Ducati: Elektrische Streetfighter in der Schublade
Elektromobilität. Schon allein dieses Schlagwort verursacht bei manchen Zeitgenossen Schnappatmung. Besonders im Automobilbereich entbrennen teils hitzige Debatten, ob elektrische Mobilität die Zukunft, mittelfristig ein notwendiges Übel oder eher eine Schnapsidee sei.
Doch auch in der Motorradindustrie ist abzusehen, dass stromgetriebene Fortbewegung in absehbarer Zeit eine wichtigere Rolle einnehmen wird. Dabei sind sich die Hersteller über das «Wie» derzeit keineswegs einig: Zwar haben Vertreter nahezu aller großen Hersteller in den letzten Jahren verlauten lassen, dass sie batteriebetriebene Zweiräder vor allem in der urbanen Mobilität als sinnvoll erachten. Unter anderem Piaggio und BMW bieten bereits seit längerem elektrisch betriebene Scooter in verschiedenen Größen an.
Doch auch bei Hochleistungsmotorrädern gibt es bei den großen Herstellern Bestrebungen, solche Modelle zur Serienreife zu bringen. Triumph stellte 2022 die TE-1 vor – praktisch ein elektrisch angetriebenes Äquivalent zur Speed Triple RS. 177 PS Leistung und eine gemessene Reichweite von 161 Kilometern bot sie. Allein: Sie wurde nie gebaut. Sie stellte eine Fingerübung dar, um Erfahrungen zu sammeln für das erste tatsächliche elektrisch angetriebene Serienmodell der Briten, quasi als rollendes Labor.
Einen anderen Ansatz verfolgt Ducati: Die Italiener sind seit 2023 und noch bis mindestens 2026 alleiniger Lieferant für die MotoE-Rennserie. Seinerzeit lösten sie Energica als Lieferant ab. Der mittlerweile insolvente Modeneser Hersteller leitete sein Wettbewerbsmodell aus der Serie ab.
Die Nachbarn aus Bologna gehen dieses Jahr in die dritte MotoE-Saison und verfolgen den entgegengesetzten Ansatz: Die Ducati V21L wurde ursprünglich einzig für die Rennserie entwickelt und existiert auch, um Rennsport- und Serienentwickler Erfahrungen sammeln zu lassen. Ducati-Entwicklungschef Vincenco de Silvio ließ bereits 2022 im Gespräch mit SPEEDWEEK verlauten: «Da die V21L ein vollwertiges Rennmotorrad ist, musste Ducati Corse eine zentrale Rolle einnehmen. Gleichzeitig war es für uns wichtig, die Kompetenzen in der Entwicklungsabteilung von Ducati aufzubauen»
Wofür diese die erlangten Kompetenzen nutzen soll, ist dabei klar: Wenn es an der Zeit ist, dass auch in Borgo Panigale ein elektrisches Motorrad den Weg in die Serienproduktion finden soll, will man gerüstet sein. Wann das so weit ist, ist hingegen noch nicht klar. Derzeit bereitet man sich in Bologna auf diesen Fall vor und arbeitet an einem elektrisch betriebenen Naked Bike, von dem bereits Prototypen in mehreren Entwicklungsstufen erprobt werden
Die erste Entwicklungsstufe ist dabei eine direkte Ableitung des MotoE-Boliden, wie er bis 2024 von den Teams der MotoE eingesetzt wurde. Optisch zitiert der Elektro-Prototyp die Streetfighter V2. Erprobungsmotorräder sollen sogar deren Lampenmaske spazieren fahren und überhaupt soll das Styling bereits weit entwickelt sein. Technisch jedoch gibt es bei den ersten Erprobungsträgern kaum Unterschiede zur MotoE-Basis: Chassis mit Schwinge, Federung und Dämpfung vorn wie hinten, Motor, Bremsen…das alles soll aus der V21L kommen.
Gleiches gilt auch für den Akku, dem wichtigsten Bauteil der Ducati. Bereits bei der Entwicklung des MotoE-Boliden kam ihm besondere Bedeutung zu, da die Batterie auch für die Fahrdynamik wichtig ist. Dszu Roberto Cané, Director eMobilty bei den Italienern: «Die Batterie ist bekanntlich der größte und wichtigste Bestandteil eines elektrischen Bikes. Sie ist schwer und nimmt viel Volumen ein. Wir mussten sie also so designen, dass sie den Platz ausfüllt, der leer bleibt, wenn man den Tank und den Motor aus einem konventionellen Motorrad ausbaut. Es entstand eine sehr merkwürdige Form, aber wir wählten sie so, um die höchstmögliche Performance mit dem Batteriepack zu erzielen.» Diese Worte fielen im Zusammenhang mit der der Technikspenderin V21L, gelten entsprechend ebenso für die potenzielle Straßen-Ablegerin Streetfighter E.
Typisch für die Entwicklung elektrischer Fahrzeuge ist die auch bei Ducati steile Lernkurve. Davon profitiert aktuell das Motorsportprojekt der Bologneser: So soll das Renngerät in der kommenden Saison mindestens 8,5kg leichter an den Start gehen als in den letzten Jahren. Das Gewicht weiter zu reduzieren, dürfte auch das Ziel für das spätere Serienmotorrad sein. Beim MotoE-Bike wurden die Gewichtseinsparungen vor allem mit einem leichteren Akku erzielt.
Das so gewonnene Wissen soll mittlerweile auch in eine zweite Evolutionsstufe des elektrischen Naked Bikes geflossen sein. Auch sie lehnt sich optisch an die gerade abgelöste Streetfighter V2 an. Anders als bei den ursprünglichen Prototypen soll bei dieser jedoch mittlerweile weniger Carbon zum Einsatz kommen, vermutlich um Produktionskosten im Zaum halten zu können.
Auch das Packaging wurde inzwischen verändert und hat sich vom MotoE-Boliden entfernt: Motor und Inverter wurden neu im Chassis positioniert, was auch einen schmaleren Heckrahmen ermöglicht. Entsprechend ist auch die Schwinge der V21L einer mittlerweile seriennäheren Konstruktion gewichen. Bei dieser ist die Schwinge direkt mit dem Motor verbunden. Die Leistungsdaten dürften sich an der Teilespenderin aus dem Rennsport orientieren: 800 Volt Bordnetzspannung sind gesetzt und rund 150 PS bei massiven 140 Nm Drehmoment sind auch beim Straßenmodell realistisch.
Unverändert ist auch ist das Rahmenkonzept, in dem der Akku noch immer einen tragenden Teil des Chassis bildet. Teile des Fahrwerks werden dabei aus bestehenden Ducati-Modellen entnommen. Brembo und Öhlins sind die namhaftesten der bekannten Zulieferer. Das Zielgewicht dürfte sich dabei im Bereich von rund 220 kg bewegen, nur knapp über der V21L der kommenden MotoE-Saison.
Wie groß die Entwicklungsschritte in der Elektromobilität für Motorräder dabei zuletzt waren, verdeutlicht das Gewicht eines vergleichbaren Erprobungsträgers, den BMW vor recht genau fünf Jahren der Presse präsentierte: Dieser schleppte seinerzeit noch 296 kg mit sich herum.
Das Konzept der «Streetfighter E», so ein möglicher Name, ist mittlerweile so weit entwickelt, dass eine Serienproduktion ohne weiteres möglich wäre. Wann Ducati, BMW oder Triumph aber den Weg in die Serienproduktion wagen, ist im Moment noch nicht abzusehen. Markus Flasch, Chef von BMW Motorrad, erteilte bereits im letzten Jahr einer Markteinführung des E-Roadster von BMW vor 2027 eine Absage. Der Markt sei derzeit schlicht nicht vorhanden, da die Nachfrage nach E-Motorrädern zuletzt abgebflacht sei.
Ein wichtiger Faktor ist dabei auch die Gesetzgebung: Anders als bei PKWs gibt es für Motorräder in der EU beispielweise keine Zielvorgabe für die durchschnittlichen CO2-Emissionen der Modellpalette der jeweiligen Hersteller. Wie wichtig die Legislative dabei für Investitionssicherheit der Hersteller ist, hat sich zuletzt bei den Verkaufszahlen elektrischer PKWs gezeigt: In mehreren europäischen Ländern sind diese in den letzten Monaten auch durch, teilweise abruptes, Auslaufen von Förderprogrammen eingebrochen.
Dennoch, oder genau deshalb, müssen vor allem die großen Motorradhersteller für die Zukunft gewappnet sein. Es gilt, Konzepte in der Schublade zu haben für den Zeitpunkt, an dem Marktbedingungen und Kunden reif sind. Ducati hat dabei offenbar den kürzesten Weg zur Serienreife: Eine mögliche «Streetfighter E» ist nahezu produktionsfertig und könnte zudem auf seine, für die Italiener essenziellen, Wurzeln im Rennsport verweisen. Damit hat sich der Einsatz in der MotoE für den Hersteller aus Bologna bereits jetzt ausgezahlt.