Gegner von Jim Hall dagegen Sturm liefen.
Einige Beispiele gefällig?
Perfektionierung von Flügeln zur Gewinnung von Abtrieb
Vom Fahrer verstellbare Flügel
Chassis aus Verbundstoff
Seitlich angebrachte Kühler
Halbautomatische Kraftübertragung
Datenaufzeichnung
Abtrieb durch Vakuum-Erzeugung am Unterboden
Das sind nur ein paar Technik-Leckerbissen, die Jim Hall auf die Rennstrecken brachte und die teilweise erst Jahre später von anderen Technikern verstanden und umgesetzt wurden.
Alle Entwicklungen, auch der umfassende Einsatz der eigenen Testbahn (nicht ganz zufällig Rattlesnake, also Klapperschlange genannt, wie Sie sehen werden), werden detailliert beschrieben, doch Autor Levy und Hauptdarsteller Hall verfallen dabei nie in technisches Kauderwelsch.
Der Pioniergeist von Jim Hall gründet gemäss des Autors auch in seiner Herkunft: Texaner ticken anders, Herausforderungen stacheln viele von ihnen zu einer Jetzt-erst-recht-Haltung an, Hall lebte in seiner Karriere vor, dass Hindernisse dazu da sind, überwunden zu werden und dass jede noch so scheinbar unlösbare Aufgabe vielleicht doch machbar ist.
Wir begleiten Jim Hall durch ein Leben voller verblüffender Wendungen, teils auch tieftraurige. Das Werk liest sich teilweise wie ein Krimi und wird vom Hauptdarsteller schnörkellos erzählt. Hall ist einer dieser «no bullshit guys» der Vollgasbranche, wie ich sie nenne, ein Mann, der die Dinge beim Namen nennt und sich nicht vor Kritik zurückscheut, der aber gleichzeitig im Umgang mit den Gegnern immer anständig und fair geblieben ist. Es dürfte ziemlich schwierig werden, unter seinen Wegbegleitern jemanden zu finden, der ein schlechtes Wort über ihn verliert.
Was Hall den anderen Designer-Genies voraus hat: Er war nicht nur in der Lage, seine Autos selber zu fahren, er hat auch viele der besten Piloten seiner Zeit sang- und klanglos geschlagen. Er liess sich bei wenigen Formel-1-Rennen auch von jämmerlichem Material nicht abschrecken und verdiente sich sehr schnell den Respekt der Grand-Prix-Stars.
Halls berühmte weisse Autos schlugen in der Sportwagen-WM die Hochkaräter Ferrari, Ford und Porsche, seine Autos fuhren in der CanAm-Serie dank überlegender Technik Kreise um die Gegner – worauf der amerikanische Rennwagen-Verband ihm immer wieder Knüppel zwischen die Beine warf. Halls für einmal knallgelber Chaparral dominierte die IndyCar-Serie.
Halls Rennwagen prägten die amerikanische Formel 5000 und gewannen auch Tourenwagen-Rennen in der damals von Autowerken überrannten TransAm-Serie.
Der Heilige Gral von Jim Hall hiess Netto-Abtrieb. Fast mit all seinen Rennwagen war der Amerikaner darauf bedacht, seine Wagen auf den Boden zu pressen – sei dies mit Flügelprofilen oder jenem Staubsauger-Auto namens 2J, das selbst Ausnahmekönner wie Jackie Stewart oder Vic Elford nicht an die Grenze des Machbaren bringen konnten. Stewart sagt noch heute: «Kein Rennwagen hat mich mehr beeindruckt als dieser, die Grenze des Autos war der Fahrer.»
Für dieses Buch wurden mehr als 100 Grössen aus dem Motorsport interviewt, allen voran Jim Hall und seine Gattin Sandy, dann Roger Penske, Jackie Stewart, Dan Gurney, Sam Posey, Brian Redman, Phil Hill, Al and Bobby Unser, Bernie Ecclestone, Johnny Rutherford, Gordon Murray, Adrian Newey, Gil de Ferran, Mario Andretti, Bob Lutz und Tony Southgate. Sie alle sparen nicht mit Anekdoten, viele davon zum ersten Mal erzählt.
Sie alle verfestigen das Bild über einen bewundernswerten Menschen, der so viel für unseren Lieblingssport getan hat. Apropos Bild: Einige der besten Fotografen der goldenen Rennsport-Epoche haben mit ihrer einzigartigen Arbeit zu diesem tollen Buch beigetragen – Pete Biro, Bernard Cahier, Hal Crocker, Dave Friedman, Pete Lyons, Dan Boyd, Lionel Birnbom und Pulitzer Preis-Gewinner Bob Jackson.
Mit dem Wort Legende wird nach meinem Ermessen heute viel zu verschwenderisch umgegangen. Und nach fünf Minuten gilt für einige Menschen etwas bereits als kultig oder, plump vom Englischen abgeleitet, ikonisch.
Jim Hall ist eine Legende.
Seine Rennwagen sind Kult.
Wer immer sich für Racing interessiert und wissen möchte, wie einige der grandiosesten Erfindungen im Motorsport entstanden sind, wird von diesem fabelhaften Buch nicht enttäuscht sein.
Das Wichtigste in Kürze
George Levy: Texas Legend – Jim Hall and his Chaparrals
The Official Biography
Aus dem Verlag Evro, England
ISBN: 978-1-910505-66-3
Text in englischer Sprache
Format 24 x 21 cm
484 Seiten
486 Fotos
Für rund 70 Euro im Fachhandel oder direkt bei Evro Publishing