MotoE-Katastrophe: Brand entstand nicht beim Laden
Jesko Raffin von Intact-Team, hinter ihm eine Ladestation
Als bei der Dorna im Frühjahr vor zwei Jahren die Pläne für den MotoE-Weltcup konkreter wurden, wurden große Versprechungen gemacht. Die Batterien der Rennmaschinen sollten mit Schnelllade-Stationen innerhalb einer Stunde wieder neue geladen werden können, die Elektro-Antriebe sollten aus erneuerbarer Energie gespeist werden. Auch das offizielle Moto-E-Kommuniqué von Dorna und Weltverband FIM sprach gestern noch viel von Innovation und 100 Prozent erneuerbarer Energie.
Aber wie hätte Enel in den sechs Wochen bis zum ersten Weltcup-Rennen die Ladetätigkeit mit erneuerbarer Energie gewährleisten wollen, wenn es am 12. März bei den 18 Bikes noch nicht einmal mit dem Strom aus der Steckdose richtig gelingen wollte?
Bisher haben nicht einmal die Teammanager oder die IRTA-Techniker eine Ahnung, wie lange das Aufladen einer Batterie dauert. «Wir wissen nur, die ‘chargers» haben unterschiedliche Settings, von ‚quick charge‘ (boost) bis zu einer ‚trickle charge‘, also einer Erhaltungsladung, die mehrere Stunden beansprucht», erzählte ein beteiligter Techniker.
«Wir werden auf keinen Fall nächtelang Generatoren laufen lassen, um die MotoE-Maschinen wieder startklar zu machen», hieß es 2017 bei der Dorna.
Denn die spanische Firma Acciona hat 2017 mit einem Elektro-Auto die Dakar-Rallye bestritten. Fünf Jahre lang war bei Acciona in der R&D-Abteilung entwickelt und geforscht worden. Das gesamte Projekt wurde in Vilanova del Vallés in Spanien gebaut, die Kraftquelle leistete damals 340 PS, die Lithium-Batterie-Module hätten angeblich mit Solarenergie in Rekordgeschwindigkeit geladen werden können. Bei der Dakar-Rallye 2017 waren aber in der Nacht etliche Generatoren am Werk, die in Südamerika von drei Lkw von Etappenziel zu Etappenziel gekarrt wurden.
Bei der MotoE-Rennserie wollten die Beteiligten auf solche fragwürdigen Manöver verzichten und mehr tun, als sich ein grünes Mäntelchen umzuhängen und mit dem Strom der Elektro-Zeit zu schwimmen.
Aber bisher kommt der Strom für die Einheitsmotorräder Energica EGO Corsa aus der Steckdose. Das war auch beim MotoE-Test am Mittwoch in Jerez nicht anders. Als die Teams zwischen 20 und 21 Uhr die Strecke verließen, hatten sie den Eindruck, es sei noch keine Motorradbatterie geladen gewesen.
Das sollte offenbar in der Nacht nachgeholt werden. Sieben Techniker sollten sich im Auftrag von Seriensponsor Enel, das ist ein renommierter italienischer Energiekonzern, um das Laden kümmern.
Der Brand brach um 00.15 Uhr in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag aus und vernichtete das gesamte Material. Zuerst wurde vermutet, es sei ein Motorrad beim Laden in Brand geraten. Dann wurde erzählt, es habe eine Ladestation zu brennen begonnen. Am Donnerstagnachmittag wurde mitgeteilt, die Brandursache werde gewissenhaft untersucht, bisher würden keine Ergebnisse und Erkenntnisse vorliegen.
Inzwischen wurde den Teams mitgeteilt, das Feuer sei in einer Box ausgebrochen, in der zu diesem Zeitpunkt keine Motorräder geladen worden seien. Zuerst habe der Prototyp der «Juice Roll» zu brennen begonnen. Als «Juice Roll» bezeichnet Enel jene Geräte, die als «fast charger» dienen und die auch Energie speichern können. Es handelt sich also um eine mobile Ladestation, die auch Akkumulatoren enthält.
Inzwischen steht fest, dass der Schaden der 20 verkohlten Energica-Maschinen die Millionen-Euro-Grenze weit übersteigt. Außerdem haben Teams wie Intact ihr ganzes Boxen-Interieur im Feuer verloren, das macht noch einmal ca. 50.000 Euro für jedes einzelne der zwölf Teams aus. Die meisten Fahrer haben ihre Spezialhelme und Lederkombis über Nacht in den Boxen liegen gehabt…
Inzwischen gibt es Videos vom Feuer, die Fragen bezüglich des Brandschutzes aufwerfen. Es ist kein Mensch mit einem Feuerlöscher zu sehen, kein Feuerwehrauto, so brannte das neue MotoE-Paddock-Zelt in aller Ruhe auf die Grundfesten nieder.
Jetzt wird die Frage erörtert, wer für den Brandschaden haftbar gemacht werden kann und wer für die rund 1,5 bis 2 Millionen aufkommen soll. Wer bezahlt die 20 neuen Motorräder, die bei Energica gebaut werden müssen? Kann der kleine italienische Hersteller diesen Rückschlag finanziell verkraften?
Eine ebenfalls wichtige Frage: Sind die GP-Veranstalter nach dieser Brandkatastrophe noch von der Rennreife dieses MotoE-Konzepts überzeugt? Wie schnell können die Verantwortlichen ein handfestes Brandschutz-Konzept auf den Tisch legen?
Energica hatte sich bei der Dorna als Lieferant der Motorräder gegen Firmen wie Lightning (USA) und Sarolea (Belgien) durchgesetzt.
Bei den Serienfahrzeugen gelten die E-Bikes von Energica als fortschrittlich. Sie leisten 145 PS und 200 Newtonmeter bei 4700/min. Worauf die Energica-EGO-Techniker bei den Serienbikes besonders stolz sind: Alle elektronischen und elektrischen Systeme werden von einem einzigen technologischen Juwel kontrolliert – von der VCU, welche die Batterie, den Inverter, das Aufladesystem, das ABS und das Power Management inklusive Traction-Control beherrscht. Die VCU limitiert auch den Speed und das Drehmoment des Fahrzeugs. Es gibt sogar einen «Park Assistant» für vorwärts und rückwärts, der bis zu einer Geschwindigkeit von 3 km/h aktiv ist.
Ein Getriebe und eine Kupplung fehlen bei den Energica-Maschinen, alles wird von einem ride-by-wire-System kontrolliert.
Das ABS kommt in der Serie von Bosch, die Bremsen liefert Brembo. Die Serien-Energica EGO kann im Normalbetrieb bei öffentlichen Aufladestationen geladen werden oder daheim, es existiert ein Onboard-Battery-Charger, der auch kabellos via Bluetooth aktiviert werden kann.
Die Rennversion soll mit der 100 kg schweren Batterie bis zu 150 PS leisten, in Jerez hielten die Batterien nur sechs Runden, also 26,5 km.
«Unsere Ambition, mit neuen Technologien zu experimentieren und sie zu entwickeln, birgt ein Risiko», räumten die Verantwortlichen des FIM Enel World Cups gestern ein.